Eine komplizierte Beziehung

Zukunftsregion Süderelbe trifft Zukunftsatlas – Die Prognos-Zahlen sprechen eine deutliche Sprache – Das Ziel ist klar, aber der Weg noch weit.

Zukunft? Das ist das, was morgen Vergangenheit ist – man könnte jetzt viel darüber spekulieren, wie das im Zusammenhang mit der Zukunftsregion Süderelbe zu verstehen ist, aber da ist ziemlich klar: Es geht darum, die Potenziale zu entdecken und zu fördern, die dafür sorgen, dass die Region (in diesem Fall die Landkreise Harburg, Stade, Lüneburg und die Stadt Lüneburg) wirtschaftlich betrachtet eine gute Zukunft hat. Rainer Rempe, Landrat im Landkreis Harburg, ist da ganz optimistisch: „Wir haben ein unglaubliches Potenzial!“ So sein Abschluss-Statement beim Event „Zukunftsregion trifft Zukunftsatlas“, zu dem die Süderelbe AG (verantwortlich für das Regionalmanagement) in die Kapelle von Freiraum Winsen e.V. nach Winsen geladen hatte. Der Zukunftsatlas, ein bewährtes Ranking der Prognos AG, das seit 2004 alle drei Jahre die wirtschaftliche Strahlkraft von 400 Landkreisen und kreisfreien Städten sowie demografische Einflüsse und weitere Faktoren analysiert, hat es allerdings in sich – die nüchternen Zahlen zeigen, dass der niedersächsische Teil der Süder­elberegion zwar durchaus Potenzial hat, aber eben in einigen wichtigen Bereichen auch noch viel Luft nach oben vorhanden ist.

29 Indikatoren geprüft

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Die erfolgreiche Bewerbung als Zukunftsregion Süderelbe geht auf eine Gemeinschaftsinitiative der Landkreise Harburg (Leadpartner), Stade und Lüneburg sowie der Stadt Lüneburg zurück. Die Süderelbe AG (SAG) und die Initiatoren stehen auf dem Standpunkt, dass Innovation kein Privileg der Metropolen ist, sondern auch in der Fläche funktioniert – so wurde das Konzept „Zukunftsregion Süderelbe – Die Region als Open Creative & Innovative Space“ geboren und vom Land Niedersachsen für förderfähig erachtet. SAG-Vorstand Dr. Olaf Krüger freute sich deshalb besonders darüber, dass die neue niedersächsische Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und Regionale Entwicklung, Wiebke Osigus, nach Winsen gekommen war – sozusagen als Schirmherrin der 14 niedersächsischen Zukunftsregionen (Förderumfang insgesamt: 96 Millionen Euro). Krüger formulierte das Ziel: „Eine innovative, nachhaltige und vernetzte Region.“ Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg, wie man den Zahlen entnehmen konnte, die Dr. Jonathan Eberle von der Prognos AG erläuterte. Dabei werden 29 sozialökonomische Indikatoren aus den Bereichen Demografie, Arbeitsmarkt, Wettbewerb & Innovation sowie Wohlstand & Soziale Lage überprüft und das Ergebnis ist seit dem Start im Jahr 2004 im Grunde immer dasselbe: München Stadt und Land stehen auf den Plätzen eins und zwei, was irgendwie an den FC Bayern erinnert. Erstmals wurde dies jetzt von Erlangen torpediert – die bayerische Stadt landete zwischen München Stadt und Land auf Platz zwei. Interessanter ist es allerdings auf den weiteren Plätzen. Wer die Süderelbe-Landkreise sucht, muss schon etwas hinabsteigen. Auf Platz 127, immerhin im vorderen Drittel, findet sich dann der Landkreis Harburg (minus 11 Punkte), auf den Plätzen 208 Stade (minus 33) und 210 Lüneburg (plus 17). Lediglich dem Kreis Harburg werden von den Analysten „leichte Zukunfts­chancen“ eingeräumt. Optimismus lässt sich damit kaum verbreiten.

Immerhin: Die Prognos-Analyse hat ergeben, dass Verflechtungen zwischen Großstädten und dem Umland die besten Zukunftschancen eröffnen. Das lässt sich bundesweit in den Metropolregionen ablesen – einzig Hamburg ist eine Ausnahme. Eberle: „Hier ist die Grenzziehung zwischen der Stadt und dem Umland vergleichsweise scharf.“ Im Klartext: Das Umland profitiert nicht in dem Maße von Hamburg, wie es sein könnte, wohl aber Hamburg vom Umland – insbesondere durch die zig Tausend Pendler, die in der Hansestadt arbeiten. Im Gegensatz zu München ist Hamburg allerdings ein Stadtstaat und damit ein eigenständiges Bundesland, was die Verflechtung aus politischen und administrativen Gründen insgesamt erschweren dürfte.

