Der Traum vom Leben im Hafen

Werner Pfeifer weiß nicht, wie viel er in das Schiff investiert hat, seit er es 1990 erwarb und umzubauen begann. Gut möglich, dass er für das Geld locker ein Haus an Land hätte bauen können. Der Liedermacher zuckt die Achseln. Das war für ihn nie eine Option. Denn er liebt ja gerade Wasser und Hafenflair, diese maritime Mischung aus Gewerbe und Wohnen. Er begeistert sich für das unmittelbare Nebeneinander der luxuriösen Schlossinsel-Domizile, Traditionsschiffe und schicken Yachten. Er liebt den Blick auf Schaufelbagger und Schuten und Schrott. Genau das bedeutet für ihn Lebensqualität. Obwohl, wie er zugibt, bei Ostwind das monotone Rauschen der Autobahn 1 und bei Westwind die Rauchfahne aus dem Kohlekraftwerk Moorburg herüberwehen. Trotzdem bekommt er regelmäßig Anfragen nach Liegeplätzen an seiner Steganlage, die er abschlägig beantworten muss, weil bei ihm alles besetzt ist.

Die große Sehnsucht
Viele Menschen denken und empfinden wie Werner Pfeifer. Die Sehnsucht nach einem schwimmenden Domizil ist groß, das Angebot von Liegeflächen klein.
In Stade finden sich gerade einmal drei Wasserareale im Holzhafen, alle verpachtet und bewohnt. Es seien derzeit auch keinerlei größeren Planungen angedacht, erklärt der Stader Pressesprecher. In Buxtehude gibt es bisher gar keine Hausboote, und dabei wird es vermutlich bleiben. Zwar bestehe die Idee, aber konkrete Flächen seien bisher noch nicht benannt worden. Die Realisierung dürfte aufgrund der Widmung der unteren Este als Bundeswasserstraße auch schwierig sein, heißt es von Seiten der Verwaltung.
Und selbst in Hamburg, dem Venedig des Nordens, haben die dafür zuständigen Bezirksämter bisher kaum Liegeflächen ausgewiesen. Obwohl das Ziel, mit der Entwicklung von Wasserlagen dem Leitbild „Wachsende Stadt – grüne Metropole am Wasser“ zusätzliche Impulse zu geben, seit beinahe zehn Jahren auf der Agenda steht. „Hamburg ist hoch gesprungen, aber nicht besonders weit gekommen“, meint Werner Pfeifer, der die Entwicklung als Insider und Journalist genau verfolgt hat.

Mangel an geeigneten Plätzen
Im Bezirk Nord sind am Eilbekkanal etwa zehn schwimmende Häuser registriert, in Mitte sind gerade mal 36 Liegeplätze am Mittel- und Südkanal, am Sonninkanal, im Hochwasserbassin und auf der Bille ausgewiesen. Ein 2016 vom Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung veröffentlichter Plan stellt fest „dass das Potenzial an Liegeflächen im Bezirk Hamburg-Mitte kurz- und mittelfristig sehr begrenzt ist, auch wenn die Nachfrage nach Liegeflächen weiterhin sehr groß bleibt“. Die Behörde sieht viele Hindernisse: Die Rede ist von möglicher Gesundheitsgefährdung durch hohe Schadstoffbelastung des Gewässerbodens, Anwohnerschutz, schutzwürdigen Grün- und Naturflächen am Ufer, erhaltenswerten Blickachsen über freies Wasser, möglichen Einschränkungen maritimen Freizeitverkehrs durch Lieger. Vor allem aber ist der Mangel an geeigneten Wasserflächen darin begründet, dass große Areale in Hafen-,
Industrie- und Gewerbegebieten der Verwaltungshoheit der Hamburg Port Authority (HPA) unterliegen. Dort ist das Wohnen generell unzulässig. Als Werner Pfeifer 1999 seine Steganlage baute, gehörte der Harburger Binnenhafen noch dazu. Somit war nur „hafenkonformes Gewerbe“ möglich. Pfeifers Firma für Bootslagerung, An- und Verkauf, entsprach dieser Auflage. Er führt das Unternehmen bis heute.
2005 wurde der Binnenhafen aus dem Bereich der HPA entlassen und dem Bezirk Harburg unterstellt. Auf Pfeifers Betreiben kamen Behördenmitarbeiter und Hafenanlieger auf der „Stader Sand“ zum Gespräch zusammen. So entstanden gegenseitiges Vertrauen, Wertschätzung und ein Plan, mit dem alle Beteiligten leben können, wie Pfeifer sagt. Trotzdem gibt es in Harburg offiziell bis heute keine Hausboote, wie Pressesprecherin Anne Pilatz erklärt. Dessen ungeachtet existiert seit April vergangenen Jahres ein Liegeplatzkonzept, das festschreibt, wo Wohnen, Gewerbe und Freizeitnutzung erlaubt sind. Über entsprechende Anträge werde im Einzelfall entschieden, sagt sie. Freilich: Auch dort, wo eigentlich keine Wohnschiffe vorgesehen sind, liegen vereinzelt schwimmende Häuser, augenscheinlich bewohnt. Jörn Hilgert, Wasserschutzpolizist und im Binnenhafen bürgernaher Beamter, kennt die Diskrepanz zwischen Plan und Realität. Aber: „Warum sollen wir da ein Fass aufmachen?“

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In der rechtlichen Grauzone
Auch in Hamburg-Mitte will man gar nicht so genau wissen, was die Spatzen von den Dächern pfeifen. Auf vielen der Hausboote im Wilhelmsburger Spreehafen wird nicht nur gearbeitet, wie es dem Plan entspräche, der lediglich gewerbliche Nutzung vorsieht. „Stadtbekannt ist nicht gleichbedeutend mit amtsbekannt“, heißt es in der Behörde hinter vorgehaltener Hand. Nicht ausgeschlossen, dass es für einige der schwimmenden Objekte Genehmigungen aus längst vergangenen Zeiten gäbe. „Graue Lieger“ nennen die Beamten Schwimmhäuser, die in rechtlicher Grauzone dümpeln. Dabei sind oftmals gerade sie es, die den Hafen mit ihren farbigen Fassaden und eigenwilligen Bewohnern bunt gestalten. „Wir sind hier doch das Salz in der Suppe“, sagt Werner Pfeifer.

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