Schiffe sollen das LNG-Problem lösen

Foto: DynagasDie „Transgas Force“ wurde 2021 gebaut, ist eines der modernsten FSRU weltweit. Sie soll ab 2022 an deutschen Küsten eingesetzt werden. || Foto: Dynagas

Schwimmende Exoten könnten Deutschland ab Ende dieses Jahres unabhängiger von russischem Erdgas machen.

Von Christian Lindner

Was ist Flüssiggas? Flüssiggas, auch Liquified Natural Gas (LNG) genannt, ist Erdgas, das durch Druck und Kälte verflüssigt worden ist. Es wird bei minus 162 Grad flüssig und sehr kompakt: Sein Volumen verkleinert sich dann im Verhältnis 600 zu 1. Am Entlade- oder Verbrauchsort muss LNG wieder in Gas umgewandelt werden. Die größten LNG-Exporteure sind Katar, Australien und die USA. LNG gilt derzeit als einzige Möglichkeit, Deutschland rasch von Russlands Gaslieferungen unabhängig zu machen. 200 Schiffsladungen LNG würden ein Drittel des deutschen Jahresbedarfs decken.

Warum importiert Deutschland bislang kein LNG? Zum Rückvergasen von Flüssiggas braucht man LNG-Terminals. Das sind in der Regel große industrielle Anlagen an Land, in denen das Flüssiggas erwärmt, damit wieder in Gas verwandelt und in das Fernleitungsnetz eingespeist wird. Die Industrienation Deutschland mit ihren langen Küsten hat aber bislang kein einziges LNG-Terminal. Russisches Gas war so billig, dass sich dafür kein Markt entwickelte. Anders im sonstigen Europa: Fast alle europäischen Küstenländer haben LNG-Terminals. Ende 2021 gab es in Europa 37 Terminals an Land.

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Was sind FSRU? Das Kürzel steht für „Floating Storage and Regasification Units“– zu deutsch „Schwimmende Einheiten für Lagerung und Rückvergasung“. Diese oft knapp 300 Meter langen Spezialschiffe liegen küstennah an Spezialpiers mit Pipelines zum Land. LNG-Tanker legen seitlich an, pumpen ihre kalte Gas-Fracht auf das FSRU um. Auf diesem Schiff wird das Flüssiggas gespeichert, mittels Meerwasser erwärmt und dann als Gas an Land übergeben.

Was ist der Vorteil von FSRU? Sie sind eine rasch realisierbare Alternative zu den LNG-Terminals. Wenn die Übernahme-Infrastruktur geschaffen ist, können sie sofort Flüssiggas anlanden. Das geht viel schneller als der Bau eines festen Terminals – und ist auch preiswerter: Eine LNG-Anlage an Land kostet eine Milliarde Euro, ein FSRU etwa ein Drittel.

Wie häufig sind FSRU? Sie sind rar – und seit Russlands Angriff auf die Ukraine begehrter denn je. Weltweit gibt es gerade mal 48 FSRU. Die meisten sind durch langfristige Verträge gebunden, viele in Asien stationiert.

Was hat Deutschland jetzt geschafft? Der Bundesrepublik ist es unter der Federführung des Wirtschaftsministeriums gelungen, trotz der Enge des Marktes vier FSRU langfristig zu chartern. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) unterzeichnete in der ersten Mai-Woche in Wilhelmshaven die langfristigen Vereinbarungen.

Wie teuer wird das? Die FSRU-Branche nannte das Treffen im Wilhelmshaven „Charter-Party“ – ein Hinweis darauf, dass Deutschland diesen Erfolg teuer erkaufen musste. Pro Tag soll das Chartern eines FSRU nach Branchenangaben 200 000 Euro kosten. Die Charterrate für die deutschen FSRU wurde bislang nicht öffentlich. Bekannt aber wurde: Die Bundesregierung hat 2,94 Milliarden Euro für das Mieten und den Betrieb der vier FSRU sowie für die Infrastruktur an Land bereitgestellt.

