„Ein gutes Schiff für die nächste und übernächste Forschergeneration“

Grafik: NZUmfangreicher Anforderungskatalog: Das alles soll der Nachfolgebau der „Polarstern“ leisten und vorhalten. Grafik: NZ

Polarforscher Prof. Dr. Heinrich Miller über den Nachfolgebau für den Forschungseisbrecher „Polarstern“.

Von Ursel Kikker

Das AWI hatte kürzlich interessierte Werften und Zulieferer, die sich für den Bau der „Polarstern II“ interessieren, zu einer Informationsveranstaltung eingeladen. Dabei hat „Polarstern“-Kapitän Thomas Wunderlich das quietschende Geräusch von Eis vorgespielt, wenn das Schiff in den Polargebieten unterwegs ist. Hat Ihnen dieser Polarsound schon gefehlt?

Ja, irgendwann schon. An diese Geräuschkulisse muss man sich erst gewöhnen, aber dann hat man sie verinnerlicht. Wenn man sie wieder hört, dann weckt sie meistens schöne Erinnerungen.

Anzeige

Wann waren Sie denn das letzte Mal mit der „Polarstern“ unterwegs?

Zuletzt 1994. Ich habe dann meinen Forschungsschwerpunkt von der marinen Geophysik gewechselt zur Glaziologie und war seitdem vorwiegend auf den Inlandeisen unterwegs.

Wie haben Sie die Jungfernfahrt erlebt?

Sie ging los am 23. Januar 1983 in Kapstadt und führte auf direktem Weg zur damaligen Georg-von-Neumayer-Station. Auf dem Weg dorthin hat das Schiff natürlich die ersten Eisberührungen gehabt. Weil das Schiff noch keine richtige Eiserprobung hinter sich hatte, waren auch Ingenieure und Techniker von der Hamburgischen Schiffbauversuchsanstalt an Bord. Es gab richtige Eisbrechversuche. Dafür wurden große Eisschollen gesucht, erst vermessen, und dann fuhr die „Polarstern“ drauflos, in die Eisschollen hinein. Dann wurde wieder gemessen. Man war sehr erstaunt, dass das Eisbrechverhalten so gut war. Denn der Schiffsrumpf war ja nicht nur zum Eisbrechen entwickelt worden, sondern auch für gute Seeeigenschaften. Herkömmliche Eisbrecher sind bis heute keine angenehmen Schiffe auf hoher See, weil sie wegen der besonderen Rumpfform sehr stark zum Rollen neigen. Die jetzige „Polarstern“ ist ein Glücksgriff, weil sie diese guten Seeeigenschaften vereint hat mit guten Eisbrecheigenschaften. Das soll auch beim neuen Schiff so sein.

Welche Rolle hatten Sie bei der Jungfernfahrt?

Anzeige

Ich war damals noch an der Universität in München tätig. Ich hatte die Aufgabe, das geophysikalische Observatorium an der Neumayer-Station aufzubauen. Auf dem Weg dorthin und auf dem Weg zurück musste das wissenschaftliche Instrumentarium an Bord der „Polarstern“ zum Laufen gebracht werden. Es war ja alles neu. Ich konnte mich dabei einbringen und viel über die Forschungsschifffahrt lernen.

Was ist das Wichtigste, das bei der „Polarstern II“ anders werden wird und was der jetzigen „Polarstern“ fehlt?

Ihr fehlt etwas Eisbrechleistung, die erforderlich ist, um bestimmte Gebiete in der Arktis oder in der Antarktis zu erreichen. Das jetzige Schiff kommt mit 1,5 Meter dickem Eis zurecht, beim Nachfolgebau sollen es 1,8 Meter sein.

Das Meereis wird doch immer dünner und nimmt ab. Warum braucht die Wissenschaft dann einen stärkeren Eisbrecher?

