Sind Vogelhäuschen aufgehängt . . . ?

Frank Döscher und Jens Anderson über Nachhaltigkeit, Marktmacht und die neuen Online-Shops im Obsthandel.

Mit mehr als 250 Betrieben ist Elbe-Obst die größte Apfel­erzeuger-Organisation in Deutschland. Die Mitglieder –Elbe-Obst ist ein Verein – produzieren Äpfel, Birnen, Kirschen und Beeren, wobei die Äpfel etwa 90 Prozent des Volumens ausmachen. Frank Döscher, Geschäftsführer der Elbe-Obst Vertriebsgesellschaft mbH, sagt: „In guten Jahren kommen wir auf 160 000 Tonnen, manchmal sogar noch mehr.“

Damit ist klar: Die regionale Produktion im Alten Land, in Kehdingen und auf der Geest kann unmöglich auch in der Region vermarktet und verbraucht werden. Wenn von Region gesprochen wird, bedeutet das für den Elbe-Obst-Vertrieb immer „ganz Deutschland“. Überregional wäre in dem Sinne Europa, wobei Äpfel aus dem Alten Land auch nach Taiwan geliefert werden. Die Konstruktion von Elbe-Obst vereint Anbau und Vermarktung. Marketing-Leiter Jens Anderson: „National betrachtet kommt jeder fünfte Apfel aus Deutschland. Auf die Tonnage berechnet sind wir hier im Bereich Obst und Gemüse sogar die größte Erzeugerregion Deutschlands.“

Das weltweite Geschäft leidet nicht selten unter unkalkulierbaren Einflüssen. So war Russland bis vor sieben Jahren mit bis zu
10 000 Tonnen ein respektabler Absatzmarkt – bis Putin ein Embargo für Äpfel aus der EU aussprach. Erschwerend wirken aber auch andere Faktoren auf die Produktion im Alten Land. Döscher: „So haben wir in Polen beispielsweise eine ganz andere Personalkostensituation. Dort gibt es keinen gesetzlich fixierten Mindestlohn. In der Landwirtschaft arbeiten Menschen für einen erheblich günstigeren Stundensatz. Die niedrigen Lohnkosten machen es uns schwerer, wettbewerbsfähig zu bleiben.“

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Trotz allem schlagen sich die Obstbauern aus dem Alten Land nach wie vor gut. Ein Grund: Sie haben einen hohen Organisationsgrad als Mitglieder in den Erzeugerorganisationen und sind so in der Lage, ein attraktiver Partner der großen Ketten im Lebensmitteleinzelhandel zu sei. Fast alle sitzen mit Elbe-Obst am Verhandlungstisch und stehen in einem regelmäßigen Dialog um Angebot und Preis. Die Direktvermarktung ist ein ergänzender Absatzkanal, bei den Mengen an Obst aber keine Lösung. Die Mitglieder von Elbe-Obst unterliegen zudem einer Andienungspflicht – eine direkte Belieferung des Einzelhandels ist damit ausgeschlossen. Aber: Direktvermarktung über Hofläden, Wochenmärkte und Online-Shops ist erlaubt. Anderson: „Tatsächlich haben wir in unserer Region bereits ein halbes Dutzend Online-Shops, in denen Obst bestellt werden kann.“

Das Gegengewicht zum LEH

Was der einzelne Obstbauer im Direktvertrieb nur bedingt leisten kann, ist die vollumfängliche Qualitätssicherung. Frank Döscher: „Wir haben heute mehr QS-Mitarbeiter als Verkäufer. Die Ware, die von uns in den Handel geht, ist sortiert und geprüft, hygienisch perfekt verpackt und rückverfolgbar. Das ist ein Riesenthema. Wir sitzen hier im Glashaus. Fehler sind nicht erwünscht und werden nicht toleriert.“

Der Aufwand, den die großen Handelspartner mit ihren Vorgaben auslösen, steht in keinem Verhältnis zum fast folkloristischen, aber irgendwie gewünschten Hofverkauf in der Scheune. Döscher weiter: „Heutzutage geht es ja nicht nur um perfekte Ware ohne Flecken und Druckstellen, sondern auch um Nachhaltigkeit. Das wird immer wichtiger. Gibt es Blühstreifen für die Bienen an den Plantagen? Sind Vogelhäuschen aufgehängt? Wird umweltfreundlich produziert? Das sind die Fragen, die wir beantworten müssen. Wir sind mit unseren Kunden in den Plantagen unterwegs und zeigen, was wir alles tun. Nur am Ende muss das alles mit dem Apfel verdient werden.“ Zudem werde die Produktion auf diesem hohen Niveau durch die Klimaverschiebung immer schwieriger, beispielsweise weil neue Schädlinge auftauchen.

„Wir sitzen hier im Glashaus“

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Die hohen Anforderungen des Lebensmitteleinzelhandels und der Hang zum regionalen Produkt auf der Verbraucherseite bilden unter dem Strich einen Widerspruch, denn auch der Ab-Hof-Kunde verlangt einwandfreie Ware. Die lässt sich aber häufig nur durch ein immenses Investment produzieren. Allein Elbe-Obst betreibt als von der EU zugelassene und erwünschte Erzeugerorganisation sechs Sortierstandorte, sechs Packhäuser und entsprechende Kühlhallen, in denen die Ware so gelagert werden kann, dass sie das ganze Jahr über verfügbar ist – für die Region Deutschland und weit darüber hinaus.