„Eine Einladung zum Nichtstun“

Foto: AGV / Dennis DieterichElbe-Weser-Dreieck: AGV-Hauptgeschäftsführer Thomas Falk kritisiert das Bürgergeld Foto: AGV Elbe-Weser

Elbe-Weser-Dreieck: AGV-Hauptgeschäftsführer Thomas Falk kritisiert das Bürgergeld.

Fördern und fordern“ – das ist ein Slogan, den Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stade Elbe-Weser-Dreieck e.V., sofort unterschreibt. Das Wortspiel stammt aus der Ära Gerhard Schröder, der seine Kanzlerschaft unter anderem dafür nutzte, Hartz IV erfinden zu lassen. Das Arbeitslosengeld II löste 2005 die Sozialhilfe ab und sah unter anderem Sanktionen für Arbeitsunwillige vor. Die aktuelle Regierung will nun Hartz IV wieder abschaffen und mit dem Bürgergeld eine vergleichsweise sanfte Form der Unterstützung einführen. Falk: „Jetzt wird das Rad zurückgedreht, denn Eigeninitiative wird nicht mehr so stringent eingefordert. In Zeiten des akuten Fachkräftemangels ist das absolut das falsche Signal.“

Hartz IV galt damals als der große Wurf, denn wer sich bislang häuslich in der „Stütze“ eingerichtet hatte, musste nun damit rechnen, noch weniger Geld vom Staat zu bekommen, wenn er sich nicht aktiv an der Arbeitssuche beteiligte. Falk: „Das Bürgergeld sieht eine ‚Vertrauenszeit‘ vor. Die Idee: In den ersten sechs Monaten passiert erstmal nichts – das ist quasi eine Einladung zum Nichtstun. Nach
17 Jahren Hartz IV wissen wir aber, dass es wichtig ist, Menschen, die ihren Job verloren haben, so schnell wie möglich wieder in Arbeit zu bringen. Geschieht das nicht, steigt die Anfälligkeit, sich in die soziale Hängematte fallen zu lassen. Die Schwierigkeiten bei der Reintegration von Langzeitarbeitslosen zeigen dies sehr deutlich.“

Fachkräftemangel auf Höchststand

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Sich auf Sanktionen zu verlassen, ist aber auch für Thomas Falk nicht die Lösung: „In der Praxis hat bei Hartz IV allenfalls ein Prozent der Fälle zu Sanktionen geführt. Das betraf nur Leute, die sich beständig geweigert haben, wieder zu arbeiten. Mir geht es deshalb auch mehr um die Signalwirkung, die ein Begriff wie ‚Vertrauenszeit‘ hat.“ Der Jurist verweist in diesem Zusammenhang auf die jüngsten Zahlen des Ifo-Instituts. Demnach hat der Fachkräftemangel in Deutschland einen neuen Höchststand erreicht. Jedes zweite Unternehmen fühlt sich in der Entwicklung beeinträchtigt, weil Stellen nicht besetzt werden können. Im Bereich der Dienstleister liegt der Anteil bereits bei 54,2 Prozent. Allein im Handwerk fehlen laut Ifo mindestens eine Viertelmillion qualifizierte Mitarbeiter. Jedes Jahr blieben 15 000 bis 20 000 Ausbildungsplätze unbesetzt. Will heißen: Besserung ist nicht in Sicht, die Situation auf dem Fachkräftemarkt wird eher angespannter.

Falk: „Im Juni 2022 hatten wir in Deutschland 881 000 offene Stellen, die bei der Arbeitsagentur gemeldet waren. Und dort werden längst nicht alle Stellen gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte erheblich sein. Wir haben einen extremen Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund ist eine sechsmonatige Vertrauenszeit für Arbeitslose nicht hilfreich.“ Allerdings sieht der AGV-Hauptgeschäftsführer auch positive Aspekte beim Bürgergeld: „Ausbildung wird erleichtert.“

Wer Geld vom Staat bezieht, darf nach geltender Rechtslage nur maximal 100 Euro hinzuverdienen. Dies ist ein Punkt, der laut Falk ebenfalls überdacht werden sollte: „Die Zuverdienstgrenze muss verändert werden. 100 Euro sind unattraktiv – das erschwert die Rückkehr in den Arbeitsmarkt. Wenn jeder weitere Euro gegengerechnet wird, erlahmt die Motivation, sich mit Arbeit auseinanderzusetzen, schon im Ansatz. Diese Menschen fehlen dann zusätzlich in den Unternehmen.“ Seine Forderung: „Das Prinzip ‚Fördern und Fordern‘ sollte nicht aufgeweicht werden.“ wb

>> Web: www.agv-stade.de

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