„Hilfe, meine Wohnung ist geschrumpft!“

Wohnung kleiner als gedacht? Jutta Ritthaler (rechts) und Claudia Hippert, Fachanwältinnen für Miet- und Wohnungseigentumsrecht, messen juristisch nach . . . Foto: Wolfgang Becker

Jutta Ritthaler und Claudia Hippert, Fachanwältinnen bei SchlarmannvonGeyso, über Flächenabweichungen bei Miet- und Kaufverträgen von Wohnraum

Ob Kauf oder Miete: Wenn es darum geht, dass Flächen den Besitzer wechseln, dann kommt es auf jeden Quadratmeter an. Das leuchtet jedermann ein. Tatsächlich aber sind Flächenabweichungen ein großes Streitthema, wie die Rechtsanwältinnen Jutta Ritthaler und Claudia Hippert bestätigen. Beide sind Fachanwältinnen für Miet- und Wohnungseigentumsrecht im Team Immobilien & Baurecht der Harburger Partner-Kanzlei SchlarmannvonGeyso. Und beide wissen aus der Praxis, dass ausgerechnet die Bestimmung der korrekten Größe einer Fläche – eigentlich ein klarer Fall – ein juristisches Dauerthema ist.

Jutta Ritthaler: „Wenn eine Wohnung zur Miete angeboten wird, steht da in der Regel eine Quadratmeterzahl, nicht selten ein Zirka und manchmal eben auch der Hinweis ‚Wohn-/Nutzfläche‘. Da geht es doch schon los – was heißt denn das eigentlich? Spätestens bis zur nächsten Mieterhöhung sollte klar sein, wie groß die Wohnung tatsächlich ist und nach welchen Maßstäben das ermittelt wurde.“ (Siehe Kasten zur WoFlVO)

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Kompliziert wird es bei älteren Mietverträgen, denn vor 2003 gab es noch keine WoFlVO – also gilt altes Recht. Claudia Hippert: „In diesen Fällen behelfen wir uns mit der II. Berechnungsverordnung für öffentlich geförderten Wohnraum, die auch für nichtgeförderte Wohnungen angewendet wird.“

Das Zehn-Prozent-Urteil

Alte Mietverhältnisse wurden häufig nach dem Muster „gemietet wie besehen“ geschlossen, was dazu führen konnte, dass der Mieter vor Gericht kaum Aussicht auf Erfolg hatte. 2004 gab es dann ein Urteil, das grundsätzlich eine Mietminderung möglich machte, wenn die Abweichung der Fläche größer zehn Prozent ist. Aber erst 2015 entschied der Bundesgerichtshof, dass Miet­erhöhungen und Nebenkosten nur nach der tatsächlichen Fläche berechnet werden dürfen. Demnach durfte die Miete bei Abweichungen von mehr als zehn Prozent entsprechend angepasst werden – übrigens ein Recht, das sowohl dem Mieter als auch dem Vermieter eingeräumt wird, wobei die allermeisten Fälle allerdings vor Gericht landen, weil die gemietete Wohnung kleiner als angegeben ist. Jutta Ritthaler: „Nach dem Urteil hatten wir plötzlich eine Vielzahl von Prozessen mit dem Ziel, die Miete zu mindern.“

Die Auslöser solcher Verfahren sind nicht selten banaler Natur, wie die Rechtsanwältin sagt: „Da wird ein neuer Teppichboden bestellt und plötzlich passt das hinten und vorne nicht mehr. Dann heißt es: Hilfe, meine Wohnung ist geschrumpft!“ Claudia Hippert: „Ist die Abweichung kleiner als zehn Prozent, kann die Miete nicht gemindert werden. Aber: Die nächste Mieterhöhung darf sich nur auf die tatsächliche Größe beziehen. Dasselbe gilt für die Nebenkostenabrechnung.“

Die Brisanz des Themas ergibt sich daraus, dass die „ortsübliche Vergleichsmiete“ pro Quadratmeter ermittelt wird und beabsichtigte Mieterhöhungen auf die ortsübliche Miete pro Quadratmeter begrenzt sind. Da sich eine beabsichtigte Erhöhung nun auf weniger Quadratmeter verteilt, sind dem Vermieter schneller Grenzen gesetzt als vorher. Jutta Ritthaler: „In Hamburg ist das klar, denn da haben wir den Mietenspiegel. Doch weder in Stade, Lüneburg, Winsen, Buchholz oder Buxtehude gibt es ein solches Instrument, an dem sich Mieter und Vermieter orientieren können. Das ist ein echtes Problem.“ Der Grund: Das Erstellen eines statistisch haltbaren Mietenspiegels ist sehr aufwendig und teuer.

