Besonderer Schatz für das Freilichtmuseum am Kiekeberg

Foto:FLMKDas Flüchtlingssiedlungshaus wird mit Polizeibegleitung auf dem Weg von Tostedt zum Kiekeberg gefahren. Schneefall von über 10 cm über Nacht sorgte für eine zeitliche Verzögerung, der grundlegende Zeitplan wurde eingehalten. || Foto:FLMK

Flüchtlingssiedlungshaus zog in die „Königsberger Straße“ um

Die Ganzteiltranslozierung ist abgeschlossen: Vom 27. bis 31. Januar ist ein Flüchtlingssiedlungshaus von 1955 aufwändig mit Tiefladern ins Freilichtmuseum am Kiekeberg gefahren worden. Für das Museum ist es ein besonderer Schatz: Das Haus ist weitgehend so erhalten, wie es vor über 60 Jahren erbaut wurde. Jetzt wird das Gebäude am Kiekeberg restauriert und eingerichtet, wie die Erbauerfamilie 1963 in ihm wohnte. Es wird im Frühjahr 2023 eröffnet.

„Das Herzstück der ‚Königsberger Straße‘ ist nun am Kiekeberg“, sagt Museumsdirektor Stefan Zimmermann durchaus erleichtert. Hinter dem Museumsteam liegt eine fünf Tage dauernde Translozierung eines massiven Ziegelhauses – eine einzigartige Aktion selbst für die spezialisierten Transportfirmen. Zunächst wurde das Gebäude gesichert und mit hydraulischen Pressen angehoben, dann von einem Selbstfahrmodul vorsichtig vom Baugrundstück manövriert und von Tostedt über 32 Straßenkilometer zum Kiekeberg gefahren. Museumsarchitektin Theda Pahl resümiert: „Mit viel technischem Knowhow, detaillierten Berechnungen und Fingerspitzengefühl bei der Umsetzung ist das Haus nun zu uns gekommen. Das ist einmalig in Deutschland und für die Museumswissenschaft unglaublich wertvoll.“ Und sie ergänzt: „Bis zum Schluss war da eine gewisse Anspannung. Schließlich musste das Haus zentimetergenau auf den vorgebauten Keller abgestellt werden.“ Jetzt kommt am Kiekeberg noch der Dachgiebel obenauf – das komplette Haus wäre für die Fahrt zu hoch gewesen. Dann wird das Gebäude fachmännisch restauriert und eingerichtet wie 1963. „Da steckt noch viel Detailarbeit drin“, sagt Projektleiterin Zofia Durda, „Zahlreiche Einrichtungsgegenstände haben uns die Bewohner überlassen. Das Haus wird unseren Besuchern damit einen guten Einblick in die Lebensverhältnisse der frühen 1960er geben.“

„Für uns ist das Originalgebäude unglaublich wichtig“, erläutert Stefan Zimmermann. „Wir können so die Spuren der Vergangenheit für zukünftige Generationen konservieren. Im Fall des Flüchtlingssiedlungshauses heißt das, dass wir zeigen, mit welchen Baumaterialien und Techniken die Häuser nach dem Krieg aufgebaut wurden und welche Bewohnerspuren es gibt. So erzählen Häuser auch die Geschichten der Menschen. Die Eigentümerfamilie unterstützt uns mit privaten Dokumenten und Zeitzeugen-Interviews.“ Vor dem Hintergrund von Integration Geflüchteter und Vertriebener nach dem Zweiten Weltkrieg besonders interessant: Das Gebäude wurde von einem geflohenen Ehepaar aus Königsberg gebaut. Stefan Zimmermann: „Anhand der Aufbauleistung einer Familie können wir so die Integrationsleistung und den individuellen Beitrag der Flüchtlinge und Vertriebenen zum wirtschaftlichen Aufschwung nach dem Krieg verdeutlichen.“ Über zwölf Millionen Flüchtlinge und Vertriebene bauten sich nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Heimat in West-Deutschland auf. Vertriebene und Ausgebombte hatten ihren Besitz weitgehend verloren und waren zunächst notdürftig in Behelfsunterkünften, Zimmern und auch Ställen einquartiert. Nach der Währungsreform 1948 und insbesondere in den 1950er Jahren verbesserte sich ihre Situation: Diverse Gesetze unterstützten den Neuanfang, Wohnungsbau- und Siedlerprogramme halfen zu kostengünstigem Wohnraum. In dieser Zeit gründeten sich viele Selbsthilfe-Siedlervereine. Die nun überall entstehenden Siedlungen veränderten das Erscheinungsbild zahlreicher Orte und prägen es bis heute. Stefan Zimmermann erklärt: „Daher ist das Siedlungshaus ein ganz zentrales materielles Zeugnis der Architektur-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Anfangsphase der Bundesrepublik.“

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Das Flüchtlingssiedlungshaus steht jetzt in der „Königsberger Straße. Heimat in der jungen Bundesrepublik“, der neuen Baugruppe im Freilichtmuseum am Kiekeberg. Sie stellt die Zeit von 1949 bis 1979 dar. Dazu baut das Museum fünf regionaltypische Gebäude mit entsprechender Einrichtung und aussagekräftigen Geschichten auf, legt Gärten und Straßen an. Ausstellungen zeigen politische, wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklungen in Deutschland. Bewohnergeschichten und Einzelschicksale aus der Zeit illustrieren besonders eindringlich die individuellen Auswirkungen. Museumsdirektor Stefan Zimmermann erläutert: „Wir stellen dar, wie Einheimische, aber auch Neubürger die Aufbauzeit erlebten. Viele Menschen fanden eine neue Heimat in der jungen Bundesrepublik. Sie erarbeiteten sich ihren Lebensstandard und ihre Anerkennung hart. Schließlich brachten sie viele neue Impulse mit, die insbesondere auf dem Land einen Prozess der kulturellen und wirtschaftlichen Modernisierung anstießen.“

Finanzierung

Zahlreiche Förderer unterstützen das einmalige Projekt „Königsberger Straße“. Ihr Ziel ist es, die kulturellen Zeugen der unmittelbaren Nachkriegszeit für die Nachwelt zu erhalten und die Aufbauleistung darzustellen. Die „Königsberger Straße“ im Freilichtmuseum am Kiekeberg wird gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (Bund), das Land Niedersachsen, den Landkreis Harburg, den Förderfonds Hamburg/Niedersachsen der Metropolregion Hamburg, die Stiftung Niedersachsen, die Stiftung Hof Schlüter, die Niedersächsische Sparkassenstiftung, die Stiftung der Sparkasse Harburg-Buxtehude, den Lüneburgischen Landschaftsverband, die Klosterkammer Hannover, die Niedersächsische Bingo- Umweltstiftung und den Förderverein des Freilichtmuseums am Kiekeberg. Das Gesamtprojekt ist auf 6,14 Millionen Euro angelegt.

Hintergrund-Informationen unter https://www.kiekeberg-museum.de/das-sind-wir/presse/aktuelle-informationen

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