Der Elektromobilität fehlt es an „Drive“

Lüneburgs Kreisrätin Monika Scherf hielt die Eröffnungsrede zur Projektpräsentation. Projektkoordinator Frank Fasold (rechts) stellte die Ergebnisse der Studie vor, an der auch Dr. Alexander Stark, Kreisentwickler des Landkreises Harburg, als Leiter des Fachbeirats beteiligt war. Foto: Martina Berliner

Studie belegt: Der Strukturwandel im Netzwerk der Automobil-Branche kommt zu langsam in Fahrt.

Für den Klimaschutz ist die Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes zwingend nötig. Die deutliche Reduktion des Kraftstoffverbrauchs von Autos soll einen Beitrag leisten. Dazu ist Umorientierung in Richtung des elektrischen Antriebs unverzichtbar. Doch die kommt nur schleppend in Gang. Es steht zu befürchten, dass viele Akteure im Netzwerk der Automobilindustrie – neben den Herstellern auch Entwickler, Zulieferer sowie Dienstleister wie Kfz-Händler und -Werkstätten – den tiefgreifenden technologischen Strukturwandel verschlafen. Die Konsequenzen treffen nicht nur Auto-Konzerne. Auch viele kleine und mittlere Unternehmen könnte diese Trägheit bald teuer zu stehen kommen. Oder sogar die Existenz kosten. Das ist eine von vielen Erkenntnissen einer Studie mit dem Titel „Technikfolgenabschätzung zu den Auswirkungen der Elektromobilität“, die das Transferzentrum Elbe-Weser (TZEW) im Amtsbezirk Lüneburg zwischen Cuxhaven im Norden und Celle im Süden, Osterholz im Westen und Dannenberg im Osten erhoben hat.

„Der derzeitig eingeschlagene Pfad vieler Unternehmen in Richtung Elektromobilität sollte hinsichtlich seines zukünftigen Erfolgspotenzials hinterfragt werden. Die Ergebnisse aus den geführten Gesprächen legen den Schluss nahe, dass Beharrungskräfte derzeit noch weitaus stärker sind als die Wandlungs- und Erneuerungskräfte hin zu neuen Antriebstechnologien“, schreibt Projektkoordinator Frank Fasold in seinem 100-seitigen Abschlussbericht.

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Die wesentlichen Ergebnisse hat der Wirtschaftsinformatiker und Elektrotechnikermeister kürzlich in Lüneburg in einem 90-minütigen Vortrag vorgestellt.

Darauf müssen sich Autohäuser und
Werkstätten einstellen

Der Wandel zur neuen Technologie beinhaltet Chancen, aber auch Risiken. So ist die Entwicklung neuer Komponenten gefragt, beispielsweise in der Sensorik. Einzelne Produkte aus der Verbrennungstechnik sind modifizierbar, wie etwa Kühlungsanlagen, die zur Akku-Heizung von Elektrofahrzeugen umfunktioniert werden können. Andere Teile aber, wie Abgasanlagen und Tanks, werden für E-Autos nicht mehr benötigt. Insgesamt sei die Fertigungstiefe eines Elektroantriebs erheblich geringer als die eines Verbrennungsmotors, erläutert Fasold. Ob der Technologiewandel für den einzelnen Betrieb Fluch oder Segen bedeute, hänge wesentlich von der Art und Breite der Produkt- und Dienstleistungspalette sowie der Anzahl der Kunden ab, sagt der Experte. Es erfordere Flexibilität, um in Zukunft zu bestehen.

Von den befragten Betrieben sehen etwa die Hälfte keine oder nur geringe Veränderungen der betrieblichen Abläufe voraus. Mehr als ein Drittel der Entwicklungs- und Zulieferungsfirmen gab an, bis 2018 noch keinerlei Berührungspunkte mit Elektromobilität gehabt zu haben. Im der Produktion nachgelagerten Bereich – Händler, Werkstätten, Tankstellen, Auto-Vermieter – hatten sogar mehr als zwei Drittel der Firmen keine entsprechende Erfahrung.

Dementsprechend schätzen die meisten auch die erwarteten Auswirkungen auf die Höhe des Umsatzes durch Elektromobilität gelassen ein. Knapp die Hälfte der Befragten erwartet gleichbleibende Umsätze, 28 Prozent gehen von steigenden Umsätzen aus, nur 22 Prozent befürchten sinkende Erträge. Entsprechend setzt sich nur ein Viertel der Interviewpartner regelmäßig und strukturiert mit der Zukunftsfähigkeit des eigenen Unternehmens auseinander.

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„Es stellt sich insgesamt die Frage, ob die Tragweite der sich abzeichnenden Veränderungen innerhalb der Automobilbranche von den betroffenen Akteuren in der Region vollumfänglich erkannt ist“, resümiert Fasold.

Die abwartende Haltung hat seiner Ansicht nach mehrere Gründe. Eine wesentliche Rolle spiele, dass bis heute unklar sei, welche Technologien sich durchsetzen werden.

Fasolds Fazit: Unternehmen brauchen Impulse von außen. Und: E-Mobilität müsse Thema an allgemeinbildenden Schulen werden und in der Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker einen Schwerpunkt bilden. Für Firmen sind Schulungsangebote zu entwickeln. Drittens: Die Öffentlichkeitsarbeit ist zur Aufklärung und Akzeptanz ist zu verbessern. Viertens: Es braucht Förderung der Lade-Infrastruktur und Angebote zur Steigerung der Innovationsfähigkeit kleiner und mittlerer Betriebe.

„So ganz schnell werden wir das nicht umsetzen können“, weiß Dr. Alexander Stark aus Erfahrung. Er ist im Landkreis Harburg verantwortlich für Kreisentwicklung und war als Leiter des Fachbeirates an der Untersuchung beteiligt. „Wir sind viel zu langsam. Wir hätten schon vor zwei bis drei Jahren da sein sollen, wo wir heute sind.“ mab

Info

Die Untersuchung fand vom 1. November 2018 bis zum 31. Dezember 2019 statt. Finanziert wurde das Projekt mit Mitteln der Landesförderung „Regionale Entwicklungsimpulse Niedersachsen“ und Geldern der elf Landkreise des Amtsbezirks Lüneburg. Kooperationspartner waren „ARTIE“, ein regionales Netzwerk für Technologie, Innovation und Entwicklung, das Amt für Regionale Landesentwicklung, die Handels- und Handwerkskammern des Bezirks sowie die Leuphana Universität. Im Untersuchungsgebiet wurden 766 mit der Automobilindustrie verbundene Firmen ermittelt, die vom Trend zur Elektromobilität betroffen sind. 186 davon wurden angeschrieben. Den Statistiken der Broschüre liegen 61 der Interviews zugrunde. mab