„Die Arbeit ist da – es fehlen nur die Menschen, die sie erledigen . . .“

Foto: Handwerkskammer HamburgHjalmar Stemmann || Foto: Handwerkskammer Hamburg

INTERVIEW Hjalmar Stemmann, neuer Präsident der Handwerkskammer Hamburg, über den Fachkräftemangel, die Ausbildung und eine pragmatische Idee: Die Wiedereinführung des Werkunterrichts an den Schulen

Sein Name steht für Kontinuität und neue Ideen zugleich: Mit der Wahl von Hjalmar Stemmann zum neuen Präsidenten zeigt die Handwerkskammer Hamburg, wie solide Führungsorganisation gelingt. Stemmann war bereits seit 2011 Vizepräsident – jetzt ist er Nachfolger von Josef Katzer, der den Statuten gemäß nach zwei Amtsperioden und zehn Jahren an der HWK-Spitze nicht wiedergewählt werden konnte. Wenige Tage nach der offiziellen Stabübergabe im Beisein von Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker mit dem neuen Präsidenten des Hamburger Handwerks.

Was ist das wichtigste Thema, mit dem Sie jetzt in Ihre Präsidentschaft starten?

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Das allerwichtigste Thema ist die Gewinnung von Auszubildenden und Fachkräften. In ganz Hamburg ist kaum noch ein Handwerkerauto unterwegs, auf dem nicht hinten ein Aufkleber mit der Botschaft „Kollege gesucht“ klebt. Das ist unser zentrales Thema. Der Fachkräftemangel und der Mangel an Nachwuchs ist die Wachstumsbremse im Hamburger Handwerk. Die Arbeit ist da – es fehlen nur die Menschen, die sie erledigen.

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung? Das Handwerk hat eine Jahre andauernde Riesenkampagne durchgeführt, ist also durchaus präsent. Sind es allein demographische Gründe?

Da kommen viele Punkte zusammen. An vorderster Front natürlich die phantastische Konjunktur. Der Handwerksbetrieb, der zurzeit nichts zu tun hat, macht irgendetwas falsch. Unsere Betriebe sind extrem gut ausgelastet. Und dann kommt der Schereneffekt durch die Demographie hinzu. Die Baby-Boomer-Jahrgänge gehen in die Rente, weniger junge Menschen rücken nach. Unsere Imagekampagne hat immerhin dazu geführt, dass wir unsere Ausbildungszahlen stabil gehalten haben, das ist schon ein toller Erfolg. Aber wir könnten viel mehr Leute gebrauchen.

Wie steht es um die Eignung der Bewerber?

Da muss man dann doch manchmal tief durchatmen. Ja, wir suchen Auszubildende, aber die müssen auch eine gewisse Qualifikation mitbringen. Was die schulischen Qualifikationen angeht, da können wir helfen und in den drei Jahren der Ausbildung noch einiges nachholen. Auf der anderen Seite sind es aber die sozialen Qualifikationen – da hat der eine oder andere Bewerber doch häufig noch Luft nach oben.

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Vereinzelt gehen Betriebe dazu über, ihren Lehrlingen im letzten Ausbildungsjahr bereits Gesellengehälter anzubieten, um sie zu halten – ist das eine gute Lösung?

In echten Ausnahmefällen kann der Gesellenlohn dann schon gerechtfertigt sein. Generell ist die Ausbildungsvergütung aber fair und richtig.

Manchmal könnte ja durchaus der Eindruck entstehen, dass die nachwachsende Generation etwas desorientiert und entscheidungsschwach ist. In der Folge wird häufig gewechselt . . .

Das sehen wir leider häufig schon anhand der Bewerbungen. Ich empfehle den jungen Menschen, nicht nur die ein oder zwei Schulpraktika zu absolvieren, sondern durchaus nochmal in den Ferien weitere Praktika zu machen. Jedes Praktikum ist wertvoll – gerade auch wenn ich es mit der Erkenntnis beende, dass dies nicht mein Traumberuf ist.

Gibt es noch eine Schraube, an der das Handwerk drehen kann, um einen besseren Zugang zur jungen Generation zu bekommen und handwerkliches Arbeiten interessant zu machen?

Wir müssen junge Leute schon in der Schule mit dem Handwerk in Kontakt bringen, damit sie Begabung und Begeisterung dafür an sich selbst entdecken können. Der Werkunterricht ist leider so gut wie abgeschafft – teilweise ist er durch Zeit für generelle Berufsorientierung ersetzt worden, die natürlich auch wichtig ist. Im Programm der Ganztagsschulen wäre allerdings nachmittags Platz für freiwillige Kurse in handwerklichen Fächern, die etwa ehrenamtlich durch sehr erfahrene, ältere Handwerksmeister betreut werden könnten. Das sollten wir versuchen!

