„Wasserstoff ist das Öl von morgen“

Der Stader Oliver Grundmann befasst sich als Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion speziell mit den Themen Wasserstoff und alternative Antriebsstoffe.

INTERVIEW Oliver Grundmann, MdB aus Stade, über sein Fachgebiet im Deutschen Bundestag: Alternative Antriebsstoffe

Er ist der einzige Bundestagsabgeordnete aus dem Landkreis Stade und befasst sich kaum überraschend mit einem Thema, das für die gesamte Unterelberegion von großer Bedeutung ist: Oliver Grundmann (CDU) ist Mitglied im Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit und dort Berichterstatter für das Fachgebiet Wasserstoff und alternative Antriebsstoffe. Damit ist der Volljurist (und gelernte Chemielaborant) innerhalb der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sozusagen der Experte für das, was am Anfang der Mobilität steht: die Antriebsart. Während die E-Mobilität politisch derzeit als das Zukunftsthema gilt, schaut Grundmann bereits weiter, denn auch er weiß, dass beispielsweise die Rohstoff-Frage der Herstellung von Batterien natürliche Grenzen setzt. Für den Vorsitzenden des Arbeitskreises Küste, in dem sich einmal pro Woche die etwa zwei Dutzend „Küstenparlamentarier“ innerhalb des Bundestages zusammensetzen, liegt es auf der Hand, dass die physikalische/kausale Kette Wind-Strom-Elektrolyse-Wasserstoff auch politisch stärker in den Fokus rückt. Mit Oliver Grundmann sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker.

Die Politik setzt derzeit voll auf die Karte E-Mobilität. Lässt sich damit Deutschlands künftiger Mobilitätsbedarf abdecken?

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Eine einseitige Ausrichtung auf batteriebetriebene E-Mobilität wäre sicherlich zu kurz gedacht. Denn auch Brennstoffzellenfahrzeuge sind Elektrofahrzeuge. Nur die Speicherform der Energie ist eine andere. Beide haben ihre Vor- und Nachteile. Schauen Sie doch einfach mal auf den Bereich der Schwerlasttransporte. Wir haben über drei Millionen Lkw auf deutschen Straßen. Würden wir diese batterieelektrisch antreiben, dann wären diese Lkw so schwer, dass sie damit vielleicht noch Styropor transportieren könnten, aber sicher keine schweren Lasten. Die dafür notwendigen Batterien sind einfach viel zu schwer, ganz zu schweigen von der begrenzten Reichweite. Ziel muss es sein, dass wir mit einem sinnvollen Antriebs-Mix den Energieverbrauch und CO2-Ausstoß reduzieren. Ich plädiere dafür, dass wir rein batterieelektrische Antriebe dort einsetzen, wo es wirklich Sinn macht. Nämlich in den Städten und auf überschaubaren Pendlerstrecken mit einer Lademöglichkeit zu Hause, also beispielsweise im ländlichen Bereich. Für lange Strecken, Fahrer von größeren und schwereren Fahrzeugen – ich denke da an meinen VW-Familienbus zu Hause – oder Linienbusse im Stadtverkehr, sehe ich synthetische Kraftstoffe, vor allem aber Wasserstoff als die deutlich sinnvollere Option. Wasserstoff hat den Vorteil, dass er leicht ist, die Betankung nur wenige Minuten dauert und problemlos Reichweiten über 500 Kilometern erzielt werden können. Das ist ein wesentlicher Unterschied zu den reinen Batterieantrieben.

Die Technik ist vergleichsweise teuer und wird von der deutschen Autoindustrie eher stiefmütterlich bis gar nicht behandelt. Lässt der Markt den Einstieg in diese Technologie nicht zu?

Für mich steht fest: Wasserstoff gehört die Zukunft! Wasserstoff ist das Öl von morgen. Der Treiber für den aktuellen Trend zur Elektromobilität ist vor allem der zukünftige CO2-Preis: Bisher hatte das bei der Verbrennung entstehende klimaschädliche CO2 keinen relevanten Preis und auch die Grenzwerte waren relativ gering. Das hat sich mit der Klimapolitik geändert: Nun steht die Autoindustrie unter Zeitdruck, weil ab nächstem Jahr deutlich schärfere Grenzwerte für CO2 in der EU gelten. Die deutschen Hersteller konzentrieren sich zunächst auf die batterie-betriebenen Autos. Die Brennstoffzellen selbst sind dagegen noch sehr teuer. Sie werden aber bei einer Massenproduktion bald spürbar günstiger. Und: Wir haben bisher nur rund 100 Wasserstoff-Tankstellen in Deutschland, brauchen aber mindestens 1000 Tankstellen, um eine für Kunden akzeptable flächendeckende Infrastruktur zu erreichen. Hier haben wir das klassische Henne-Ei-Problem: Weil wir nur wenige Wasserstoff-Autos auf den Straßen haben, gibt es nur wenige Tankstellen und dasselbe gilt umgekehrt. Da müssen wir einen Gang höher schalten. Von diesem Zukunftsmarkt dürfen wir uns nicht abhängen lassen. Umso wichtiger, dass sich mit dem Mercedes GLC F-Cell und künftig dem Audi h-tron hervorragende deutsche Fabrikate vorhanden sind.

Was bedeutet Wasserstoff für den Schwerlastverkehr?

