Die Fortsetzung des Omms mit anderen Mitteln . . .

Georg Hajdu, geboren 1960 in Göttingen, ist ein deutscher Komponist ungarischer Abstammung. Nach Studien in Köln und am Center for New Music and Audio Technologies (CNMAT) in Berkeley, USA, promovierte er an der University of California, Berkeley. 2002 wurde er als Professor für Multimediale Komposition an die Hamburger Hochschule für Musik und Theater (HfMT) berufen, wo er 2004 den deutschlandweit ersten Masterstudiengang für Multimediale Komposition gegründete, sowie in 2012 das Zentrum für Mikrotonale Musik und Multimedia. Seit diesem Jahr leitet er das ligeti zentrum in Harburg.

Vor wenigen Wochen ist das ligeti zen­trum in Harburg eröffnet worden – eine interdisziplinäre und noch dazu hochschulübergreifende Einrichtung, die Forschung im Bereich Musik in Anwendungen, im besten Fall sogar Produkte für Kliniken und Arztpraxen transferieren soll. B&P-Redakteur Wolfgang Becker sprach darüber mit Prof. Dr. Georg Hajdu, dem Leiter des Zentrums am Veritaskai.

Können Sie mit wenigen Sätzen erklären, was Sie hier im ligeti zentrum konkret vorhaben?

Unsere Aufgabe ist der sogenannte Wissenschafts­transfer. Dafür haben wir Geld aus der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ bekommen. Es geht also nicht primär um Forschung, denn die gibt es ja schon, sondern um Transfer. Die Wissenschaft- und Bildungsministerien haben erkannt, dass in Deutschland zwar sehr viel gute Forschung gemacht wird, diese aber nicht immer den Endadressaten erreicht. Wir haben uns gesagt: Das muss sich ändern. Kann nicht sein, dass wir hier Millionen versenken und am Ende landet alles in der Schublade. Die Forschung sollte in der Gesellschaft ankommen, also auch in der Wirtschaft oder in der Kultur.

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Wie lässt sich das, was im Bereich Musik geforscht wird, in die Gesellschaft übertragen? Gibt es konkrete Ansätze?

Wir haben ein Steckenpferd, das uns besonders am Herzen liegt – und zwar eine Forschung im Bereich Musik, Medizin und Technologie. Da sehe ich ein großes Potenzial, die Ergebnisse nicht nur in die Gesellschaft, sondern im Sinne einer Ausgründung speziell auch in die Wirtschaft zu übertragen. Der Bedarf ist riesig. Es gibt viele Teams, die weltweit daran forschen, aber wir haben relativ früh angefangen und vielleicht auch durch unsere enge Zusammenarbeit mit Musiktherapeuten und Ärzten am UKE ein bisschen den Fuß vorne.

Wie kam die Verbindung zum UKE zustande? Ist die Musik auf die Medizin zugegangen? Oder andersherum?

Da gibt es einen Kollegen am UKE, den Professor Eike Sebastian Debus, der sich seit vielen Jahren für die Verbindung von Musik und Medizin interessiert. Er ist selber praktizierender Musiker, was übrigens für viele Ärzte am UKE gilt. Mit ihm zusammen sind wir in das Thema eingestiegen.

Wir sprechen konkret über den Einfluss von Musik beispielsweise auf Heilungsprozesse, ist das richtig?

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Genau. Es gab schon vor Jahren die Idee, dass sich Sounds generieren lassen, die zum Beispiel für eine entspannte Atmosphäre in Wartebereichen sorgen.

Was wäre da ein Produkt – ein Sound-Paket für Kliniken?

Ja, es gibt doch zum Beispiel diese dreieckigen Zwitscherboxen mit Vogelstimmen, die man kaufen kann. Wir haben uns gedacht, dass man das mit mehreren Lautsprechern besser machen kann. Wir stellen uns eine immersive Klanginstallation vor – ein Klang, in den der Wartende eintaucht. Man ist mittendrin. Etwas, das einen umhüllt. Die Hoffnung der Ärzte ist, dass sich der Patient entspannt und einfach besser fühlt. Beim Zahnarzt könnte ich mir da allerlei vorstellen. Ich fürchte, dass man den Sound des Bohrers nicht ganz aus der Welt schaffen wird . . .