Haben Sie schon einen Vorstoß Richtung Schulbehörde unternommen.

Dieses Thema ist mir wichtig, daher habe ich es bei meinem Antrittsbesuch dort direkt zur Sprache gebracht.

Vor gut einem Jahr haben Ihr Vorgänger, Josef Katzer, und der damalige Hamburger Wirtschaftssenator Frank Horch einen bundesweiten Vorstoß mit dem Ziel angekündigt, die Meisterausbildung für die Absolventen kostenfrei zu gestalten. Was ist daraus geworden? Sind Sie an dem Thema ebenfalls dran?

Die Meisterprämie von 1000 Euro, die wir in Hamburg haben, ist eine Anerkennung, aber eben auch nur das. Wir müssen dahin kommen, dass junge Meister ohne Prüfungsschulden in ihr weiteres Berufsleben starten können. Die Meisterausbildung muss also kostenfrei stattfinden. Allerdings haben wir da eine ganz große Bandbreite, die abhängig ist von den Gewerken. Da geht es um Werkzeuge, Geräte, Materialien und zum Teil sehr unterschiedliche Gebühren. Die Bandbreite liegt zwischen 15 000 und mehr Euro beispielsweise beim Zahntechnikermeister und vierstelligen Beträgen in anderen Gewerken. Ich bin dafür, hier gewerkeabhängige Lösungen zu finden, damit wir die vielbeschworene Gleichwertigkeit zur akademischen Ausbildung realisieren. Ob ich ein geisteswissenschaftliches Studium absolviere oder ein Medizinstudium – das kostet mich am Ende fast nur den persönlichen Einsatz. Kurz: Hier finanziert der Staat die Ausbildung weitgehend, dort muss der angehende Meister seine Ausbildung selbst bezahlen – das ist ungerecht.

Das klingt nach einem dicken Brett, das da zu bohren ist, denn es müsste ja eine bundesweit einheitliche Lösung geben.

Das ist ein ganz dickes Brett. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz war ein großer Freund der Meisterprämie, für den jetzigen Bundesfinanzminister Olaf Scholz ist das schon wieder etwas schwieriger, denn da müsste er Butter bei die Fische geben. Zurzeit haben wir einen bunten Flickenteppich – je nach Bundesland liegt die Unterstützung für die Meisterausbildung zwischen null und etwa 5000 bis 6000 Euro. Aber das kann es ja nicht sein. Wir brauchen eine bundeseinheitliche Regelung.

Letzter Punkt: der Stellenwert der regionalen Dependancen des Hamburger Handwerks. Wird sich da etwas verändern? Oder: Hat Hamburg den Standort Harburg im Fokus?

Wir haben mit dem Elbcampus einen ganz wichtigen Standort in Harburg, also südlich der Elbe! Das ist unser zweiter großer Standort. Selbstverständlich werden wir dort auch unsere Harburger Zweigstelle behalten. Was die manchmal geäußerten Harburger Befindlichkeiten gegenüber Hamburg angeht: Das dortige Handwerk steht bei der Unterstützung der sieben Bezirke durch die Kammer mit am besten da. Und überhaupt: Ich habe die gefühlte Trennung von Hamburg und Harburg durch die Elbe sowieso nie verstanden.

Vita

Der Hamburger Hjalmar Stemmann wurde im Oktober 1963 in eine Zahntechniker- Familie hineingeboren. Nach dem Abi machte er eine Lehre in dem Beruf und studierte anschließend in Marburg Volkswirtschaftslehre mit Schwerpunkten in den Bereichen VWL, Finanzen und Sozialpolitik. 1993 stieg er in die elterliche Stemmann Zahntechnik GmbH ein. Seit 2012 ist er Alleingesellschafter und Geschäftsführer der steco-system-technik GmbH & Co. KG sowie Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Stemmann & Leisner Mund-, Kiefer- und Gesichtstechnik GmbH. 2009 wurde Stemmann Bezirkshandwerksmeister in Eimsbüttel, 2011 erstmals Vizepräsident der Handwerkskammer Hamburg. Von 2008 bis 2015 war der Christdemokrat Abgeordneter der Hamburgischen Bürgerschaft, bis 2018 zudem Landesvorsitzender der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU (MIT). wb