Deutsches Auswandererhaus: Die Hoffnung aufs Glück

Endstation Sehnsucht: Der Nachbau der Grand Central Station New York symbolisiert im Auswandererhaus die anhaltende Ungewissheit, die Migranten begleitet. Foto: Ilka Seer

Migration gilt für viele als Reizwort. Mit seiner emotionalen Ausstellungsinszenierung leistet das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven einen wichtigen Beitrag zur Versachlichung dieses Themas, das seit Jahrhunderten alltäglich in Deutschland ist.

Der Ort konnte nicht passender gewählt sein. Am Neuen Hafen in Bremerhaven bestiegen bis 1890 mehr als eine Million Menschen eines jener Schiffe, die sie in ein neues Leben in der Neuen Welt bringen sollten. Auch wer niemals seine Heimat aufgeben würde, kann dort seit 2005 die Wechselbäder aus Hoffnung und Verzweiflung, Angst und Mut, Ohnmacht und Kraft hautnah spüren, die Menschen beim Aufbruch in die Fremde durchleben. Mit dem Deutschen Auswandererhaus steht am Neuen Hafen ein in Deutschland einzigartiges Migrationsmuseum. „In unserem Haus können die Besucher alle Facetten einer Auswanderung ohne die Angst durchleben, selbst eine so grundlegende Entscheidung fällen zu müssen“, sagt die Direktorin Dr. Simone Eick.

Größter Auswandererhafen Europas

Mehr als sieben Millionen Europäer sind zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und den 1970er Jahren über Bremerhaven in eine Neue Welt – zumeist in Nordamerika – aufgebrochen. Damit war die Seestadt der größte Auswandererhafen des Kontinents; die großen Migrationswellen trugen wesentlich dazu bei, dass sich Bremerhaven und Bremen zu den heutigen international bedeutsamen maritimen Standorten entwickelt haben.

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Das Deutsche Auswandererhaus ist aber weit mehr als ein Denkmal dieser bewegenden Zeit. Die Besucher schlüpfen in die Identität eines Migranten, begleiten ihn an Bord des Auswandererschiffes, fühlen sein Hoffen und Bangen bei der Einwanderungskontrolle auf Ellis Island vor den Toren New Yorks und folgen ihm dann auf dem Weg in ein neues Leben, der nicht immer ins pure Glück führte. Kaum ein Besucher, der am Ende der zwei- bis dreistündigen Reise durch die Zeit das Haus nicht sensibel für das Thema verlässt, das noch immer das Schicksal von Millionen Menschen weltweit ist.

Das Geheimnis dieses Erfolges? „Die Warmherzigkeit, die Gestaltung der Ausstellung mit vielen Originalexponaten, und vor allem, dass wir das Thema hier wirklich leben“, sagt die Direktorin. Unter den 64 Beschäftigten des Hauses sind 13 Nationen vertreten.

Themenspektrum erweitert

Liebevolle Inszenierung: Das deutsche Wirtschaftswunder wäre ohne Migranten nur ein Traum geblieben. Foto: DAH/Kay Riechers

Mit dem im April 2012 eröffneten Erweiterungsbau hat das Deutsche Auswandererhaus sein Themenspektrum um einen insbesondere für die deutschen Gäste wesentlichen Aspekt ergänzt. Im Mittelpunkt steht die Einwanderung nach Deutschland, die sich immer noch im Begriff „Gastarbeiter“ spiegelt und derzeit wieder sehr aktuell ist. Der zweite Museumsteil beginnt mit Symbolen für das Wirtschaftswunder im Nachkriegsdeutschland – darunter ein Kiosk mit einer faszinierenden Vielfalt an Original-Zeitungen und -Zeitschriften aus den 1950er- und 60er Jahren, ein typisches Einkaufszentrum der beginnenden Wohlstandsära mitsamt Fotoladen, Reisebüro, Modeschaufenster und Supermarkt. Allein mit ihren deutschen Beschäftigten hätte die Wirtschaft damals der wachsenden Konsumentennachfrage nicht nachkommen können. Insbesondere im südlichen Europa wurden Arbeitskräfte angeworben.

„Deutschland ist schon seit langem ein Migrationsland. Das ist Teil unserer Geschichte“, stellt die Museumsdirektorin unmissverständlich fest. In einem Punkt unterscheidet sich die Bundesrepublik von klassischen Einwanderungsländern wie den USA, Australien oder den Niederlanden: „Wir sind Auswanderungs- und Einwanderungsland zugleich“, sagt Simone Eick: „Noch immer wandern jährlich gut 100.000 Deutsche aus beruflichen Gründen oder für immer aus.“ Das Deutsche Auswandererhaus zeigt beide Seiten.

Internationale Bezüge herstellen

Ursprünglich war das Museum als Touristenattraktion in Bremerhaven mit engem Bezug zur Stadtgeschichte gedacht. Längst hat sich das Haus aber zu weit mehr entwickelt und ist auf dem besten Wege zur Anerkennung als nationales Migrationsmuseum. „Deutschland braucht ein solches Museum, das diesen Teil der Geschichte zeigt und auch die internationalen Bezüge herstellt“, ist Dr. Eick überzeugt. Die aktuelle Entwicklung in der Republik, in der die Stimmung binnen kurzer Zeit von einer überraschenden Willkommenskultur in das Gegenteil umschlug, unterstreicht dies.

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Die weltweit hohe Anerkennung für das Bremerhavener Haus liegt auch an dessen fundierter wissenschaftlicher Arbeit. Das im Vergleich zu großen universitären Einrichtungen kleine Team ist nicht so vermessen, sich an die grundsätzliche historisch-theoretische Auseinandersetzung mit der Migrationsgeschichte zu begeben. Vielmehr erforschen die Bremerhavener Wissenschaftler in erster Linie Biografiegeschichte, also das persönliche Schicksal von Migranten, die Beweggründe und deren Verhalten vor, während und nach der Aus- oder Einwanderung. Seit der Eröffnung des Museums können Besucher des Hauses in verschiedenen Datenbanken die Migrationsgeschichte der eigenen Familie recherchieren.

Pilotprojekt „museum4punkt0“

Im Zuge des bundesweiten Pilotprojektes „museum4punkt0“ wird das Deutsche Auswandererhaus bald eine Internet-Plattform einrichten, auf der Besucher ihre familiäre Wanderungsgeschichte dem Museum erzählen. „Die Geschichten werden nach einer wissenschaftlichen Prüfung online und im Museum präsentiert“, verspricht Simone Eick. Langfristig möchte sie die Sammlung des Hauses mit dem Archiv erzählter Geschichte, dem Online-Familienarchiv und den Ergebnissen der Besucherbefragungen zu einem „Dialog Migration“ verknüpfen.

Mit diesem und einer Vielzahl weiterer Schritte nähert sich Simone Eick dem Ziel, das Deutsche Auswandererhaus von einer privaten Initiative zu einem nationalen und staatlich geförderten Forschungsmuseum zum Thema Migration zu machen. „Wir haben die Möglichkeit, etwas zu der zur Zeit sehr angespannten Diskussion hierzulande um die Migration beizutragen“, ist die Direktorin überzeugt. Würden Menschen, die zur Ablehnung von Migranten und vielleicht sogar zu Fremdenfeindlichkeit neigen, nach einem Besuch des Deutschen Auswandererhauses anders denken? Dr. Simone Eick antwortet in ihrer typischen Art leise, gut überlegt und ohne Pathos: „Ja.“

(Text: Wolfgang Heumer)