„Das ist ein Eingriff in die Tarifautonomie“

AV-Hauptgeschäftsführer Bernd Wiechel. Foto: B&P

Arbeitgeberverband Lüneburg kritisiert staatliche Mindestlohn-
Anhebung scharf.

Es wirkt fast so, als könne Bernd Wiechel noch immer nicht fassen, was sich da in Berlin abgespielt hat. „Zwölf Euro Mindestlohn ab Oktober hat die Bundesregierung beschlossen. Das ist ein staatlich verordneter, kräftiger Schluck aus der Pulle, der einen wesentlichen Eingriff in die Tarifautonomie darstellt und die Unternehmen natürlich vor Probleme stellt“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Lüneburg-Nordostniedersachsen. Der Jurist hält das Vorpreschen der Koalition dabei gleich aus mehreren Gründen für bedenklich.

„Als der Mindestlohn 2014 eingeführt wurde, war klar im Mindestlohngesetz geregelt, dass sich der Staat nicht in die Anpassung des Mindestlohns einmischt. Die Sozialpartner sollten sich in der Mindestlohnkommission alle zwei Jahre auf die Anhebungen verständigen“, sagt Wiechel. Doch nun habe die Regierung unmittelbar eingegriffen. „Das verärgert uns außerordentlich. Die Politik geht an Wirtschaft und Sozialpartnern vorbei“, so der Hauptgeschäftsführer. „Man fragt sich vor allem, wie jetzt die Sozialpartner und damit auch die Gewerkschaften dastehen, wenn die Lohnpolitik direkt vom Staat gemacht wird. Das stellt ihre Daseinsberechtigung in Frage und ist somit ein Schlag ins Gesicht.“

Ebenso ist für Wiechel wenig nachvollziehbar, dass die Anhebung derart kräftig ausgefallen ist. „2020 hatte die Mindestlohnkommission vier Anpassungen für die Jahre 2021 und 2022 beschlossen. Von 9,35 Euro sollte der Mindestlohn sukzessive auf 10,45 Euro im Juli 2022 steigen, das wären immerhin schon zwölf Prozent gewesen“, rechnet er vor. Doch dann kam die Ampel mit der Zwölf-Euro-Anpassung noch im Oktober 2022. „Das sind mal eben 25 Prozent in zwei Jahren. Wir haben nicht vernommen, dass in Tarifverhandlungen irgendjemand mal irgendwann so viel gefordert hat.“ Wiechel vermutet: „Hier wurde im Wahlkampf viel versprochen und nun muss geliefert werden.“

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Die Bauern im Wendland vergessen?

In manchen Gegenden und Branchen seien zwölf Euro Stundenlohn für Ungelernte zwar möglicherweise kein Problem. „Der Maschinenbauer im Schwabenland hält das wohl aus“, sagt Wiechel. „Doch offenbar hat niemand an den Bauern im Wendland gedacht, der seinen Erntehelfern am Ende das Gleiche zahlen muss.“

Das sei auch deswegen kritisch, weil der Mindestlohn zwar nur für die am niedrigsten qualifizierten Arbeitnehmer gelte, die daraus entstehende Dynamik aber das gesamte Lohngefüge erfasse. „Es muss natürlich einen ausreichenden Abstand zwischen einem Ungelernten und einem Arbeitnehmer mit abgeschlossener Ausbildung geben. Früher gab es beispielsweise 10 Euro für den Ungelernten, 13 Euro für einen Qualifizierten und vielleicht 15 Euro für einen Qualifizierten mit einigen Jahren Berufserfahrung“, erklärt der Hauptgeschäftsführer. „Diese Tarifvereinbarungen wurden damals ja mit dem Blick auf die festgelegten Steigerungen des Mindestlohns gestaltet. Doch nun ist das alles Makulatur, das gesamte, von den Sozialpartnern fein austarierte Vergütungsgefüge gerät an dieser Stelle aus den Fugen.“

Und selbst die – quasi erst nachträglich entstandene – Argumentation, dass auf diese Weise ein Ausgleich für die Inflation geschaffen werde, greife laut Wiechel nicht. „Auch Löhne treiben die Inflation.“ top

>> Web: www.arbeitgeberverbandlueneburg.de

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