INTERVIEW Stadtentwicklungssenatorin Karen Pein zur aktuellen Situation im Hamburger Wohnungsbau
Mitte Dezember vorigen Jahres trat sie ihr neues Amt an: Karen Pein, bis dahin Geschäftsführerin der IBA Hamburg GmbH, wurde Stadtentwicklungssenatorin und sitzt nun, gemeinsam mit Umweltsenator Jens Kerstan, in dem markanten bunten Behördengebäude, das die IBA einst als Leuchtturmprojekt auf die Elbinsel Wilhelmsburg gesetzt hatte. Im Interview mit B&P-Objektleiter Wolfgang Becker spricht sie über die aktuelle Lage im Wohnungsbau, eine Neujustierung der ehrgeizigen Energieeffizienzstandards bei Neubauten und ihre Sicht auf den Elbtower. Außerdem stimmt sie die Hamburger auf anstrengende Zeiten ein, da zeitgleich mehrere große Umbauwellen auf den Wohnungsbestand zurollen – eine Herausforderung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, wie Karen Pein sagt.
Noch drehen sich viele Baukräne, doch ab und zu liest man, es seien die letzten – stimmt das? Allgemeine Bauaktivitäten in Hamburg: Stillstand oder Delle?
Das ist zu sehr schwarzgemalt. Wir haben ja noch reichlich Baugeschehen, und es wird auch weiterhin gebaut werden. – Aber es stimmt, aktuell deutlich weniger. Im ersten Halbjahr 2023 ist die Zahl der genehmigten Wohnungen um etwas mehr als 40 Prozent gesunken. Das ist ein gewaltiger Rückgang.
Was kann getan werden, um den Wohnungsbau zu forcieren?
Mit der Eigenheimförderung haben wir zum 1. August nachgelegt, insofern kann sich da noch etwas tun. Erfreulich ist zudem der öffentlich geförderte Wohnungsbau. Zu Jahresbeginn haben wir die Förderung noch einmal stark angehoben und damit ein sehr attraktives Angebot geschaffen. Und die Förderung wird gut abgerufen. Im vorigen Jahr hatten wir mit unter 2000 bewilligten Wohneinheiten im sozialen Wohnungsbau einen Tiefststand erreicht. Dieses Jahr werden wir zwar nicht ganz bei den 3000 Wohneinheiten landen, die wir uns wünschen, aber bei deutlich über 2000 bewilligten Sozialwohnungen in Hamburg liegen. Das ist angesichts der Umstände auf dem Bau ein positives Signal und bestärkt weiterhin Hamburgs Rolle als deutschlandweiter Vorreiter im geförderten Wohnungsbau.
Gibt es Strategiewechsel bei den Bauherren?
Zumindest sind schon einige ursprünglich freifinanzierte Wohnungsbau-Projekte hin zum geförderten Wohnungsbau gewechselt.
Wie hoch ist der Wohnungsbedarf in Hamburg Stand heute?
Das Ziel sind 10 000 Genehmigungen pro Jahr, denn die führen in der Regel zu 7000 bis 8000 fertiggestellten Wohnungen. Die benötigen wir tatsächlich auch, weil wir Nachholbedarf haben und weiter wachsen. Auch wenn wir aktuell in einer schweren Lage sind, müssen wir an dem Ziel weiter festhalten.
Gibt es eigentlich den Punkt, an dem der Wohnungsmarkt ausgeglichen, das Verhältnis von Wohnungssuchenden zu Wohnungen erreicht ist?
Wir planen mittelfristig auch anhand von Bevölkerungsprognosen. Tatsächlich hatten wir einen Punkt erreicht, an dem das starke Wachstum abflaute und moderat wurde. Wir hätten dann mehr gebaut als durch das erwartete Bevölkerungswachstum benötigt worden wäre. Aber wir haben ja auch Nachholbedarf. In Hamburg gibt es derzeit 12.000 vordringlich wohnungssuchende Haushalte. Das bedeutet nicht, dass diese Menschen derzeit alle wohnungslos sind, aber sie suchen und leben zum Teil in prekären Situationen. Auch für diese Menschen müssen und werden wir den Neubau von Wohnungen weiter vorantreiben.
Als wir das letzte Mal zusammen sprachen, noch in Ihrer Funktion als Geschäftsführerin der IBA Hamburg, ließen sie die Bemerkung fallen, mit den Baugenehmigungen in Hamburg könnte es aber gern auch schneller gehen. Nun sind Sie Stadtentwicklungssenatorin – haben Sie da eigentlich im besten Fall beschleunigenden Einfluss auf die Bauämter?
Sowohl als auch: In den evozierten Arealen sind wir ja selbst zuständig, die Bezirksämter sind jedoch hoheitlich und eigenständig. Wir haben dennoch verschiedene Möglichkeiten – zum Beispiel über unsere Staatsrätin Monika Thomas, die auch Wohnungsbaukoordinatorin ist. Wenn Vorhaben steckenbleiben oder scheinbar unlösbare Probleme auftauchen, können sich Investorinnen und Investoren, aber auch die Bezirke an diese Stelle wenden. Ein interdisziplinäres Team von Fachleuten versucht dann gemeinsam, die Probleme zu lösen. So wurden allein im vergangenen Jahr Unklarheiten bei rund 90 Bauvorhaben mit insgesamt fast 4.300 Wohnungen geklärt. Es hat zudem eine Tour durch alle Bezirke stattgefunden, um im Gespräch gerade auch mit der Kommunalpolitik deutlich zu machen, dass jedes einzelne Bauvorhaben zählt und wir sehr viel Unterstützungsarbeit leisten müssen.