Darauf gibt es zwei Antworten. In der Arktis wird das Meereis dünner und nimmt im Sommer deutlich ab, richtig. Aber weil es dünner wird, wird es leichter vom Wind und von den Strömungen bewegt und zusammengeschoben. Die Anzahl von Presseisrücken, die besonders dick sind, nehmen zu. Um da voranzukommen, und zwar möglichst in allen Jahreszeiten, brauchen wir einen stärkeren Eisbrecher. Wir müssen nicht immer ein ganzes Jahr dort forschen wie jetzt bei „MOSAiC“, aber schon mal im Frühjahr und Herbst. Mit der jetzigen „Polarstern“ hätten wir in der zentralen Arktis keine Chance. Auch das Gebiet nördlich von Kanada haben wir noch nicht erreicht.

Und wie sieht das in der Antarktis aus?

Da nimmt die Meereisdicke zwar nicht ab, aber im südlichen Weddellmeer, dem Hauptuntersuchungsgebiet der deutschen Polarforschung, treffen wir auf ganzjährig dickes Meereis mit viel Schnee. Dort haben wir mit der jetzigen „Polarstern“ mehrfach unser Ziel nicht erreicht. Ins zentrale Weddellmeer haben wir uns wegen der Eisverhältnisse noch nie richtig hineingetraut. Doch es ist ein Gebiet, indem ganz wichtige Klimaprozesse stattfinden. Deshalb müssen wir dorthin.

Dürfte ein Schiff wie die jetzige „Polarstern“ noch mal gebaut werden?

Nein, die Vorschriften haben sich geändert. Außerdem wollen wir mit dem neuen Schiff neue Maßstäbe bei der Umweltfreundlichkeit setzen. Dafür muss alles getan werden, was technisch möglich ist, aber gleichzeitig müssen wir auf bewährte Systeme setzen. Wir können nicht nur Innovationsträger sein. In den Fahrtgebieten, wo wir operieren, sind wir auf uns allein gestellt. Da hilft uns keiner, wenn das Schiff Probleme machen würde. Doch wir wollen es so weit vorbereitet wissen, dass wir regenerativ erzeugten Treibstoff wie zum Beispiel Methanol einsetzen können. Das gehört auch zur Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesrepublik. Wir müssen das Klima nicht nur erforschen, sondern, soweit möglich, mit den neuen Technologien auch einen Beitrag zu dessen Schutz leisten.

Wie sieht denn Ihr Engagement für die neue „Polarstern“ jetzt gerade aus?

Solche Beschaffungsverfahren, die mit öffentlichen Geldern erfolgen, erfordern ganz bestimmte Abläufe. Da gibt es viel zu tun. Wir haben täglich mindestens zwei längere Videokonferenzen in verschiedenen Arbeitskreisen.

Was reizt Sie daran, sich einzubringen? Sie waren ja schon als Berater beim ersten Ausschreibungsverfahren dabei, das am Ende vom Bundesforschungsministerium abgebrochen wurde. Das war ja schon ein zäher Prozess.

Ich halte es wirklich für wichtig, dass eine neue „Polarstern“ möglichst optimal für die Forschung ausgestattet wird. Ich habe über die Jahre an Erfahrung gewonnen. Die will ich gerne einbringen, damit die nächste und übernächste Forschergeneration ein gutes Schiff bekommt. Denen sei es herzlich gegönnt. Ich werde damit nicht mehr fahren. 

Zur Person:

Prof. Dr. Heinrich Miller (77) wurde in Innsbruck geboren. Er arbeitete an der Universität München, bevor der Geophysiker und Glaziologe Mitte der achtziger Jahre ans Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven kam. Er engagierte sich in vielfältiger Weise und arbeitet jetzt mit in dem wissenschaftlich-technischen Gremium für die „Polarstern II“. Miller hat sich schon vor mehr als zehn Jahren dafür eingesetzt, rechtzeitig einen neuen Forschungseisbrecher auf den Weg zu bringen.