Das sagen die Zahlen

Durch die Niedersachsen-Brille betrachtet stellt sich das Ranking so dar: Die drei besten Platzierungen innerhalb der 400 Regionen erreichen Wolfsburg (5), Braunschweig (27) und Oldenburg Stadt (51), die drei schlechtesten sind der Kreis Lüchow-Dannenberg (376), Wilhelmshaven Stadt (366) und der Landkreis Goslar (362).

Positiv in der Zukunftsregion Süderelbe: Die drei Landkreise Harburg (plus 1,9 Prozent), Stade (1,7) und Lüneburg (1,0) verzeichnen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt (0,3) eine stark wachsende Bevölkerung (2018 bis 2021). In Stade und Harburg sind zudem die Geburtenraten überdurchschnittlich hoch. Damit landet der Kreis Harburg auf Platz 28. Bei der Akademikerquote sieht es dagegen insgesamt schwach aus. Bundesdurchschnitt: 18,2 Prozent, Niedersachsen (14). Landkreise Harburg (10,5), Lüneburg (15,7), Stade (10,7). Hamburg landet mit beeindruckenden 26,5 Prozent übrigens auf Platz 20 im Ranking.

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Regelrecht alarmierend sieht es im Bereich der Arbeitsplatzdichte (Erwerbstätige pro Einwohner) aus: Deutschland 54 Prozent, Niedersachsen 51,4 Prozent, Hamburg 69,7 Prozent (Platz 49), Landkreise Harburg 38,9 Prozent (Platz 369), Lüneburg 46,7 Prozent (Platz 236) und Stade 44,4 Prozent (Platz 289). Ähnlich dramatisch ist auch der Anteil der „digitalen Impulsgeber“. Auch hier ist Hamburg mit Platz 31 weit vorn, während die Landkreise Harburg (353) und Stade (364) weit abgeschlagen sind. Lediglich Lüneburg (213) hält sich im Mittelfeld.

Diese Zahlen verdeutlichen die scharfe Grenzziehung zwischen Hamburg und dem südlichen Umland ziemlich gut. Ganz anders sieht es allerdings beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) für die Jahre 2015 bis 2020 aus. Da liegt Hamburg mit Platz 260 noch hinter Stade (235) während der Kreis Lüneburg auf Platz 77 und Harburg auf Platz 66 im ersten Viertel zu finden sind. Der Landkreis Harburg verzeichnet zudem mit einem Plus von 6,7 Prozent einen auffallend hohen Zuwachs in der Gesamtbeschäftigung (Lüneburg und Stade jeweils 3,2 Prozent).

Während sich die Landkreise beim Beschäftigungsanteil in Zukunftsbranchen (2021) recht wacker im Bereich des Bundesdurchschnitts (47,1 Prozent) bewegen (lediglich Lüneburg liegt zehn Prozentpunkte darunter und somit auf Platz 358), sieht es im Parameter F&E-Personal Wirtschaft an der Gesamtbevölkerung (Forschung & Entwicklung) im Landkreis Harburg mit 0,16 Prozent vergleichsweise dünn aus. Das reicht nur für Platz 363. Will heißen: Nur 37 Regionen in Deutschland sind noch schlechter dran.

Trotz allem kommt die Prognos AG zu dem Schluss, dass der Landkreis Harburg eine Top-Wachstumsregion ist. Der Kaufkraftindex 2022 liegt mit 115,4 weit über dem Durchschnitt (Deutschland = 100) und über den Werten von Hamburg (109), Lüneburg (98,1) und Stade (103,5). Damit landet der Landkreis Harburg im Ranking auf Platz 20. Die Botschaft: Hier wohnt das Geld.

Zu diesem Schluss kommt Prognos

Insgesamt sieht Prognos die Süderelbe Region auf einem guten Weg und fasst die Ergebnisse mit einem fünffachen „Aber so zusammen“:

 Die Bevölkerung wächst dynamisch, wird aber durch geringen Zuzug junger Familien immer älter.

 Arbeits- und Ausbildungsmarkt funktionieren, aber es gibt Nachholbedarf im Bereich der digitalen Mitarbeiterqualifizierung und eine zu geringe Akademikerquote.

 Gesamtbeschäftigung, BIP und Kaufkraft wachsen, aber der geringe Anteil an Beschäftigten in Zukunftsbranchen und im Bereich F&E wird das Wachstum verlangsamen.

 Die Gründungsintensität in der Region ist solide, aber es bestehen Defizite bei Hightech- und IKT-Gründungen (Informations- und Kommunikationstechnik).

 Der Megatrend Digitalisierung ist allgegenwärtig, aber die digitale Infrastruktur inklusive Bildung und Gründungen muss weiter ausgebaut werden.