Die verstopfte Metropole

Foto: AGAAGA-Präsident Dr. Hans Fabian Kruse || Foto: AGA

AGA-Präsident
Dr. Hans Fabian Kruse zur aktuell angespannten
Ver­kehrs­situation in Hamburg.

Wer sich mit dem Auto nach Hamburg traut, kann derzeit verzweifeln. Nicht nur die großen Einfallstraßen, insbesondere die Autobahnen A7 und A1, sind teilweise nur noch als Dauerbaustelle zu haben. Auch eine Vielzahl kleinerer Baustellen, die Teilsperrung von Straßen wie beispielsweise am Jungfernstieg und der politisch motivierte Vorfahrts-Hype für Fahrradfahrer sorgen für die große allgemeine Verunsicherung des Kraftverkehrs. Darunter leiden nicht nur Berufspendler und Touristen, sondern gerade auch Lieferanten, Zusteller und Handwerker – all jene also, die aus beruflichen Gründen mit dem Auto, Transporter und gar Lkw in die Stadt hineinfahren müssen und mit Glück auch irgendwann wieder herauskommen. Über das Thema Straßenverkehr sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker mit Dr. Hans Fabian Kruse, Präsident des AGA Unternehmensverbandes. Er vertritt die Interessen von 3500 Unternehmen vorzugsweise des Groß- und Außenhandels in Norddeutschland. Hamburg liegt als Metropole mittendrin.

Beim Thema Straßenverkehr in Hamburg springen alle Signale auf Rot. Wie nehmen Sie die derzeitige Situation allgemein wahr?

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Bei jeder Diskussion über Verkehr dürfen wir die Basics nicht aus dem Auge verlieren, und die sind für mich, dass wir Transporte effizient und günstig durchführen können. Unsere ganze Gesellschaft lebt davon, dass Transportleistungen erbracht werden. Gerade unsere Unternehmen im AGA transportieren andauernd Waren von A nach B.

Und das weltweit . . .

. . . aber das betrifft natürlich auch Deutschland. Jede Behinderung führt zu einer Verteuerung und damit zu einem Wohlstandsverlust. Einfaches Beispiel: 1990 brauchten wir sechs Stunden, um von Hamburg nach Rostock zu kommen – heute sind es zwei Stunden. Ein enormer volkswirtschaftlicher Gewinn. Wenn wir über Verkehr reden, dann gibt es sicherlich den Individualverkehr, aber mindestens 30 Prozent des gesamten Aufkommens sind Lieferverkehre. Das sind die Blutadern unserer Wirtschaft und unserer Gesellschaft – was in der gesamten Diskussion nicht außer Acht gelassen werden darf. In Österreich sagt man: Der Pendler braucht das Auto, der Bauer braucht den Traktor, und der Unternehmer braucht den Lkw – sonst funktioniert der Laden nicht.

Was ja auch stimmt . . .

. . . und das gilt genauso auch für Norddeutschland. Wir brauchen diese Transportdienstleistungen. Wenn wir die kappen, bedeutet das einen Wohlstandsverlust, denn die entstehenden Mehrkosten tragen wir alle!

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Nun haben wir verschiedene Ebenen – die globale, da sprechen wir über die weltweiten Lieferketten und beispielsweise extrem gestiegene Frachtraten, die europäische, die nationale und die Hamburger Ebene.

Und auf allen vier Ebenen dürfen wir die Basics nicht vernachlässigen. Ich sage: Wer Staus bewusst herbeiführt, der schadet der Umwelt. Das ist in meinen Augen keine grüne Politik.

Finden Sie, dass in Hamburg Staus bewusst herbeigeführt werden?

Nun, sie werden leichtfertig in Kauf genommen. Denn man stellt sich offensichtlich nicht die Frage, wie Staus verhindert werden können.

Sie vermissen ein Konzept?

