Das Experiment

Foto: Martina BerlinerHeidi Tillmanns im Büro der Hans E.H. Puhst Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG in der Jaffestraße in Wilhelmsburg. Die Porträts zeigen ihre Vater und sie selbst. Foto: Martina Berliner

Wirtschaft und Schule müssten enger zusammenarbeiten, um Nachwuchs zu rekrutieren, meint Heidi Tillmanns vom Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden – Sie hat’s ausprobiert.

Unternehmen brauchen Arbeitskräfte. Junge Menschen brauchen Ausbildungsplätze. Da sollte es einfach sein, die Bedürfnisse wechselseitig zu befriedigen. Ist es aber nicht. Potenzielle Lehrherren beklagen mangelnde Kompetenz der Schulabgänger. Jugendliche bezweifeln, dass die Nachwuchs suchenden Branchen ihren Berufsvorstellungen entsprechen. Dabei wissen beide Seiten wenig oder nichts voneinander. Weil Schule und Wirtschaft zwei Welten sind, die kaum kooperieren.

Heidi Tillmanns hat dieses grundsätzliche Problem früh erkannt. Denn die Tochter von Hans Puhst, dem Gründer der Hans E.H. Puhst Grundstücksverwaltungs GmbH & Co. KG in Wilhelmsburg, war selbst Geschäftsführerin und zudem langjähriges Beiratsmitglied des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden. Als Vollblut-Unternehmerin regte sie im Beirat an, etwas zur Lösung beizutragen. Ihr schwebte eine Patenschaft zwischen dem Wirtschaftsverein und einer Schule vor. Das Ziel: Vermittlung von Praktikums- und Ausbildungsplätzen, Betriebsführungen und ein enger Austausch zwischen Firmen und Lehrkörper. Kurz: Man sollte einander näher kommen, voneinander lernen und Vorurteile abbauen.

Kooperation mit der Bonifatiusschule

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Als Ort für das Experiment wählte Heidi Tillmanns Wilhelmsburg, jenen Stadtteil, in dem „ihr“ Familienunternehmen seinen Mittelpunkt hatte, den sie kannte, liebte und seit Langem nach Kräften förderte. Im Jahr 2008 startete der Wirtschaftsverein die Kooperation mit der Bonifatiusschule. Der damalige Leiter der Stadtteilschule, Erhard Porten, der sich in besonderem Maße der Hauptschulpädagogik und Berufsorientierung verschrieben hatte, zeigte sich begeistert. Genau wie die Mitglieder des Wirtschaftsvereins. „150 Unternehmen wären bei Bedarf bereit gewesen, Praktikumsplätze und Lehrstellen anzubieten, sofern ich die Kandidaten vorher persönlich in Augenschein genommen hätte“, erinnert sich Heidi Tillmanns.

Also besuchte die Geschäftsfrau die Mittelstufenklassen und fragte nach den Berufsvorstellungen. Die Antwort der allermeisten Jungen: Mechatroniker. Die der Mädchen: Friseurin. Sie hörte aber auch diese Sätze: „Hartz IV und nebenbei Schwarzarbeit, wie meine Eltern.“ Tillmanns Erkenntnis: Die Jugendlichen benötigen dringend eine Horizont-Erweiterung. In der Folge besuchten Handwerksmeister – allesamt Bekannte Heidi Tillmanns – die Bonifatiusschule. In Vorträgen stellten sie Schülern und Lehrern die Arbeit ihrer Betriebe vor und erläuterten, was einen Azubi dort erwarte. Maler, Elektriker, Maurer, Klempner, Bäcker, Zimmerer und viele andere mehr gaben sich die Klinke in die Hand.

Frühes Aufstehen? Nein danke!

Das Echo war gering. „Einen Beruf, der frühes Aufstehen oder körperliche Arbeit im Freien verlangt, will kaum noch jemand. Dabei hat Handwerk doch sprichwörtlich goldenen Boden. Das war immer so und ist heute noch so“, betont Tillmanns, die einst auch beim eigenen Nachwuchs auf einer Lehre vor dem Studium bestanden hatte.

Wie viele Lehrstellen und Praktika während der siebenjährigen Patenschaft zwischen Wirtschaftsverein und Schule tatsächlich vermittelt werden konnten, weiß sie nicht. Direkt über sie selbst kamen nur wenige Ausbildungsverträge zustande. „Aber ich habe zu dieser Zeit auch sehr intensiv mit dem Verein In Via zusammengearbeitet, der sich ebenfalls stark sozial an der Schule engagierte. Wenn eine Lehrstelle oder ein Praktikumsangebot in einer bestimmten Branche gesucht wurde, fragte In Via mich nach einer Adresse. Ich weiß, dass der Verein sehr froh über meine Kontakte zu den Betrieben war. Insofern bin ich sicher, dass die Patenschaft erfolgreich war.“

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Der Kontakt ist abgerissen

Das Praktikums-Angebot der Firmen galt übrigens auch für Lehrer, denen damit die Möglichkeit eröffnet werden sollte, sich vor Ort über die Anforderungen der Wirtschaftswelt zu informieren. „In Anspruch genommen hat das allerdings keiner.“ Immerhin gab es runde Tische, an denen sich Pädagogen und Firmenlenker darüber austauschten, welche Vorbereitung aufs Berufsleben Schule leisten könnte und müsste. Ob und wie die daraus gewonnenen Erkenntnisse im Unterricht umgesetzt wurden oder werden, entzieht sich Tillmanns Kenntnis. Mit dem Abschied von Erhard Porten im Jahr 2013 wurde die Kommunikation zwischen Schulleitung und Wirtschaftsverein seltener, riss zwei Jahre später ganz ab. Heidi Tillmanns, Jahrgang 1938, beendete dann ihr Engagement für diese Schul-Patenschaft.

Dabei sieht sie die Notwendigkeit engeren Austausches zwischen Klassenzimmern und Werkstätten dringlicher denn je. Ihr Fazit: „Unser Schulsystem ist nicht in Ordnung. Es bereitet zu wenig auf das Berufsleben vor, vermittelt keine Vorstellung von der Realität der Arbeitswelt. Heute wollen doch alle nach der Schule am liebsten studieren. Aber dann haben wir bald nur noch Häuptlinge und keine Indianer.“