„Wir schauen 30 Jahre voraus“

Professor Dr. Volker Gollnick (links) und Dr. Florian Linke vor dem Globus, der die Globalwirkungen des Flugverkehrs darstellt und im „Goldfisch“-Foyer, Blohmstraße 20, im Harburger Binnenhafen steht. Hier ist das Institut zu Hause.Professor Dr. Volker Gollnick (links) und Dr. Florian Linke vor dem Globus, der die Globalwirkungen des Flugverkehrs darstellt und im „Goldfisch“-Foyer, Blohmstraße 20, im Harburger Binnenhafen steht. Hier ist das Institut zu Hause.

Das TUHH-Institut für Lufttransportsysteme: Prof. Dr. Volker Gollnick ist Visionär

Diese Karte hat es in sich: Auf der großen Projektionswand im „Goldfisch“ an der Blohmstraße im Harburger Binnenhafen ist in gewisser Weise die Zukunft des Fliegens abgebildet. Bildhaft. Fantasievoll. Visionär. Hier geht es um die Zukunft des Fliegens in all ihren Facetten. Das bestätigt Professor Dr. Volker Gollnick, Leiter des TUHH Instituts für Lufttransportsysteme und Direktor des gleichnamigen Instituts des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR): „Wir schauen 30 Jahre voraus.“ Seit elf Jahren kooperieren die TU Hamburg und das DLR in dieser gemeinsamen Institution.

Gollnick: „Was wir in unserem Institut sowohl an der TU als auch im DLR erforschen, ist nicht so produktorientiert wie viele Themen meiner Kollegen an der TUHH. Aber es ergeben sich in der Praxis viele Fragen, bei deren Beantwortung wir helfen, indem wir Gesamtzusammenhänge herstellen, Wechselwirkungen aufzeigen und Lösungsansätze entwickeln, die dann von anwendungsnah forschenden Kollegen aufgegriffen werden können, um produktnahe Lösungen zu erforschen und zu entwickeln.“

Von Gänsen lernen?

Ein Beispiel: Formationsflüge. Wenn sich im Herbst die Zugvögel nach Süden aufmachen, geschieht das vielfach in der bekannten V-Formation. Die erste Wildgans gibt die Richtung vor, dahinter formieren sich die anderen Gänse „spritsparend“ im Windschatten. Von Zeit zu Zeit wird der Spitzenflieger ausgewechselt. Gollnick: „Die Frage, ob das Prinzip nicht auch im Luftverkehr anwendbar sein könnte, liegt ja auf der Hand. Wir gehen dem auf den Grund und untersuchen wissenschaftlich, ob Formationsflüge technisch Sinn machen. Dazu wurde gerade nach sechs Jahren intensiver Forschung eine Dissertation zum Abschluss gebracht. Tatsächlich ließe sich durch Formationsflüge Kraftstoff sparen, und es würden sich weniger Kondensstreifen bilden. Unsere Ergebnisse haben aufgezeigt, was und wie man es anstellen müßte, damit es global wirklich geht. Das betrifft das Flugzeug, die Flugsicherung, die Airline. Wenn alle Beteiligten bestimmte Beiträge leisten, die zusammenpassen, dann kann man echt Sprit sparen, auch wenn ein paar Kompromisse gemacht werden müssen.“

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Noch so ein Schlagwort: Kondensstreifen. Selbst der „Spiegel“ hat der populären Verschwörungstheorie rund um die sogenannten Chemtrails eine Story gewidmet. Gollnick: „Mit Kondensstreifen befassen wir uns seit vielen Jahren in ganz enger Zusammenarbeit mit dem DLR Institut für Physik der Atmosphäre in Oberpfaffenhofen. Tatsächlich gehen die Klimaforscher und wir davon aus, dass sie sich auf das Klima auswirken.

Dazu erarbeiten wir weltweit einzigartig exakte globale Emissionskataster und forschen an operationellen Lösungen, um die Klimawirkung des Luftverkehrs zu verbessern. In einer aktuellen wissenschaftlichen Arbeit geht es um eine solche Klimawirkungsbilanz. Im Ergebnis könnte dabei eine Klima-Maut herauskommen, die für bestimmte Regionen erhoben wird.“

„Weltweit einzigartig“

Die beiden Beispiele zeigen anschaulich die Thematik auf, mit der sich Gollnick und sein Team auseinandersetzen: „Wir geben konkrete Antworten auf Systemfragen“, sagt er. „Das macht uns weltweit einzigartig.“ Zum Themenkatalog zählen Vehikel-Konzepte, Geschäftsmodelle für den Airline-Betrieb, die Infrastruktur (Flugführung, Navigation, Flughäfen) und die umfassende Systemanalyse und -bewertung. Dazu, dass in manchen asiatischen Staaten bereits die Drohnen fliegen, sagt Gollnick: „Die machen das einfach. Dann sieht man, was geht. Wir hier in Deutschland und Europa versuchen, die Dinge möglichst zunächst komplett zu durchdenken, bevor wir was bauen und betreiben.“

