Vortrag aus dem Schlafzimmer

Foto: Wolfgang BeckerLeere Bühne, voller Bildschirm: Die Kongress-Besucher bekamen in Osterholz den Input direkt aus dem Silicon Valley. Foto: Wolfgang Becker

Zugeschaltet: Professor Dr. Burkhardt Funk referierte in Osterholz – direkt aus Palo Alto.

Ob es klappen würde, war nicht ganz klar, aber dann doch: Via Skype hielt Professor Dr. Burkhardt Funk, Leiter des Instituts für elektronische Geschäftsprozesse IEG an der Leuphana Universität, seinen Vortrag über „Die digitale Zukunft der Gesellschaft“ – und das nicht etwa aus Lüneburg, sondern direkt aus dem Silicon Valley: „Es ist hier jetzt 6 Uhr, und ich sitze tatsächlich in meinem Schlafzimmer in Palo Alto. So früh habe ich noch nie einen Vortrag gehalten . . .“ Funk ist derzeit als Gastwissenschaftler an der Stanford-Universität.

Der zugeschaltete Referent gab ein paar persönliche Eindrücke aus dem Zentrum der Digitalisierung und überschrieb seine Folie mit einer Kampfansage: „Walk in. Plug in. Start up. Disrupt.“ Übersetzt: Komm herein. Schalte ein. Starte durch. Zerstöre.  Das ist offenbar der Geist der Digitalisierung, der sich wie ein roter Faden durch eine Vielzahl von Veranstaltungen zieht, die derzeit landauf, landab zu dem Thema angeboten werden. Die digitale Eroberung von Märkten und einzelnen Geschäftsfeldern, so die Botschaft, hat eine zerstörerische Wirkung auf die vorhandenen Strukturen.

Beflügelt wird dies von der Neugier und Kreativität vor allem junger Menschen, die häufig schon zu Uni-Zeiten ihre Chancen für den Markteintritt ausloten. Funk berichtete über das „ständige Opportunity-Screening“ – permanent werde geschaut, was die anderen machten. Und wie sie es machten. Die Folge: „30 Prozent der Stanford-Absolventen gründen sofort oder aber binnen fünf Jahren eine eigene Unternehmung“, so Funk. „US-amerikanische Investoren stellen dafür pro Jahr 40 Milliarden US-Dollar als Venture Capital zur Verfügung.“ Sein Tipp: „Fahren Sie hin, und schauen Sie sich das einmal an.“

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Von Avatar zu Avatar . . .

Während die erste industrielle Revolution Muskelkraft durch Maschinen ersetzte (Dampfmaschine), geht es laut Funk heute zunehmend um das Ersetzen kognitiver Fähigkeiten. Computer berechnen, bewerten und entscheiden schneller und sicherer, so die These. Der Professor: „Es gibt Prognosen, die besagen, dass in den kommenden
15 Jahren rund 50 Prozent der heutigen Jobs wegfallen.“ Dabei seien Zweit- und Drittländer stärker betroffen als die führenden Industrienationen wie die USA und Deutschland. Hier tendiere der Jobverlust eher bis zu einem Drittel.

Unter der Überschrift Alltag spielte Funk ein Video ab, das einen Quadrocopter zeigte, der einen Menschen transportiert. Der Senkrechtstarter soll 2019 Marktreife haben und könnte eine Alternative zum Personenverkehr in den Smart Cities sein. Ein anderes Beispiel: Facebook arbeitet an Avataren, künstlich erzeugten dreidimensionalen Gebilden, die einen Menschen darstellen und sich zu Konferenzen zusammenfinden. Will heißen: Der Chef schickt seinen Avatar zum nächsten Meeting, der dort auf einen anderen Avatar trifft. Beide werden jeweils aus dem Heimatbüro  gesteuert. Funk: „So wäre eine realitätsnahe Konferenzsituation möglich.“

Dass sich die „schöne neue Welt“ nicht frei entwickeln darf, ist mittlerweile offenbar erkannt. Funk nannte vier Punkte, über die gesprochen werden müsse: das bedingungslose Grundeinkommen für jedermann, eine internationale Regulierung, Integrationspolitik und die noch längst nicht ausreichende Infrastruktur, sprich leistungsfähige Datenleitungen: „Es ist ganz wichtig, über diese Themen substanziell nachzudenken.“ wb

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