In der Tat müssen wir auch bei Bussen, Lkw und Baustellenfahrzeugen endlich Fahrt Richtung Wasserstoff aufnehmen. Unsere Region hat dabei die besten Chancen, zum Wasserstoff-Pionier in Deutschland zu werden. Die Kirchhoff-Tochter Faun aus Osterholz ist hier bereits ein echter Vorreiter und produziert die weltweit ersten Müllfahrzeuge und Kehrmaschinen mit Brennstoffzellenantrieb. Damit fahren sie mit Wasserstoff und ganz ohne CO2 und Feinstaubausstoß in die Zukunft. Mit der Firma Clean Logistics aus dem Landkreis Harburg haben wir außerdem ein Startup in unserer Region, das verkehrsübliche Lkw auf Brennstoffzellenantriebe mit Wasserstoff umrüstet. Das ist super, denn die Logistikbranche hat enormen Bedarf. Zwei geniale Wasserstoffgeschichten aus unserer Region, die alle in Berlin Furore machen, wie übrigens auch der Wasserstoffzug von Alstom.

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Was sind aus Ihrer Sicht die Punkte, die für das Thema „Wasserstoff made in Norddeutschland“ sprechen?

Wir haben in Norddeutschland gleich mehrere Trümpfe in der Hand: Wir haben Wind im Überfluss und das notwendige Umspannwerk samt TenneT-Knotenpunkt sogar direkt vor der Haustür. Wobei man einschränkend sagen muss: Noch haben wir (Wind-)Strom im Überfluss. Einen Teil des Windstroms wollen wir mithilfe von Elektrolyseuren zu Wasserstoff umwandeln. Auch das ist eine Form der Energiespeicherung. Wir sind außerdem in der Lage, in unseren vorhandenen Salzkavernen große Mengen Wasserstoff zu speichern.

Welche Rolle wird der Import von Wasserstoff spielen?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt! Mit gigantischen Ressourcen an Sonnenenergie werden zum Beispiel Afrika oder der Nahe Osten künftig sehr günstig riesige Mengen grünen Wasserstoff produzieren können. Wenn dieser vor Ort in grünes Methan synthetisiert und verflüssigt wird, haben wir einen CO2-neutralen Energieträger, der sehr gut transportierfähig ist. Einen Energieträger, den wir ebenso wie konventionelles LNG-Flüssig-Erdgas per Schiff importieren und anlanden können. Mit anderen Worten: Die Flüssiggas-Infrastruktur von morgen ist die Infrastruktur für grüne Kraftstoffe von übermorgen. Gerade für meine Heimatstadt Stade sehe ich darin eine Riesenchance. Stade hat das Potenzial, zur Drehscheibe für die Energie von morgen zu werden, zu einem Energie-Hub für das ganze Land.

Wo sehen Sie die Chancen für die Unterelbe-Region und welche Rolle spielt dabei speziell in Stade eigentlich DOW Chemicals als Wasserstofferzeuger?

Mit DOW Chemical haben wir zurzeit einen der größten Wasserstoffproduzenten in unserer Mitte. Bei deren Produktion fallen jährlich – gewissermaßen als Nebenprodukt – über 50 000 Tonnen Wasserstoff an. Ich habe keinen Zweifel: Wenn die CO2-Bepreisung anfängt zu greifen, dann wird die Wasserstoffwirtschaft erst richtig marktfähig und sprichwörtlich abheben. Einen Antrag für ein Reallabor zur Produktion von Methanol aus Wasserstoff hat DOW ja bereits gewonnen. Damit könnten bald über 200 000 Tonnen dieser wichtigen Grundchemikalie produziert werden. Ich sehe auch große Chancen für die Produktion von synthetischen Kraftstoffen wie grünem Kerosin oder Methan. All das wäre bei uns möglich. Mit diesen sogenannten Power-to-X-Kraftstoffen stellen wir zukünftig das CO2-neutrale Fliegen sicher und treiben die Containerriesen auf den Weltmeeren an. Eine phantastische Zukunftsvision für unsere Region wäre es, wenn wir all unsere Expertise vor Ort in einem Startup Excellence Center zusammenführen könnten. Bei der DOW ist doch alles vorhanden: mit den großen Mengen Wasserstoff, CO2-Prozessgasen, der langjährigen Expertise und weiteren Standortvorteilen könnte sich die Erfolgsgeschichte des CFK Valley jetzt für Wasserstoff wiederholen. Das, was Bill Gates in seiner Garage für die Computerindustrie erschaffen hat, wollen wir jungen Startups der Wasserstoffwirtschaft ermöglichen: Man muss einfach mal groß denken!

Müsste die deutsche Wirtschaft nicht im Schulterschluss mit der Politik „volle Power“ in die Wasserstofftechnologie investieren, um dafür zu sorgen, dass beispielsweise unsere Autoindustrie mit ihren hunderttausenden Jobs nicht sehenden Auges abgehängt wird?

Mit den Reallaboren der Energiewende werden wir zukunftsfähige Wasserstoff-Energietechnologien bereits unter realen Bedingungen und im industriellen Maßstab erproben. Dafür stellt unser Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) jährlich über 100 Millionen Euro zur Verfügung. Weitere 1,4 Milliarden Euro investiert das BMWi in den nächsten Jahren im Rahmen des Nationalen Innovationsprogramm Wasserstoff- und Brennstoffzellentechnologie (NIP). Und auch das Forschungsministerium legt dazu richtig was auf den Tisch. Unsere nationale Wasserstoffstrategie, die wir gerade auf den Weg bringen, ist eine der wichtigsten industrie- und energiepolitischen Weichenstellungen der nächsten Dekade. Wenn wir die Corona-Krise hinter uns gelassen haben, werden wir uns wieder diesem wichtigen Thema zuwenden.