Dr. Florian Linke, vom DLR Institut für Lufttransportsysteme, befasst sich als Abteilungleiter Infrastrukturen und Prozesse sowie Systemanalyse zusammen mit dem Institut der TUHH unter anderem mit dem Thema der Nachhaltigkeit des Fliegens. Er hat zusammen mit den Mitarbeitern an der TUHH das globale Emissionskataster der Luftfahrt entwickelt. Im „Goldfisch“-Foyer ist ein Globus aufgestellt, der die globalen Effekte der Luftfahrt darstellen kann. Hier sieht der Betrachter beispielsweise, wo auf der Welt die meisten Schadstoffe durch Flugzeuge ausgestoßen werden. Das Kataster dient heute unter anderem als Grundlage für die Arbeit im Bundesumweltamt und die EU-Kommission. Linke: „Wir nehmen dabei eine neutrale Rolle ein, möchten aber Positives für die Gesellschaft erreichen.“ Und Gollnick fügt hinzu: „Wir bieten hier Lösungen an. Unser Ziel ist es, Luftfahrt in Zukunft auch unter dem ökologischen Aspekt attraktiv zu halten.“

Der Formationsflug führte bereits zu greifbaren Ergebnissen: In Simulationsstudien wurden unter sehr vereinfachten Randbedingungen bis zu 14 Prozent Treibstoffeinsparung aufgezeigt. Gollnick: „Legt man jedoch die reale operationelle Situation zugrunde, bei der unter anderem reale Flüge, Flugsicherungsaspekte, Wind und andere operationelle Gesichtspunkte berücksichtigt sind, kommen wir realistisch auf etwa drei Prozent Einsparung. Das liegt unter anderem daran, dass so ein Formationsflug nie ganz perfekt funktioniert.“ Realistisch wäre aber, Flieger aus verschiedenen Orten Europas vor einer Atlantik-Überquerung zu einer Formation zusammenzufassen und diese in Amerika wieder aufzulösen, damit jeder sein Ziel ansteuern kann.

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Flugzeug mit Batteriebetrieb

Für den Laien mag es utopisch klingen, aber das elektrische Fliegen ist durchaus ein Thema, mit dem sich die Wissenschaft auseinandersetzt. Gollnick: „Letztlich setzt die Speicherung von Elektrizität eine Grenze. Solange es hier keine neuen Lösungen gibt, ist das E-Fliegen eher etwas für die kleinen Flugzeuge und sehr kurze Strecken. Wir können das mit dem Tesla-Ansatz vergleichen – eine etwas teurere Lösung, aber es dürfte einen Markt geben.“

Auch das autonome Fliegen ist ein Zukunftsthema – also der Flugzeugbetrieb ohne Pilot. „Daraus ergeben sich wieder spannende Fragen: Wie sieht ein Cockpit ohne Pilot aus? Was geschieht im Falle einer Notlandung“, erklärt Gollnick. Denkbar wäre autonomes Fliegen möglicherweise bei Frachttransporten oder eben auf der Kurzstrecke – beispielsweise als „Teile-Shuttle“ zwischen zwei Produktionsstandorten.

Langsamer und tiefer

Eine besondere Fragestellung ist hinter dem Begriff „Value of time/value of speed“ verborgen: Ist es sinnvoll, schneller zu fliegen, damit die Passagiere schneller am Ziel sind? Die Wirklichkeit sieht so aus: Wer von Hamburg nach Paris fliegt, ist 70 Minuten in der Luft, aber de facto sechs Stunden unterwegs. Gollnick: „Nehmen wir mal an, das Flugzeug würde langsamer und niedriger fliegen, dann hätten wir zwar fünf Prozent höhere Kosten, würden aber auch 20 Prozent Dämpfung beim luftfahrtinduzierten Temperaturanstieg erzielen. Das wäre ein echter Beitrag zum Zwei-Grad-Ziel! Das sind die Zusammenhänge, mit denen wir uns hier befassen.“ Linke: „Wenn ich nicht elf, sondern nur neun Kilometer hoch fliege, unterfliege ich zudem die Region, in der sich Kondensstreifen bilden.“ So greifen die Forschungen ineinander.

Und noch ein Thema mit Aha-Effekt: Würden Flugzeuge auf der Langstrecke mehrmals zwischenlanden, könnten die Kerosinkosten um etwa fünf Prozent gesenkt werden, der Schadstoffausstoß folglich ebenfalls. Warum? Weil die Flieger nicht mehr voll betankt werden müssten, also im Schnitt deutlich leichter wären. Gollnick: „Auf der Non-Stop-Strecke Frankfurt-Singapur habe ich den Sprit für die letzten 1000 Kilometer bereits in Frankfurt an Bord und transportiere ihn um die halbe Welt . . .“