Die Schlacht um Moorburg tobt

So transformiert sich das Kohlekraftwerk von Vattenfall zum Dreh- und Angelpunkt der norddeutschen Wasserstoff-Pläne.

Alle Augen sind auf Berlin gerichtet. Wie wird das Bundeswirtschaftsministerium entscheiden? Es geht um viel, denn die Hansestadt will Hamburg zum zentralen Handelsplatz für grünen Wasserstoff machen und damit nicht nur ihren Beitrag zur Energiewende leisten, sondern auch neue Schwerpunkte im Bereich Hafen und Industrie setzen. Gemeinsam mit den Nachbarländern wird an allen möglichen Stellschrauben gedreht, um Bundesfördermittel für die teils ehrgeizigen Vorzeigeprojekte zu bekommen. Moorburg im Süden der Metropole spielt dabei eine entscheidende Rolle, denn hier liegt das 2015 eingeweihte und damit modernste Kohlekraftwerk Europas in den letzten Zügen. Mehrere Konsortien bemühen sich derzeit darum, aus Hamburgs größtem Auspuff ein Zentrum für die Energiegewinnung auf Wasserstoffbasis zu machen. „Wasserstoffstandort Norddeutschland“ lautete das Thema bei der zweiten Zukunftskonferenz für Industrie, Logistik und Häfen, zu der kürzlich ein namhafter Zusammenschluss verschiedener Institutionen – darunter die Hansestadt Stade, Hamburg Invest und die HPA – und Unternehmen unter Regie des Hafen Hamburg Marketing e. V. eingeladen hatte. Mit dabei: Wirtschaftssenator Michael Westhagemann und Dr. Fabian Ziegler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutsche Shell Holding GmbH und der Geschäftsführung der Shell Deutschland Oil GmbH, der die ambitionierten Pläne der Shell und ihrer Konsortialalpartner Vattenfall, Mitsubishi und Hamburg Wärme erläuterte.

Die Perspektive für Moorburg: In dem dann stillgelegten Kraftwerk soll im ersten Schritt ein Elektrolyseur (zerlegt unter Stromzufuhr Wasser in die Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff) mit einer Leistung von 100 Megawatt gebaut werden – mit Option auf eine Erweiterung von etwa 500 Megawatt. Zum Vergleich: Auf dem Shell-Raffineriegelände in Köln geht ganz aktuell eine vergleichsweise kleine Zehn-Megawatt-Anlage ans Netz. Eine ganz andere Größenordnung: Der Förderverein AquaVentus, zu dem 48 namhafte Unternehmen, darunter auch Shell, zählen, denkt bereits konkret über ein Zehn-Gigawatt-Offshore-Elektrolyse-Netzwerk rund um Helgoland nach. Ziegler zum Thema Energiewende: „Der Schalter ist umgelegt.“ Konkret geht es darum, die Windenergie über die Wasserstoffproduktion vielfältig nutzbar und vor allem auch speicherbar zu machen. Moorburg liegt ideal, verfügt über Kaianlagen, einen Anschluss an die 380-KV-Hochspannungsleitung und die Anbindung an Industriebetriebe. Ziegler und seine Mitstreiter waren mit ihrem Konzept früh am Ball, haben dann aber Konkurrenz bekommen. Das vielgescholtene Kohlekraftwerk an der Süderelbe steht vor einer visionären Transformation zu einem Leuchtturm der Nachhaltigkeit. West­hagemann: „Moorburg ist ein einzigartiger Standort. Jetzt müssen wir aber abwarten, wie das Bundeswirtschaftsministerium über die eingereichten Förderanträge entscheidet.“

Stade und Bremen/Bremerhaven sind an Bord

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Der Termin für die zweite Zukunftskonferenz „Wasserstoffstandort Norddeutschland“ in Hamburg war perfekt gewählt, denn am Vortag hatte das Bundesverkehrsministerium eine wichtige Vorentscheidung im Standortwettbewerb „Technologie- und Innovationszentrum Wasserstofftechnologien für Mobilitätsanwendungen“ bekanntgegeben und die Wettbewerbsbeiträge aus Hamburg, Bremen/Bremerhaven und Stade gemeinsam für die nächste Stufe des Auswahlverfahrens ausgewählt. Die drei Standorte sollen nun ein gemeinsames Technologie- und Innovationszentrum für Wasserstoffanwendungen realisieren, das sich auf die Segmente Luftfahrt, Schifffahrt und Intralogistik konzentriert.

Das Hamburger Konzept besteht aus einem unter anderem auf klein- und mittelständische Unternehmen (KMU) und Start-ups ausgerichteten Dienstleistungszentrum, segmentspezifischen Test- und Innovationszentren sowie einem Fuel Cell Lab. Der Fokus liegt auf der Entwicklung und Integration von Brennstoffzellensystemen und hiermit korrespondierenden Komponenten, auf der Hybridisierung von Antrieben, Betankungskonzepten sowie der Logistik, Lagerung und Aufbereitung grünen Wasserstoffs und wasserstoffbasierter Brennstoffe. Zum Stichtag 20. Januar 2021 waren insgesamt 15 Konzeptskizzen aus dem gesamten Bundesgebiet eingereicht worden. Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann: „Ich freue mich riesig, dass wir in die Endrunde gekommen sind. Die heutige Entscheidung des Bundesverkehrsministeriums eröffnet uns konkrete Perspektiven bei der Entwicklung Hamburgs hin zu einem führenden Wasserstoffstandort auch im Bereich von Luftfahrt, Flugzeugbau und Schifffahrt. Wir freuen uns, dass wir nun ein Detailkonzept im engen Schulterschuss mit unseren Partnern in Bremen/Bremerhaven sowie Stade erarbeiten dürfen.“

Wertschöpfungskette im Blick

Die Initiative, ein solches Konzept am Standort Hamburg zur Umsetzung zu bringen, hatte zuvor eine breite Unterstützung von Unternehmen, Verbänden, Zertifizierungsstellen und Forschungsinstitutionen aus der Luftfahrt, der Intralogistik sowie der See- und Binnenschifffahrt erfahren. Die mehr als 80 vorliegenden Interessensbekundungen zur Unterstützung des Vorhabens bilden das gesamte Spektrum der Wertschöpfungskette ab. Das deckt sich mit dem politischen Ziel, die norddeutsche Wasserstoffwirtschaft zu entwickeln. Hamburg hat dazu eine eigene Stabsstelle mit acht Mitarbeitern gegründet, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben und die Förderanträge auf Bundesebe eingereicht. Wasserstoff ist auch ein großes Zukunftsthema im Landkreis Stade sowie in der Region Bremen/Bremerhaven. Schleswig-Holstein ist beispielsweise über Helgoland (gehört zum Landkreis Pinneberg) eingebunden.

Die Idee, dort inmitten der Offshore-Windparks Elektrolyse zu ermöglichen, gehört in die Kategorie der Großprojekte, über die auch bei Shell nachgedacht wird. Der einstige Mineralölkonzern befindet sich nach Aussage von Dr. Fabian Ziegler, Vorsitzender der Geschäftsführung der Deutsche Shell Holding GmbH, ebenfalls in einem radikalen Transformationsprozess und hat das Ziel ausgegeben, den CO2-Fußabdruck – immerhin 80 Millionen Tonnen pro Jahr – bis 2030 um mindestens ein Drittel zu senken. Heute beschäftige sich das Unternehmen verstärkt mit Themen wie Strom und Bio-Produktion. Wasserstoff sei im Zuge der Transformation ein extrem wichtiges Thema. Ziegler: „Hier ist ein neuer Markt für ein sauberes Europa.“ 

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