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Von Außenwand zu Außenwand

Im Gewerbebereich sind die Flächenberechnungen bei Mietobjekten deutlich einfacher geregelt. Claudia Hippert: „Es ist allgemein üblich, die Flächen von Gebäuden ab Außenwand zu berechnen. Alles, was sich darin befindet, ist Nutzfläche – also auch Flure, Flächen in Treppenhäusern und vor Aufzügen. Da wird nicht mehr unterschieden. In den Mietverträgen sind zumeist Klauseln enthalten, die Abweichungen von drei bis fünf Prozent zugestehen. Bei Neubauten ist das einfacher, da gibt es fast immer ein korrektes Aufmaß.“ 2004 hat die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V. (gif) dazu eine unabhängige Richtlinie verfasst, und den Begriff des gewerblichen Raums definiert. Eine Grundlage auch für Juristen.

Jutta Ritthaler sagt: „Dass in Mietverträgen Zirka-Angaben gemacht werden, ist durchaus verbreitet. Was so viel bedeutet wie, dass die tatsächliche Größe nicht ganz klar ist.“ Dadurch sind Rechtsstreitigkeiten schon fast programmiert. Doch die Anwältin weiß aus der Praxis: „Für viele Menschen ist so eine gerichtliche Auseinandersetzung sehr belastend. Gerade in Mietverhältnissen wird das Problem dann immer weiter mitgeschleppt. Es lohnt de facto nicht, sich um 0,25 Quadratmeter weniger Fläche zu streiten. Ein Mietvertrag im Privaten ist ein emotionales Verhältnis. Da geht es um das Zuhause.“

Bei Kauf gelten andere Regeln

Flächenabweichungen sind auch ein Thema bei Kaufverträgen von Immobilien. Der Vollständigkeit halber: Die Zehn-Prozent-Grenze gilt hier nicht. Hat das gekaufte Haus nach der Übernahme plötzlich weniger Quadratmeter als im Vertrag festgehalten, kann der Käufer den Kaufpreis mindern und das zumeist schon geflossene Geld zurückfordern. Das gilt für Altbauten ebenso wie für neue Häuser. Die Forderung muss allerdings binnen einer Dreijahresfrist erfolgen. wb

Web: https://www.schlarmannvongeyso.de/de/rechtsberatung/immobilienrecht-und-baurecht

Das sagt die WoFlVO
Bis 2015 war die rechtliche Situation so: Standen im Mietvertrag beispielsweise 95 Quadratmeter, dann hieß das 95 Quadratmeter. Seit 2015 gilt die Zehn-Prozent-Regel für Anpassungen der laufenden Miete: Bei Streitigkeiten um Nebenkosten oder bei der Ermittlung der Quadratmetermiete für ein Mieterhöhungsverlangen gemäß § 558 BGB wird die tatsächliche Größe zugrunde gelegt. Jutta Ritthaler: „Da Grundrisse bei Mietverhältnissen keineswegs grundsätzlich herausgegeben werden, stellt sich die Frage, wie die tatsächliche Größe ermittelt werden kann. Dabei hilft uns die Wohnflächenverordnung von 2003.“ Die fünf Paragraphen der sogenannten WoFlVO regeln beispielsweise, inwieweit Nebenräume berücksichtigt werden. Im Wesentlichen sieht das so aus:

  • Nebenräume innerhalb der Wohnung zählen zu 100 Prozent zur Wohnfläche.
  • Kellerräume oder Verschläge auf dem Dachboden zählen nicht dazu.
  • Balkon- oder Terrassenflächen werden zu einem Viertel berücksichtigt, es sei denn sie bieten „einen höheren Gebrauchswert“ (beispielsweise bei vorhandener Überdachung) – dann kann die Hälfte in den Wohnraum einbezogen werden.
  • Flächen unter Dachschrägen werden bis zu einer Höhe von einem Meter nicht berechnet. Der Bereich zwischen einem und zwei Metern gilt zur Hälfte als vollwertige Wohnfläche.

Alternativ ist eine Wohnflächenermittlung auch nach DIN 277 möglich, die das Problem allerdings von der anderen Seite her angeht, indem sie regelt, was Nutz- und Verkehrsflächen einer Wohnung sind.