Digitalisierung beginnt im Kopf

Das heißt: Digitalisierung wird zurzeit eher noch als IT-Thema wahrgenommen? Ein paar neue Programme, ein Netzwerk, ein paar Sensoren? Das ist doch aber nur die halbe Wahrheit . . .

Engelke-Denker: Es reicht natürlich nicht aus, eine schicke Internetseite zu haben und sich einen 3-D-Drucker hinzustellen. Das hat nichts mit Digitalisierung zu tun. Das ist auch das, was wir auf dem Kongress in Osterholz transportieren wollten. Digitalisierung beginnt im Kopf. Ich brauche eine Strategie für mein Unternehmen. Und ich sollte als Unternehmer schauen, inwieweit ich auf Digitalisierung setzen muss, um am Markt überhaupt bestehen zu können. Dazu bedarf es einer tiefergehenden Analyse.

Die großen Datenplattformen beispielsweise von Amazon und Uber werden zwar mit Büchern und Taxen in Verbindung gebracht, in Wahrheit können sie aber in jedes interessante Geschäftsfeld eindringen. Herr Seggewiß, inwieweit wird dies von den Unternehmen in Ihrem Umfeld überhaupt als latente Gefahr wahrgenommen?

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Seggewiß: Die Digitalisierung ist ja nur Mittel zum Zweck. Dahinter steht der Kunde, und der will ein möglichst hochwertiges, aber dennoch günstiges Produkt. Stichwort Buchhandel: Ich glaube nach wie vor, dass der klassische Buchhandel in Stade eine Chance hat, wenn es gelingt, den Kunden richtig abzuholen. Der braucht ja im Zweifel auch noch mal Beratung, die Amazon so nicht bieten kann. Wenn der Handel dann jedoch mit Lieferzeiten von zwei Wochen kommt, dann ist er raus. Das gilt aber auch für Amazon: Wir gehen immer davon aus, dass die Prozesse bei Amazon optimiert sind, aber wir haben zwei Wochen lang auf ein Dictionary Deutsch-Holländisch gewartet. Und am Ende konnte Amazon gar nicht liefern.

Nochmal ein Blick in Richtung TZEW: Gibt es aus Ihrer Sicht eine Branche, von der Sie sagen können: Die sind weit vorn?

Engelke-Denker: Wir sehen es bei den klassischen Zerspanungsdienstleistern. Die machen bereits seit Anfang der 90er-Jahre Industrie 4.0. Das begann mit CIM – Computer Integrated Manufacturing. Das steht für die direkte Datenübertragung aus der CAD-Konstruktion auf die Maschine. Da ist man sicherlich schon weit vor. Aber auch dort gibt es eine disruptive Entwicklung – durch den 3-D-Druck, der die ganze Branche auf den Kopf stellt. Grundsätzlich glaube ich, dass es neben der Digitalisierung immer einen analogen Anteil in der Wirtschaft geben wird. Das beste Beispiel ist das Handwerk. Dort ist Kreativität erforderlich, eben auch Handarbeit. Es ist unbedingt wichtig, dass sich die Unternehmen diesen analogen Anteil bewahren, zugleich aber die Prozesse digital optimieren. Dasselbe gilt auch für die Industrie.

Digitalisierung hat gefühlt kein Ende. Aber wenn wir mal auf eine Skala von null bis hundert, sagen wir mal Zentimeter, schauen, wo auf diesem digitalen Meter steht die Wirtschaft da aus Ihrer Sicht?

Engelke-Denker: Wenn ich mir hier die Region anschaue und die Unternehmen allgemein, dann sind wir auf den ersten zehn Millimetern des Meters. Da werden sich noch Dinge entwickeln, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Die Wissensverdoppelung wird exponentiell zunehmen. Vor allem auch die Geschwindigkeit. Früher verdoppelte sich das Wissen alle 100 Jahre. Heute sind wir etwa bei vier Jahren. Vorsichtige Prognose für 2050: Wissensverdoppelung jeden Tag. Da kann man sich vielleicht vorstellen, was uns erwartet. Das heißt: Der Meter ist relativ. Aus meiner Sicht besteht die größte Gefahr darin, dass wir aufgrund der steigenden Geschwindigkeit irgendwann die Kontrolle verlieren.

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Eine Frage an Sie beide: Bei all dem Hype um und den Erwartungen an die Digitalisierung – sehen Sie auch irgendwo eine Hauptschwäche?

Seggewiß: Wir kommen jetzt schon mit unserem rechtlichen Rahmen nicht mehr klar. Der muss mitwachsen. Beispiel:
Facebook und die Nutzung unserer Daten. Datenschützer sehen das durchaus anders als Facebook.

Ein sehr interessanter Punkt: Wir wollen ein System nutzen und werden dadurch Teil eines Systems, das uns nutzt . . .

Engelke-Denker: Recht und Sicherheit – das sind die beiden Schwachpunkte, die ich auch sehe. Trotzdem müssen wir mit dem Thema positiv und proaktiv umgehen. Wir dürfen nicht darauf schauen, was schiefgehen könnte, sondern auf das, was geht.