Ich kritisiere, dass sich Politiker nicht darüber im Klaren sind, dass die Aufrechterhaltung von Verkehrsflüssen ein gesamtgesellschaftliches Gut ist, das es zu bewahren gilt – weil alles andere einen hohen Preis hat. Da vermisse ich Anstrengungen. Konkret geht es um Baustellenmanagement, die Frage, wie viele Leute auf den Baustellen arbeiten, und so weiter. Wenn dann die Staus zunehmen, wird auf die bösen Unternehmer gezeigt, die ihre Lager auf die Autobahn verlagert haben. Aber das ist zu kurz gedacht.

Wir sitzen hier am Gänsemarkt. Hier mit dem Auto herzukommen, ist schon mal ein Fall für sich, seit der Jungfernstieg gesperrt ist. Was halten Sie von solchen Verkehrsverhinderungskonzepten?

Wir brauchen eine gut erreichbare Innenstadt – und müssen auf jeden Fall die Transportleistungen in der City weiterhin ermöglichen. Die Teilsperrung eines Jungfernstiegs ist an sich keine Katastrophe, das kann eine Gesellschaft beschließen – aber wir brauchen die Lieferverkehre! Das muss organisiert werden. Und daran müssen wir als Verband hart arbeiten, sind aber auch im Gespräch mit dem Senat. Immerhin sind nun doch Sondergenehmigungen für Handwerker erteilt worden – ein erster Erfolg.

In der Summe sind es ja häufig die Kleinigkeiten, die den großen Ärger verursachen – ein unlösbares Problem?

Man muss sich jede einzelne Baustelle anschauen und prüfen, wie sie am besten organisiert werden kann. Es geht ja nicht um den Frust des Bürgers Kruse auf dem Nachhauseweg, sondern darum, dass heute ein Unternehmer aus Billbrook, der in den Hafen will und früher mit seinem Lkw vier Fahrten am Tag machte, jetzt nur noch zwei schafft. Das heißt: Er braucht zwei Lkw – doppelte Kosten und doppelte Umweltverschmutzung. Darum ist jemand, der Staus in Kauf nimmt, kein Freund der Umwelt.

Wenn es nach dem Willen mancher Politiker in Hamburg ginge, wäre es wünschenswert, dass der Bürger Kruse nicht mit dem Auto, sondern mit dem Fahrrad fährt. Hamburg wird zur Fahrradstadt – als Autofahrer fühlt man sich da zunehmend verunsichert. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin ein Heavy-User des Stadtrads und nutze es gern für die kleinen Strecken in der City. Das ist die einfachste Möglichkeit, ans Ziel zu kommen, wenn es die Umstände und das Wetter zulassen. Aber das ist keine Lösung für die Lieferverkehre. Der Verkehrssenator wird Ihnen bestätigen, dass sich der Fahrradverkehr vielleicht von fünf auf
15 Prozent steigern lässt, aber das Fahrrad kann eben nur einen Teil der benötigten Verkehrsleistung abdecken. Wir brauchen eine Stärkung des ÖPNV – deshalb begrüße ich auch den Hamburg-Takt. Der Senat braucht einen langfristigen Plan – und ohne Individualverkehr kommen wir nicht aus.

Gibt es aus AGA-Sicht einen konkreten Wunsch an den Senat?

Effizientes Baustellenmanagement, fließenden Verkehr auf den wichtigen Achsen und Ladezonen in der Innenstadt. Das Transportvolumen nimmt generell zu, weil wir auch international immer stärker vernetzt sind. Dem müssen wir uns stellen. Wenn der Gesamtverkehr zunimmt, ist es keine Lösung, die Hälfte des Straßenraumes wegzunehmen und darauf zu hoffen, dass dann alles gut wird. Unser Hamburger Verkehrssenator will erreichen, dass der Autoverkehr um mindestens 40 Prozent zurückgeht. Wenn er Auto-Poser vom Jungfernstieg vertreiben will, kann ich das nachvollziehen, wenn er aber dabei die Lieferverkehre außer Acht lässt, finde ich das fahrlässig. Unser Appell an die Politik: Ergebnisoffen an die Probleme herangehen und nicht mit Verboten arbeiten, sondern nach den besten Lösungen suchen.