Chancen geben!

Foto: Personal4youCORINNA HOREIS, Diplom-Kauffrau und Personalberaterin || Foto: Personal4you

In vielen Unternehmen gibt es keine Strategie – sagt Personal-Expertin Corinna Horeis.

Sind es zehn Jahre, 15 oder sogar schon 20? Mit dem Fachkräftemangel verhält es sich ähnlich wie mit dem Klimawandel: Jahrelang wird gewarnt, wird vorgerechnet und von Wissenschaftlern oder Ökonomen prophezeit, dass ein eklatantes Problem im Anflug ist. Und dann ist es plötzlich da. Was für eine Überraschung. Werden wir in den kommenden Jahren genügend Beschäftigte in den Unternehmen haben? Vermutlich nicht: Aktuell werden die Fachkräfte von einem Unternehmen zum anderen umverteilt. Das heißt: Sie nehmen sich die Fachkräfte gegenseitig weg, statt strategisch vorzugehen und schaffen somit einen lukrativen Arbeitnehmer-Markt.

Corinna Horeis, seit Jahren als Dienstleisterin im Personalwesen tätig, ist erstaunt, dass trotz der schwierigen Lage auf dem Arbeitsmarkt der Umdenk-Prozess immer noch stockt. Im B&P-Gespräch berichtet sie von Unternehmen, die nach wie vor im Stil der „alten weißen Männer“ geführt werden: Frauen, die Generation Ü50 und Migranten werden im Bewerbungsprozess als potenzielle Mitarbeiter weniger berücksichtigt. Ein Fehler, wie sie findet.

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„Es war wohl schon im Jahr 2000, als der Begriff Fachkräftemangel das erste Mal auftauchte – unvorstellbar in einer Welt, in der Unternehmen mit Bewerbungen überhäuft wurden. Sie hatten die freie Wahl.“ Doch das hat sich völlig verändert, wie die Buchholzerin sagt: „Wir erleben aktuell eine eklatante Verknappung der Ressource Mensch. Das stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen.“ Die Lage ist diffus und eher ein Mix aus verschiedenen Themen, die nun mit voller Wucht durchbrechen. Eine Auswahl:

π Das Qualifizierungsniveau an den
Schulen, auch in den Berufsschulen
bedarf einer Steigerung.

π Viele, teils komplexe Prozesse in Unternehmen, für die bislang Fachkräfte benötigt werden, werden in absehbarer Zeit automatisiert. Das führt dazu, dass die Fachkräfte noch besser qualifiziert sein müssen – sozusagen zu „Fachfachkräften“ werden.

π Unternehmen müssen umdenken und in die Potenziale der Mitarbeiter investieren, vor allem im Bereich Aus- und Fortbildung.

π Der mittlerweile entstandene Arbeitnehmer-Markt führt immer häufiger dazu, dass Bewerber hoch pokern. Sie schauen zuerst auf das Geld, dann erst auf die Aufgabe.

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Leistungsprinzip wird ausgehebelt

Letzteres gibt Corinna Horeis besonders zu bedenken: „Damit wird das Leistungsprinzip ausgehebelt. Doch darauf basiert der Erfolg unserer Ökonomie.“ Natürlich weiß die Personalerin, wie sich in Zeiten des Fachkräftemangels gegensteuern ließe: „Das Rentenalter könnte schrittweise auf
70 Jahre hochgesetzt werden, was im krassen Widerspruch zu Altersteilzeit- und Vorruhestandregelungen steht.“ Insbesondere der vorzeitige Ruhestand sortiert gut qualifizierte und erfahrene Erwerbstätige aus und nimmt ihnen die Arbeitsdynamik bereits vor dem Ausstieg. Eine Situation, die sich der Arbeitsmarkt überhaupt nicht leisten kann.“

Corinna Horeis weiß aus der Praxis, dass es immer noch viele Arbeitgeber gibt, die ihre eigene, eben alte Agenda zum Thema Personalsuche haben: Generation Ü50 ausgeschlossen, keine Frauen (werden schwanger), keine Migranten, keine Muslime, keine Homeoffice-Wünsche, keine Teilzeit. Sie sagt: „Paragraph 1 des Grundgesetzes, wonach alle Menschen gleich sind, funktioniert in der Arbeitswelt nur bedingt.“ Zwar gab es genügend Zeit, um sich auf die Mangelsituation einzustellen, aber erst, wenn der Baum brennt, greift der Unternehmer zum Feuerlöscher – was nicht selten zu spät ist. Corinna Horeis: „Alte Denkmuster und Glaubenssätze sollten abgelegt werden. Das ist ein langer Prozess.“ Dazu zähle auch die verbreitete Idee, dass neue Mitarbeiter sofort voll einsatzfähig sein müssten. Die Buchholzerin: „Plug & Play funktioniert bei Menschen nicht – wir sind eben keine Maschinen, sondern müssen Zeit bekommen, uns in komplexe Prozesse einzuarbeiten und in die Unternehmenskultur zu integrieren. Deshalb ist Personalmanagement so eine elementar wichtige Aufgabe, die eben nicht mal eben im Sekretariat nebenbei erledigt werden kann.“

Ihr Appell an die Arbeitgeber: „Unternehmer sind darauf programmiert, Chancen zu suchen. Doch jetzt ist die Zeit gekommen, Chancen zu geben und in Mitarbeiter, Talente und Potenziale zu investieren. Das Denken muss sich grundlegend verändern. Das ist die direkte Auswirkung des Fachkräftemangels, der seine Hauptursache übrigens in der demographischen Entwicklung hat. Eine seit Langem planbare Größe.“ wb

>> Web: www.horeis-consult.de