Fachkraft, wo bist du?

Eine Kolumne von Corinna Horeis,
Diplom-Kauffrau und Personal­beraterin.

Der Begriff „Fachkräftemangel“ klingt inzwischen ziemlich abgedroschen, jedoch wird uns der Zustand mangelnder Fachkräfte weiterhin begleiten. Bereits 2016 hatte ich in diesem Zusammenhang an Arbeitgeber für mehr Offenheit hinsichtlich der Personalgewinnung sowie der Besetzung vakanter Positionen appelliert. Nun schreiben wir das Jahr 2021 und finden keinen Weg heraus aus diesem Dilemma. Unternehmen sehen den Fachkräftemangel als ihr größtes Geschäftsrisiko, da jede zweite Firma offene Stellen längerfristig nicht besetzen kann. Ich bin wie bereits vor fünf Jahren davon überzeugt, dass einige Punkte in Bezug auf den Fachkräftemangel „hausgemacht“ sind.

In diesem Zusammenhang ist es erstaunlich, dass sich etliche DAX-Konzerne im Rahmen einer Vorruhestandsregelung und attraktiver Altersteilzeitangebote von erfahrenen Fachkräften allein aufgrund ihres Alters trennen wollen. Da in der Regel ältere Kollegen mehr verdienen als jüngere, können durch diese Maßnahmen Personalkosten schneller gesenkt werden. Zigtausende, meist hochqualifizierte Mitarbeiter werden zum alten Eisen erklärt und aussortiert. Fachkräftesicherung sieht anders aus.

Der Autobauer Ford will sogar schon 50-Jährige frühverrenten, obwohl noch 17 Jahre bis zum regulären Renteneintritt fehlen. Vielen älteren Mitarbeitern wird mangelnde Dynamik vorgeworfen, die jedoch immer früher abnimmt, wenn der Rententritt vorverlegt wird. Das heißt: Wenn ich mit 45 Jahren bereits weiß, dass ich mit 50 in Rente gehen werde, wird damit gleichzeitig die Einsatzbereitschaft abnehmen. Wieso sollte ich mich noch krummlegen, wenn ich ohnehin kurzfristig aussortiert werde?

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Falle Altersteilzeit

Die Frühverrentungswelle wirkt sich auch negativ auf den Mittelstand aus, der händeringend nach Fachkräften sucht. Die Altersteilzeit bedeutet, dass in aller Regel die Betroffenen den Arbeitsmarkt dauerhaft verlassen, da sie keine andere Arbeit annehmen dürfen. Es geht neben der Fachkraft an sich auch ein ganzer Erfahrungsschatz verloren.

Zusätzlich zu den „Silver Workers“ wird die Zielgruppe „Frauen“ vernachlässigt. Warum ist wohl eine Frauenquote notwendig? Der Anstieg bei der Beschäftigung von Frauen würde einen deutlichen Wirtschaftszuwachs begünstigen. Wäre beispielsweise das Beschäftigungsniveau in Deutschland gleich hoch wie bei Männern, würde das Bruttoinlandsprodukt um zwölf Prozent steigen, so die Berechnungen von PwC (2019). Nur 63 Prozent der Frauen arbeiten in Vollzeit. Aus eigenen Erfahrungen durch meine Tätigkeit in der Personalvermittlung begegne ich häufig Diskriminierungen gegenüber Frauen als Arbeitskraft. Arbeitsmarktchancen für Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund, mit Behinderung und im Alter über 50 Jahre sind eingeschränkt. Das gesetzliche Gebot zur Gleichbehandlung (AGG), auch Antidiskriminierungsgesetz genannt, scheint nicht zu greifen. Können wir es uns als Gesellschaft und führende Industrienation leisten, auf zentrale Gruppen an Erwerbstätigen zu verzichten? Nein!

Wie groß muss der Leidensdruck erst werden, damit Unternehmen zum Umdenken bereit sind? Dem deutschen Arbeitsmarkt stehen mehr Fachkräfte zur Verfügung, als es scheint. Es muss sich nur die Bereitschaft zeigen, sich gegenüber allen Personengruppen zu öffnen und bestehende Gesetze zur Altersteilzeit zu überdenken. Alle Vakanzen werden wir sicherlich auch mit diesen zusätzlichen Fachkräften nicht besetzen können, jedoch werden sich Lücken füllen, bevor schwierigere Wege wie durch geplante Migration begangen werden.

>> Web: www.horeis-consult.de

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