Die Bundesbauministerin Klara Geywitz wurde kürzlich mit dem Satz zitiert, man müsse eventuell von den hohen ökologischen Standards herunterkommen. Im Klartext hieße das also: billiger bauen. Wie ist das bei Ihnen angekommen?
Die Bundesbauministerin hat gesagt, wir müssten uns von der politisch verankerten Zielsetzung verabschieden, im Neubau nur noch EH40 zu fordern. Da stehen meine Behörde und ich vollumfänglich hinter. Es ist mittlerweile erwiesen, dass das zu enormen Kosten führt – sowohl im Neubau als auch in den Betriebskosten. Zudem ist der energetische Effizienzgewinn zu gering. Wir möchten stattdessen eine EH40-Equivalenz. Das heißt: Den über EH40 definierten CO2-Wert wollen wir erreichen, aber das muss nicht über zehn Zentimeter dickere Wände erreicht werden, der Weg dorthin muss offen sein.
(Anm. d. Red.: Die Effizienzhaus-Stufe gibt die Klasse der Energieeffizienz an. Wer die Effizienzhaus-Stufe 40/EH40 erreicht und zusätzliche Anforderungen an die Nachhaltigkeit erfüllt, kann dafür eine Förderung erhalten. Die Kennzahl 40 gibt an, dass das Effizienzhaus nur 40 Prozent Primärenergie benötigt, verglichen mit einem Referenzgebäude.)
. . . die ja ohnehin schon seit Jahren immer dicker werden.
Ja, das bedeutet zugleich weniger Wohnraum. Oder für die Investorinnen und Investoren: Höhere Kosten bei geringeren Einnahmen. Das sind die doppelten Schrauben, die wir verstärkt in den Blick nehmen.
„Das nächste große Ding“: Thema Grasbrook – wie geht es dort voran?
Ende vorigen Jahres haben wir den detaillierten Funktionsplan abgeschlossen. Ein ganz wichtiger Meilenstein für den neuen Innovationsstadtteil Hamburgs. Parallel läuft das B-Plan-Verfahren. Nach jetzigem Stand möchte die HafenCity Hamburg GmbH spätestens im kommenden Jahr in die Vermarktung gehen. Zudem erwarten wir die Vorweggenehmigungsreife gegen Ende des nächsten Jahres, dann kann die Erschließung beginnen.
Wir haben hier immer über ein Mischgebiet gesprochen – also Arbeiten und Wohnen. Ist das noch aktuell?
Ja, wir sprechen über 16 000 Arbeitsplätze und 3000 Wohnungen in einem nachhaltigen grünen Umfeld, das eine ganz wichtige auch stadträumliche Rolle einnehmen wird in den kommenden Jahren.
Wenn wir hier aus Ihrem Büro aus dem Fenster schauen, sehen wir direkt auf eine Baustelle. Was hält die Stadtentwicklungssenatorin vom Projekt Elbtower?
Ich finde, jetzt, wo der Elbtower in die Höhe wächst, erkennt man, dass das ein echtes Wahrzeichen für Hamburg wird. Es ist gut zu erkennen, wie elegant der Tower wird. Nun sollten wir dem Projekt erstmal weiterhin viel Erfolg wünschen, denn es ist wirklich eine schwierige Zeit für die gesamte Immobilienbranche. Doch der Bauherr hat schon frühzeitig langfristige Verträge abgeschlossen. Das zahlt sich nun aus, es ist viel Bewegung auf der Baustelle.
Hamburg 2050 – gibt es eine Vision für den Städtebau?
Wofür wir jetzt die Weichen stellen müssen, ist nicht nur die Entwicklung neuer Wohngebiete, sondern vor allem auch der Umbau im Bestand. Bis 2045 muss der Wohngebäudebestand klimaneutral sein. Es müssen also viele Gebäude energetisch saniert werden. Und das wird viele Menschen in ihrem privaten Umfeld betreffen, etwa wenn Wohnungen klimagerecht umgebaut werden. Darauf müssen wir die Menschen vorbereiten, Lösungen anbieten und beispielsweise Umzugsketten ermöglichen. Hinzu kommt das Thema grün-blaue Infrastruktur. Im Neubau ist das stets perfekt geplant, aber im Bestand muss hier mancherorts angepasst werden, um auf Starkregen oder Dürreperioden vorbereitet zu sein. Und es kommen weitere Infrastrukturmaßnahmen auf uns zu: Bahn, S-Bahn, Brücken. Das wird unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt mitunter weiter strapazieren, aber auch viele der heutigen Probleme lösen. Denn das ist eine gesellschaftliche Gemeinschaftsaufgabe, von der am Ende alle profitieren. Und es gibt noch ein drittes Thema: das altengerechte Wohnen. Auch da muss der Bestand angepasst werden. Die Hauptaufgabe besteht jetzt darin, die Maßnahmen so miteinander zu verknüpfen, dass Synergien entstehen und Mehrfachbelastungen verhindert werden. Wer heute baut, sollte dies gleich altengerecht und nachhaltig tun.