Die Leerstandsoptik ist dramatisch

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Corona beschleunigt die Erosion des stationären Einzelhandels in den City-Lagen.

Sie wirken oft provisorisch, schnell dahingeschrieben – fast so, als hätte hier jemand schnell weggemusst: die Papierzettel, mit denen Einzelhändler auf die neuen, verkürzten Öffnungszeiten ihrer Geschäfte hinweisen. Diese Art von Schildern klebt mittlerweile in zahlreichen Türen und Schaufenstern von Läden in der südlichen Hamburger Metropolregion. Manche Anbieter haben nicht einmal mehr die Hälfte der ursprünglichen Zeit geöffnet. Gemeinsam mit dem Leerstand sind diese Zettel das Symbol der Krise der Innenstädte. Gänzlich neu ist das Thema freilich nicht. Bereits seit Jahren konstatiert die IHK Niedersachsen einen stetigen Rückgang von Einzelhändlern in ihrem Zuständigkeitsbereich. Waren es 2008 noch knapp 45 000, sank die Zahl jährlich im Schnitt zwischen einem und zwei Prozent und liegt mittlerweile um die 35 000. Während Corona verlor die Non-Food-Branche in Niedersachsen zudem 14,4 Prozent ihres Umsatzes. Vereinzelte Segmente – beispielsweise die Gruppe Bekleidung, Textilien, Schuhe und Lederwaren – brachen gemäß der IHK-Erhebung sogar um dramatische 70,9 Prozent ein.

„Als Corona kam, schlossen die Läden“, konstatiert Ralf Elfers. Der Lüneburger betreibt die Hold-Stores, ein Familienunternehmen mit 20 Läden, in ganz Norddeutschland. „Ich habe gleich zu Beginn der Pandemie den Kontakt zu anderen Geschäftsleuten gesucht und saß teilweise weinenden Menschen gegenüber, die pure Existenzangst hatten.“ Irgendwann gaben dann auch die ersten Einzelhändler auf. „Allerdings waren das vor allem Filialisten wie New Yorker, Tom Tailor und Bonita. Plötzlich sah man Leerstand in den A-Lagen, das hatte es zuvor nie gegeben“, berichtet der Modehändler. „Das ist für eine Stadt wie Lüneburg natürlich dramatisch. Denn die Läden waren wichtige Frequenzbringer, zudem ist die Leerstands-Optik natürlich verheerend.“

Buxtehude hat eine Sonderstellung

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Ein Problem, das Uli Wiegel nur allzu gut kennt. Er ist Vorsitzender des Altstadtvereins Buxtehude. „Der Leerstand ist ein großes Problem“, stellt der Elektronik-Fachhändler im Gespräch mit Business & People fest. „Früher waren wir extrem gut aufgestellt, aber das hat sich mittlerweile geändert, weil zu dem Druck aus dem Internet nun auch noch die Pandemie dazu kam.“ Nach wie vor bewege Buxtehude sich aber auf hohem Niveau. „Wir haben natürlich in mehrfacher Hinsicht Glück und werden deswegen sicherlich auch beneidet: Denn Buxtehude hat nicht nur eine historische Innenstadt, sondern auch noch das Kaufhaus Stackmann als Leuchtturm und Frequenzbringer.“

Wie man den Leerstand bekämpfen könne? Da ist Wiegel sich nicht sicher. Eine stärkere Durchmischung mit Büros und Wohnungen sieht er jedenfalls kritisch. „Die Innenstadt muss ja immer noch zum Bummeln einladen. Doch genau das kann bei einem Rückgang des Einzelhandels leicht verloren gehen.“

Besorgniserregend findet der Altstadtvereins-Vorsitzende das Verhalten mancher Immobilieneigentümer, die trotz des Leerstands nicht dazu bereit sind, die Mieten zu senken. „Das sind teilweise große Fonds, und die haben einfach eine andere Logik. Für den Wiederverkaufswert einer Immobilie ist es angeblich besser, sie mit einer auf dem Papier hohen Miete leer stehen zu lassen, als einem neuen Nutzer preislich etwas entgegenzukommen.“ Doch die erwarteten hohen monatlichen Zahlungen seien für Einzelhändler schlicht oft nicht zu erwirtschaften.