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Wer sind die Vercharterer? Zwei FSRU vermietet Höegh LNG an Deutschland. Die norwegische Reederei hat eine Flotte von zehn FSRU. Sie gab bekannt, Umsetzungsvereinbarungen über zehn Jahre mit dem Wirtschaftsministerium geschlossen zu haben. Die detaillierten Verträge sollen bis September/Oktober abgeschlossen sein. Die zwei anderen FSRU stellt die griechische Reederei Dynagas, die stark im LNG-Markt engagiert ist: 17 der 640 LNG-Tanker weltweit gehören ihr und zwei der modernsten FSRU weltweit.

Welche FSRU kommen nach Deutschland? Dynagas wird die Schwesterschiffe„Transgas Force“ und „Transgas Power“ nach Deutschland entsenden. Beide sind 2021 von der Hudong Zhonghua Shipbuilding in China gebaut worden. Sie messen 294 mal 47 Meter, können 174 000 Kubikmeter LNG speichern. Höegh wird die „Höegh Esperanza“ in Deutschland stationieren. Sie wurde 2018 in Südkorea von Hyundai Heavy Industries gebaut, misst 294 mal 46 Meter, fasst 170 000 Kubikmeter LNG. Das zweite FSRU von Höegh für Deutschland hat die Reederei noch nicht benannt; in Branche werden die „Höegh Galleon“ oder „Höegh Giant“ für möglich gehalten. Die „Transgas Force“ liegt derzeit in Portugal, alle anderen für Deutschland geplanten FSRU befinden sich noch in Übersee (Mittel- und Nordamerika sowie Asien).

Welches Schiff kommt wohin? Deutschland hat sich erst einmal die raren Schiffe gesichert, obwohl noch nirgends die Infrastruktur an Land steht. Am schnellsten fertig sein könnte Wilhelmshaven. Bis Ende des Jahres müssen dafür 30 Kilometer Pipeline bis zum Kavernenfeld Etzel gebaut sein. Gelingt das mit dem neuen „Deutschland-Tempo“, könnte die „Höegh Esperanza“ (zu deutsch: Hoffnung) noch in diesem Jahr das erste LNG in Deutschland anlanden. Das zweite Höegh-Schiff soll Anfang 2023 in Brunsbüttel Flüssiggas zu Gas umwandeln. Dort steht aber noch ein Kraftakt von 60 Kilometern Pipeline an. Die beiden FSRU von Dynagas sind gleichsam Standort-Joker: Stade, Hamburg, Rostock und Lubmin sind im Gespräch, auch ein weiterer Liegeplatz in Wilhelmshaven sowie in Eemshaven (Niederlande).

Wie ist die Betriebskonstruktion? Sie ist komplex, aber auch kreativ – und kündet von Lösungswillen: Der Bundesregierung regelt die Beschaffung des Flüssiggases auf dem Weltmarkt. Die Energiekonzerne RWE und Uniper haben den Charter-Deal mit den Reedereien verhandelt. Der Bund chartert die Schiffe. Für das Management der Schiffe hat er mit Uniper und RWE übergangsweise Dienstleistungsverträge geschlossen. RWE hat die Betriebsverantwortung für die Höegh-Schiffe, Uniper für die von Dynagas. Auf Sicht soll der Betrieb auf eine Zweckgesellschaft unter Mitwirken des Bundes übergehen.

Wie groß sind die Kapazitäten? Jedes der vier FSRU kann jährlich mindestens 5 Milliarden Kubikmeter Gas ins deutsche Pipeline-Netz einspeisen, zusammen also 20 Milliarden Kubikmeter. Zur Einordnung: Gazprom lieferte 2021 rund 57 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland. Allein diese vier Schiffsanlagen würden also mehr als ein Drittel der bisherigen Gaslieferungen aus Russland unnötig machen.