Decatur-Brücke in Maschen: Der Plan B wird noch gesucht

Die Zeichen stehen auf Rot: Ab 1. Oktober 2016 ist die marode Decatur-Brücke in Seevetal komplett gesperrt. Sogar für Fahrradfahrer und Fußgänger . . . Foto: Wolfgang Becker

Ab 1. Oktober ist das Bauwerk über dem Rangierbahnhof total gesperrt – Bahn-Gewerbegebiet abgeschnitten – Pendler haben das Nachsehen

Von Wolfgang Becker

So hatte es sich Seevetals Bürgermeisterin Martina Oertzen eigentlich nicht vorgestellt: Das schwierigste Thema ihrer Amtszeit ist eine marode Immobilie, die den strammen Vorgaben des 2011 aufgelegten Nachrechnungsgesetzes zum Opfer gefallen ist. Die Decatur-Brücke, benannt nach der US-Partnerstadt Decatur, ist eine fast 800 Meter lange aufgestelzte Wegeverbindung aus zunehmend sprödem Stahlbeton, die quer über Europas größten Güterbahnhof in Maschen führt und zudem ein Bahn-eigenes Gewerbegebiet im Herzen der Gleisanlagen erschließt. Abriss und Neubau würden die Kommune selbst dann noch finanziell überfordern, wenn es die vom niedersächsischen Wirtschaftsminister Olaf Lies vage in Aussicht gestellte 75-Prozent-Beteiligung des Landes tatsächlich gäbe (der Fördertopf endet 2019, und andere Projekte stehen auch an). Und die Bahn? „Ist zurückhaltend“, sagt die Bürgermeisterin und findet, dass dieses Projekt von so übergeordnetem Interesse ist, dass die Neigung, eine zeitnahe Lösung zu finden, bei Land, Bund und Bahn eigentlich ausgeprägter sein müsste. Kurz: Die Kommune fühlt sich allein gelassen.

Am Anfang der Geschichte steht ein simpler kleiner Bahnübergang, über den die Bewohner aus Hörsten in den 60er-Jahren nach Maschen kamen – eine bis heute geschätzte Verbindung für Schüler, Eltern mit Kindergartenkindern und Einzelhandelskunden. 1970 begann der Bau des größten europäischen Güterbahnhofs vor den Toren Hamburgs, er wurde quasi um den kleinen Bahnübergang herumgebaut. Die vertraute Wegeverbindung wurde mit einer fast 800 Meter langen Brücke hergestellt, die irgendwann von Seevetal übernommen wurde. Deutsche Bahn und Seevetal wurden zu Partnern im Sinne des Eisenbahnkreuzungsgesetzes, das die Zuständigkeiten regelt. Zur technischen Unterhaltung erhielt die Kommune damals drei Millionen Mark – und ist seitdem zuständig.

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Die Nachrechnungsrichtlinie

Heute ist die Brücke Schrott – zumindest nach den strengen Vorgaben der vergleichsweise jungen Nachrechnungsrichtlinie. Sie ist so marode, dass der einspurige Verkehr zum 30. September eingestellt werden muss. Selbst Radfahrer und Fußgänger dürfen sie nicht mehr benutzen – rein rechnerisch zu gefährlich. Vermutlich würde Putin ohne zu zögern eine Panzerbrigade über die Decatur-Brücke rollen lassen (wenn die in Russland stünde), aber sicher ist sicher: So lange die total gesperrte deutsche Brücke nicht abgerissen ist, muss im Winter sogar der Schnee beseitigt werden. Wegen der rechnerisch zu hohen Lasten. Und wer ist zuständig? Seevetal.

Was nun tun? Martina Oertzen und ihre Fachbeamten sind seit Monaten in Gesprächen. Doch wenn es teuer wird, ducken sich alle Adressaten weg. In ihrer Verzweiflung denken die Seevetaler sogar über die Nutzung der sogenannten Viehtrift nach, einer unbeleuchteten Passage, die unterhalb des Güterbahnhofs auf etwa 700 Metern parallel zur Seeve verläuft, bei Hochwasser überschwemmt wird, gut zwei Meter Deckenhöhe hat und in den zurückliegenden Jahrzehnten vermutlich noch nicht mal von einem Igel genutzt wurde. Ein fast skurriler Plan, der aber immerhin belegt, dass keine Gelegenheit ausgelassen wird, den Hörstener Radfahrern und Fußgängern den Weg nach Maschen zu ebnen. Auch in der Gegenrichtung war die Brücke übrigens wichtig – unter den etwa 3500 Fahrzeugbewegungen täglich waren viele Pendler, denn der Bahnhof Maschen liegt auf der Hörstener Seite.

Das dauert Jahr . . .

Was Martina Oertzen wundert: Das Bahn-eigene Gewerbegebiet, in dem unter anderem das Logistikunternehmen DB Schenker zu Hause ist, wird über die Brücke erschlossen. Wie das künftig gelöst werden soll, ist noch offen. Möglicherweise hat die Bahn eigene Wege, die irgendwie aus dem Gleislabyrinth herausführen. Fakt bleibt: Bis eine Lösung gefunden ist – ein Tunnel, eine neue Brücke, ausgebaute Geheimwege – werden nach Ansicht der Bürgermeisterin noch Jahre vergehen: „In meiner ersten Amtszeit werden ich das nicht zu Ende bringen.“ Unerklärlich sei auch, dass ein Bahnhof von Europa-Rang brückentechnisch von einer kleinen Einheitsgemeinde betreut werden soll. Nur zum Vergleich: Die jährlichen Unterhaltungskosten liegen bei mehr als 300 000 Euro. Und Seevetal hat 18 Brücken . . .

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