Wer ist sachverständig?

Nachweis des niedrigeren gemeinen (Immobilien-)Werts durch ein Sachverständigengutachten

Die Bewertung von Immobilien anlässlich eines Erbfalls oder einer Schenkung stellt oftmals einen Streitpunkt zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung dar. Die zutreffende Wertermittlung ist freilich nicht trivial, weshalb zur individuellen Wertfindung häufig Sachverständigengutachten eingeholt werden. Hier kann sich die Frage stellen, wer „sachverständig“ ist. Der Bundesfinanzhof (BFH) als oberstes Gericht bei Steuerstreitigkeiten hat erneut bestätigt, dass er hierzu eine recht restriktive Auffassung vertritt: Sachverständig ist für den BFH der örtlich zuständige Gutachterausschuss oder ein öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger. Nur von diesen Personen seien Gutachten und in der Folge ein niedrigerer Immobilienwert anzuerkennen. Kurioserweise vertritt die Finanzverwaltung hierzu eine „offenere“ Auffassung und möchte auch dieses Urteil nicht über den Einzelfall hinaus anwenden.

Doch der Reihe nach: Gesetzlich ist die Bewertung bebauter und unbebauter Grundstücke nach festgelegten typisierenden Verfahren zum jeweiligen Stichtag vorgesehen. Da der Gesetzgeber durchaus die Möglichkeit gesehen hat, dass typisierende Verfahren naturgemäß den Wert der Immobilie nur näherungsweise bestimmen und somit nicht in jedem Fall zu zutreffenden Ergebnissen führen, wurde dem Steuerpflichtigen ein Wahlrecht eingeräumt. Im Einzelfall kann ein niedrigerer Wert auch durch einen zeitnahen Kauf/Verkauf des zu bewertenden Grundstücks oder durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgewiesen werden. Die Finanzbehörden erkennen ein Gutachten des zuständigen Gutachterausschusses oder eines Sachverständigen an. Es muss sich auch nicht zwingend um öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige handeln. Es genügt ein Sachverständiger, der über besondere Kenntnisse und Erfahrungen auf dem Gebiet der Bewertung von Grundstücken verfügt und dies auch mittels einer Zertifizierung nachweisen kann.

Der „Nichtanwendungserlass“

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Die restriktivere Auffassung des BFH wurde seitens der Finanzverwaltung dank eines sogenannten „Nichtanwendungserlasses“ wieder auf den entschiedenen Einzelfall beschränkt. Dies ist aus Sicht der Steuerpflichtigen zu begrüßen. Das Gutachten darf natürlich kein „Gefälligkeitsgutachten“ mit inhaltlichen Mängeln sein. Denn Rechtsprechung und Finanzverwaltung sind sich einig, dass das Gutachten nicht automatisch von den Finanzämtern übernommen werden muss. Vielmehr kann das Gutachten von Finanzverwaltung und erstinstanzlichen Finanzgerichten in vollem Umfang geprüft und gewürdigt werden. Enthält ein Gutachten Mängel, ist es zurückzuweisen und wird gerade nicht zur Wertfindung herangezogen. Es kommen dann wieder die gesetzlichen Bewertungsmethoden zur Anwendung.

Zusammengefasst haben Steuerpflichtige also die Möglichkeit, dank eines Sachverständigengutachtens einen im Vergleich zu den pauschalen Ermittlungsmethoden niedrigeren Wert nachzuweisen. Die Finanzverwaltung erkennt dafür im Grunde mehr Sachverständige an als die Gerichte.

Wenn Sie die Einholung eines Gutachtens „nur“ aus steuerlichen Gründen erwägen, sollte zunächst geprüft werden, ob die vermeintliche Steuer­ersparnis die Gutachterkosten übersteigt. Anderenfalls wäre die Beauftragung wirtschaftlich gesehen nicht sinnvoll. Und zu guter Letzt: Ist schon absehbar, dass ein Fall vor Gericht gehen wird, sollte schon von Beginn an ein Gutachter ausgewählt werden, dessen Gutachten auch von den Gerichten grundsätzlich anerkannt wird.

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