„Einfluss auf die Vermieter nehmen“

In das gleiche Horn stößt Frank Kettwig, Vorsitzender von Buchholz Marketing. „Mit was für einem Produkt möchte man sich heute noch als Händler selbstständig machen?“, fragt er rhetorisch. Die Stadt sollte Einfluss auf die Immobilien-Eigentümer nehmen, um zu hohe Mietzins-Forderungen einzudämmen. „Es muss doch hier das Motto ‚Leben und leben lassen‘ gelten. Ich weiß nicht, wie hier unter solchen Bedingungen auch mal kleine, interessant Geschäfte Fuß fassen sollen, die für einen guten Branchenmix so wichtig sind.“

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In Buchholz gebe es mittlerweile einen deutlich sichtbaren Leerstand. Auch in dem einst gut gebuchten Einkaufszentrum „Galerie“ in der Innenstadt sind zahlreiche Läden verwaist. Zudem erhält aktuell das gegenüberliegende ehemalige „City Center“ unter dem Namen „Buchholzer Höfe“ einen neuen Look und wird Dutzende Einzelhandelsflächen bieten. Es droht eine weitere Verwässerung der City. „Dabei muss die Bewegung in meinen Augen eher in die entgegengesetzte Richtung gehen. Die zukünftige Innenstadt wird sich auf eine kleinere Fläche fokussieren als bislang“, sagt er. „Und in diesem Bereich muss man dann die Aufenthaltsqualität verbessern.“

„Wehret den Anfängen“

Kettwig befürwortet, auch vermehrt auf die Kraft des Tourismus zu setzen, um die Städte zu beleben. „Auch das sind Besucher, die am Ende des Tages ihr Geld hier lassen.“ Eines sei für ihn jedenfalls sicher: „Auf uns kommen harte Zeiten zu und die Innenstadt wird in zehn Jahren ihr Gesicht sicherlich deutlich verändert haben.“

Stadtentwicklungs-Professor Thomas Krüger von der HCU sieht aktuell ebenfalls „den Beginn eines strukturellen Wandels“. Ein Teil der Gesamtthematik sei auch die immer stärkere Verbreitung von Homeoffice. „Das führt natürlich dazu, dass die Menschen weniger in die Städte gehen, sich dort aufhalten und beispielsweise Speisen konsumieren oder in der Mittagspause auch einmal kurz einkaufen.“ Er sieht die Gefahr eines sich selbst beschleunigenden Niedergangs. „Wenn der Leerstand erst einmal sichtbar wird, dann wird er auch schnell zunehmen. Daher gilt es, den Anfängen zu wehren.“

Die Einzelhändler in der südlichen Metropolregion haben diesen Kampf gegen die Verödung der Innenstädte jedenfalls bereits angenommen. Mancher wird dabei sogar zum Medienstar. Der Lüneburger Modehändler Elfers und sein Bekannter Thomas Laukat nahmen die aufrüttelnden Gespräche mit anderen Gewerbetreibenden zum Anlass für eine besondere Aktion. „Wir wollten, dass die Innenstadt-Händler den Bürgern auch während des Lockdowns in Erinnerung bleiben, denn wer als Kunde einmal verloren ist, der kommt so schnell nicht wieder“, berichtet er. Deswegen riefen sie die Aktion „Gelbe Leiter“ ins Leben. 200 Exemplare ließen sie in Kooperation mit Sponsoren anfertigen. Das knallige Accessoire wurde anschließend vor den Fachgeschäften der Stadt aufgestellt.

Charme-Offensive in Gelb

„Die Leitern stehen symbolisch für bedingungslosen Optimismus, eine branchenübergreifende Solidarität, verstehen sich als Charme-Offensive und setzen ein deutliches Zeichen: Wir sind da, wir sind lokal, wir stehen zusammen!“, sagt Elfers. Mittlerweile wurde die Aktion auch auf die Gastronomie und die Kulturbranche ausgeweitet – unter den Namen Gelber Stuhl und Gelber Vorhang. Auch andere Städte dürfen im kommenden Jahr das Konzept übernehmen.

Das Medienecho auf die kämpferische Aktion war enorm. Elfers gab unter anderem dem ZDF, der Süddeutschen Zeitung und der Welt Interviews. „Die Innenstadt geht uns alle an. Wir müssen begreifen, dass alles zusammenhängt und dass alle betroffen sind, wenn die City verödet“, sagt er. Es könne daher auch nicht die eine Instanz geben, die Innenstadt ‚mache‘. „Das alte Ressortdenken steht einer gelungenen City genauso im Weg wie rein finanzielle Immobilieninteressen. Eine wertvolle Innenstadt gelingt nur dann, wenn Stadtverwaltung, Politik, Eigentümer, Unternehmen und Verbraucher zusammenstehen.“

>> Web: diegelbeleiter.de