Aber denken wir mal ans MRT. Der Patient liegt in der Röhre, und die Magnetresonanz erzeugt einen sehr lauten, fast beängstigenden Betriebston. Dort erhält man Kopfhörer mit Musik – wäre das so eine Anwendung?

Ja, aber wir haben eher eine Musik im Sinn, die sich nicht aufdrängt. Es geht nur um die Atmosphäre. Die Vögel im Wald haben wir ja auch nicht bestellt, und sie sind trotzdem da und zu hören. Ein Tipp wäre: Einfach mal rausgehen und hören, wie wir ständig von Klang umgeben sind. Stichwort Regen. Stichwort Wind.

Bei den Klängen, über die wir gerade sprechen – geht es da um elektronische Musik?

Es geht hauptsächlich um gesampelte Sounds, also Klänge, die man aufgenommen hat. Zum Beispiel den Klang einer Klangschale, wie sie im Yoga zum Einsatz kommen. Weil dieser Klang eine beruhigende Wirkung hat. Wir haben die Klänge untersucht und kategorisiert, um zu sehen, was am Ende welche Wirkung erzeugt. Wichtig ist im Gegensatz zur Fahrstuhlmusik, dass unsere Musik nichts vom Hörer will. Im Fahrstuhl oder in anderen Zusammenhängen, wir sprechen da von „Muzak“, hat Musik häufig manipulierende Wirkung. „Muzak“ kommt aus den USA und meint Musik, die die Hörer zu etwas anregen will, die beispielsweise Kauflaune erzeugen will. Genau das wollen wir nicht. Wir wollen uns so wenig wie möglich aufdrängen und eine Art neutrale Musik schaffen, die sich in den Raum einfügt.

Funktioniert das?

Wir haben Experimente gemacht. Die Wirkung ist phänomenal. Der Raum wird schon durch wenige Klänge transformiert und bekommt eine völlig andere Wirkung.

Was beruhigt denn – sind das Frequenzen oder bestimmte lange Töne?

Die Beruhigung entsteht dadurch, dass man die Zuhörer nicht zum Zuhören zwingt. Das passiert, wenn wir mit einzelnen Klangereignissen arbeiten, die nicht danach verlangen, sich mit einem anderen Klangereignis im Sinne einer Melodie fortsetzen zu wollen. Das erreichen wir, in dem der einzelne Ton in sich einfach schön ist. Wie bei einer Klangschale. Der Ton verlangt nicht nach einer Fortsetzung. Und wenn nach ein paar Sekunden ein anderer Ton folgt, verbinden wir beide Ereignisse nicht.

Das klingt nach der Fortsetzung des Omms mit anderen Mitteln . . .

Ganz genau! Wir erleben den Ton als für sich stehendes Ereignis in seiner vollen Schönheit. Die Wirkung entsteht, indem das Unterbewusstsein reagiert. Vergleichbar mit der Wirkung von Farbgestaltung in Räumen oder auch von Architektur.

Sie haben es geschafft, dass im ligeti zentrum vier Hochschulen gemeinsame Sache machen. Wie kam das zustande?

Wir hatten bestehende Kooperationen mit dem UKE und auch der HAW. Neu hinzugekommen ist die TUHH. Sie ist für uns interessant, weil sie als eine der jüngsten Technischen Universitäten in Deutschland in den vergangenen Jahren enorm an Geltung gewonnen hat. Hier wurde eine Dynamik entfacht, die ich sehr sympathisch fand.

Was kann die TUHH konkret beisteuern?

Sie verfügt über das ingenieurswissenschaftliche Wissen, das wir nicht haben. Wir sind eher so Hobbyingenieure. Deshalb brauchen wir den Sachverstand der TUHH.

So könnte die TUHH bei der Hardware-Entwicklung helfen?

Ja, aber auch in den Bereichen Projektionstechnologie und Robotik. Da gibt es faszinierende Möglichkeiten.