„Maia“ wird das nächste große Ding

TIPLU

Der Harburger Klinikdienstleister Tiplu arbeitet an einer Software, die Komplikationen nach OP-Terminen vorhersagen kann.

Je größer die Datenmenge, desto besser: Der Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) bei der Bearbeitung komplexer Aufgaben ist ein Feld, das vielen Menschen Unbehagen bereitet. Selbstlernende Maschinen, die eines Tages die Macht übernehmen? Dr. Moritz Augustin: „Ich mag den Begriff Künstliche Intelligenz nicht, denn in Wahrheit verbirgt sich dahinter nur eine statistische Mustererkennung, die mit hoher Geschwindigkeit zu Ergebnissen führt. Das kommt uns intelligent vor, insbesondere, weil sich diese Systeme auch noch selbstständig optimieren.“ Der 35-Jährige ist Prokurist bei Tiplu und leitet in Berlin die Entwicklungsabteilung Machine Learning. Derzeit befasst sich das Harburger Tech-Unternehmen im Gesundheitsbereich intensiv mit der Frage, inwieweit sich aus digitalen Patientenakten automatisiert und mit selbstlernenden Systemen (Machine Learning) Prognosen zu drohenden gesundheitlichen Komplikationen ableiten lassen. Bereits Ende dieses Jahres soll die Abrechnungssoftware „Momo“, das Hauptprodukt von Tiplu, mit „Maia“ eine „Schwester“ bekommen, die aus den Daten eines Patienten herauslesen kann, dass sich beispielsweise eine Sepsis oder ein Nierenversagen ankündigen. Augustin: „Wenn dann prophylaktisch gehandelt wird, können wir Leben retten.“

Handeln, bevor die Krise ausbricht

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Wie in B&P bereits ausführlich vorgestellt, ging mit Tiplu im Jahr 2016 ein Start-up auf den Markt, das sich auf die softwaregestützte Erlössicherung von Krankenhaus-Abrechnungen spezialisiert hat (Link siehe unten). Mehr als 400 Kliniken bundesweit nutzen dazu mittlerweile die Software „Momo“, die bereits mit KI arbeitet. Doch frei nach dem Motto „Stillstand ist Rückschritt“ stellten sich die Harburger Gründer Tim und Lukas Aschenberg sowie Peter Molitor schon bald die Frage, was sich aus den enormen Datenmengen noch machen ließe. In IT-Kreisen hieße die Frage: „Was wird das nächste große Ding?“

Bei „Momo“ geht es um die korrekte Rechnungsstellung von Krankenhäusern, also eine wirtschaftliche Frage. Die Software identifiziert vom Krankenhaus erbrachte und dokumentierte Leistungen, die in der Abrechnung vergessen werden könnten, beispielsweise spezielle Eingriffe in OP-Berichten. Bei „Maia“ setzen die Entwickler beim Patientenwohl an. Es dürfte sich letztlich aus Kliniksicht ebenfalls auszahlen, wenn ein Patient softwareunterstützt rechtzeitig behandelt werden kann, bevor eine lebensbedrohliche Krise ausbricht.

Moritz Augustin: „Machine Learning (ML) basiert auf der Mustererkennung in großen Datenmengen. Dahinter verbirgt sich immer eine exakte mathematische Fragestellung. Die mathematischen Algorithmen, gepaart mit effizienter Software-Technik, filtern diese Muster aus den vorhandenen Daten heraus. Hier sind Mathematik und Informatik miteinander im Gespräch.“ Im Falle von „Momo“ lernt die Software unter anderem, indem OP-Berichte, also vom Arzt geschriebene Texte, analysiert und die Inhalte mit den dazugehörigen Kodierungen der erbrachten und abrechenbaren Leistungen verglichen werden. Einfach ausgedrückt: Wenn dieser Abgleich zigtausend Mal stattfindet, erkennt die Software, wenn die Schlagworte im Bericht nicht zu den Kodierungen passen. Das System kontrolliert und optimiert sich selbst. Augustin: „Für solche Prozesse ist die Qualität der Daten maßgeblich.“

Dieses Prinzip soll nun bei „Maia“ ausgeweitet werden, denn die digitalen Patientendaten geben viel mehr her als nur Abrechnungscodes und Leistungsbeschreibungen nach Operationen. Moritz Augustin: „Wir arbeiten heute mit umfangreichen digitalen Patientenakten. Dort sind beispielsweise auch die Laborwerte, die Vitalparameter und die Medikation enthalten. Unser Ansatz: Anhand einer automatisierten Analyse lassen sich Risiken vorhersagen. Treten bestimmte Kombinationen ein, steigt die Gefahr eines Infarkts oder einer Sepsis oder eines akuten Nierenversagens. Die Prognose löst einen Alarm aus – der Patient kann allein nach Aktenanalyse vorbeugend behandelt werden.“

Foto: Tiplu
Er leitet die Tiplu -Entwicklungsabteilung in Berlin: Dr. Moritz Augustin (35) ist Informatiker und Mathematiker. Foto: Tiplu

Eine Entwicklung mit Potenzial

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Zurzeit ist Tiplu mit „Maia“ noch im Entwicklungsstadium, aber mit Blick auf das Jahresende soll die Zielgerade erreicht werden. „Maia“ soll Kliniken helfen, die Komplikationsrate zu senken. Dies gilt sowohl für leichte als auch für schwere und tödliche Komplikationen. Zudem eröffnet die Software-Entwicklung perspektivisch einen weiten Raum, denn bislang geht es, wie beschrieben, um die häufig auftretenden Komplikationen. Moritz Augustin kann noch keine konkrete Zahl nennen, er geht aber davon aus, dass „Maia“ zum Marktstart mehrere Dutzend Komplikationsmuster erkennen wird. In Zukunft könnten sich auf Basis von Patientendaten möglicherweise auch Konstellationen erkennen lassen, aus denen sich ein Krebsrisiko ableiten ließe. Doch das ist derzeit noch Zukunftsmusik und wirft zudem – Stichwort „Der gläserne Patient“ – auch juristische und ethische Fragestellungen auf, die nicht von KI-Spezialisten, sondern von Politikern beantwortet werden müssen. Dazu plant B&P für das zweite Halbjahr eine prominent besetzte „impact“-Diskussionsrunde.

Dennoch denkt der Machine-Learning-Experte schon weiter: „Wir helfen mit unserer Software, Muster in Patientendaten zu erkennen. Dazu wenden wir ML-Modelle an. Allerdings nutzen wir ‚erklärbares ML‘. Das heißt: Die Software sagt uns nicht nur, was möglicherweise droht, sondern auch, warum ein Risiko besteht. Das ist eine erheblich bessere Unterstützung für den Arzt, der aufgrund der Analyse eine Entscheidung für die Prophylaxe treffen muss.“ Konkret könnte das beispielsweise die Veränderung einer Medikation sein. wb

>> Web: www.tiplu.de