Zuparken war gestern

Foto: Bente Stachowske/IBA HamburgSabine de Buhr leitet den Bereich Städtebau bei der IBA Hamburg GmbH. Foto: Bente Stachowske/IBA Hamburg

Planung für Oberbillwerder schafft mehr Freiraum

Vollgeparkte Straßen, das Auto als liebstes Kind der Deutschen omnipräsent, die individuelle Mobilität stets in unmittelbarer Reichweite – das sind die vielerorts üblichen Verhältnisse in den Wohngebieten. Die IBA Hamburg GmbH setzt jetzt neue Maßstäbe und plant mit Oberbillwerder einen komplett neuen Stadtteil, in dem Autos zwar noch vorhanden sind, aber eben nicht mehr überall und in jeder sich bietenden Lücke herumstehen. B&P sprach mit Sabine de Buhr, Leiterin des Bereichs Städtebau.

Die urbane Entwicklung am Stadtrand ist keineswegs eine neue Erfindung. Nachdem in Hamburg 2007 noch das Leitbild der „Stadt in der Stadt“ galt, wurde 2011 ein Paradigmenwechsel vollzogen und die Wachstumsstrategie erweitert um die Strategie: „Mehr Stadt an neuen Orten“. Oberbillwerder gehört zum Bezirk Bergedorf und soll so ein neuer Ort werden – übrigens eine Idee, die schon im historischen Fächerplan des damaligen Oberbaudirektors Fritz Schumacher vorgesehen war. Seit 1920 sind die landwirtschaftlich genutzten Flächen nördlich der Bahntrasse als potenzielle Entwicklungsfläche vorgesehen.

Parken im Mobility Hub

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Sabine de Buhr hat nun die Aufgabe, die Konkretisierung voranzutreiben. Und das in einer sich verändernden Welt, in der sich unter anderem die Anforderungen an Mobilität stark wandeln. Das Besondere: „Es wird in den Straßen keinen ruhenden Verkehr mehr geben. Die Stellplätze für Autos werden in elf Mobility Hubs konzentriert, die im gesamten Plangebiet verteilt sind. Für die Bewohner des künftigen Quartiers heißt das: Das Auto parkt maximal 250 Meter von der Wohnung entfernt“, erläutert die Stadtplanerin.

Der Begriff Mobility Hub steht im Kern für Quartiersgarage, meint jedoch im Kontext Oberbillwerder noch mehr. Sabine de Buhr: „Das sind keine reinen Parkhäuser. Die Hubs stehen in den fünf Quartieren, die eine unterschiedliche Charakteristik haben, und sind mehrheitlich mit einem Quartiersplatz kombiniert – hier kann sich das soziale, und kulturelle Leben entfalten. In den Erdgeschossen sind neben den Flächen für die Mobilitätsanforderungen, das heißt Fahrradstellplätze, Aufladestationen, Car-sharing-Angebote, Reparaturwerkstätte und ähnliches, auch Flächen für Kleingewerbe, Gastronomie oder auch Gemeinschaftseinrichtungen vorgesehen. Die Autos parken in den oberen Etagen.“ Handwerksbetriebe sollen in den Erdgeschossen der drei Mobility Hubs an der Erschließungsstraße untergebracht werden – sie tragen deshalb bereits heute den Namen Handwerkerhöfe.

Stellplätze für Autos in dem abgestuften Straßenkonzept (Ringstraße, Wohnstraßen, Wohnwege) sind demnach nur für mobilitätseingeschränkte Personen vorgesehen. Kurzzeitparkflächen sind der Anlieferung, dem Aus- und Einladen vor der Haustür sowie Rettungs- und Pflegediensten vorbehalten. Kurz: Das eigene Auto vor der Haustür ist in Oberbillwerder Vergangenheit. Wer ein Auto hat, benötigt einen Stellplatz, und diesen kann er im Mobility Hub mieten.

Neben vielen anderen Themen steht auch die Frage der Kapazitätsausschöpfung von Pkw-Stellflächen in Mobility Hubs. Hiermit befasst sich mittlerweile eine nichtuniversitäre Forschergruppe, da es wenig Sinn macht, einen Stellplatz fest zu vermieten, der dann tagsüber, wenn der Fahrzeughalter zur Arbeit gefahren ist, leer steht und nicht anderweitig genutzt werden kann. Sabine de Buhr: „Das Forschungsprojekt hat einen Umfang von gut 1,2 Millionen Euro und wird zu zwei Dritteln vom Bund gefördert. Die adminis­trative Steuerung erfolgt über den Bezirk Bergedorf, die operationale Projektsteuerung liegt bei uns. Ziel ist es unter anderem, ein App-gesteuertes Parkmanagement-System zu entwickeln.“

Mitte der 2020er-Jahre soll in Oberbillwerder die Hochbaureife erreicht sein. Der
105. Hamburger Stadtteil wird sich vom Zentrum heraus entwickeln. Sabine de Buhr: „Parallel zu den ersten Hochbauten werden wir auch den ersten Mobility Hub bauen, damit von Anfang an klar ist, dass dort der Platz für die Autos zu finden ist.“ Rund 5000 Stellplätze sollen im 124 Hektar großen Plangebiet geschaffen werden – nach und nach, denn bis der Stadtteil „fertig“ ist, werden 15 bis 20 Jahre vergehen. Sabine de Buhr: „So viel Zeit braucht man – nur so kann der Stadtteil ein Gesicht entfalten.“

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Realisierung bis 2040?

Zu den zentralen Einrichtungen, die in Oberbillwerder entstehen sollen, zählt auch der bislang in Lohbrügge beheimatete Teil der Hochschule für Angewandte Wissenschaften HAW Hamburg (Lifescience und Gesundheitsökonomie). Rund 5000 Studenten werden in Oberbillwerder lernen – und ein Teil davon vielleicht auch wohnen. Sabine de Buhr: „Wir sprechen bereits mit dem Studierendenwerk.“ Läuft alles nach Plan, können bis 2040 rund 15 000 Menschen ein neues Zuhause in den 6000 bis 7000 Wohneinheiten in Oberbillwerder finden.

Angst vor einer neuen Trabantenstadt müssen sie nicht haben: Die unterschiedlichen Quartiere erlauben hohe Flexibilität, eine gute soziale Durchmischung (Drittel-Mix), Vielfalt und Kleinteiligkeit. Private Investoren werden hier ebenso zum Zuge kommen wie Wohnungsbaugenossenschaften und -gesellschaften sowie kommunale Wohnungsunternehmen. Drei Schulen, ein Schwimmbad, Flächen für Einzelhandel, eine Reihe von Kindertagesstätten, Sportflächen und der „Grüne Loop“, ein wasserführender Grünzug, der die Quartiere miteinander verbindet, runden das Programm ab. Eines jedoch fehlt auf dem Plan: die „Kirche im Dorf“. Sabine de Buhr: „Die klassischen zentrums- und quartiersbildenden Gebäude wie Kirchen, Rathäuser oder Gemeindehäuser können ihre nachbarschaftsbildenden Aufgaben nicht mehr erfüllen – sie werden heute einfach nicht mehr in dem Umfang gebaut. Diese Funktion sollen die Quartiersplätze an den Mobility Hubs übernehmen.“