Onboarding, entscheidend aber verkannt

Foto: B&PSeit 2006 als Recruiterin im Personalwesen selbstständig: Corinna Horeis ist regional tätige Beraterin, Vermittlerin, Headhunter, Vermarkterin, Vertrieblerin, Netzwerkerin, Strategin, Kreativkopf und „Kümmerer“ in einer Person – nachzulesen auf ihrer Homepage || Foto: B&P

Eine Kolumne von Corinna Horeis,
Diplom-Kauffrau und Personal­beraterin.

Diese Zahl sagt alles: 30 Prozent der Unternehmen erhalten Kündigungen zwischen Vertragsunterschrift und dem ersten Arbeitstag. Das heißt, dass ein Drittel der eingestellten Mitarbeiter bereits vor dem Start wieder abspringt und damit das gerade eingegangene Arbeitsverhältnis wieder kündigt. Ein Grund: Wenn neue Mitarbeiter scheitern, liegt es fast nie an einem Mangel an Fachwissen oder Erfahrung. Es ist eher ein unzureichendes Gespür für das kulturelle Selbstverständnis der Organisation, es sind die ungeschriebenen Gesetze der internen Kommunikation, oder es ist ein zu langsamer Aufbau von informellen Netzwerken.

Das Wissen um die sogenannte Anfangsfluktuation – das umfasst auch Kündigungen innerhalb des ersten Jahres – ist da. Schließlich glauben 83 Prozent der Unternehmen, die Fluktuation durch gezielte Onboarding-Maßnahmen verringern zu können. Mehr als 90 Prozent der Arbeitgeber sind sogar der Meinung, dass unterstützende Instrumente die fachliche und soziale Integration neuer Mitarbeiter verbessern und beschleunigen.

Hohe Anfangsfluktuation

Anzeige

Das Zahlengerüst ist eindeutig und zeigt: Die Anfangsfluktuation neuer Mitarbeiter ist erschreckend hoch. Die Erkenntnis, dass die Integration enorme Vorteile für die Unternehmen bringt, ist auch hoch. Trotzdem nimmt die Einführungs- und Eingliederungsphase eine Nebenrolle ein. Immerhin werden 66 Prozent der neuen Mitarbeiter mit Materialien ausgestattet, sodass sie arbeiten können, und erhalten eine grundlegende Unterstützung hinsichtlich der Organisationsstrukturen, internen Abläufe und Richtlinien. Lediglich ein Viertel der Unternehmen definiert individuelle Onboarding-Prozesse, in denen der Mitarbeiter in die Kultur eingeführt wird, die Strategien erläutert werden, auf Schnittstellen und eventuelle Interessenkonflikte hingewiesen wird. Es werden genaue Aktionen aufgezeigt, damit der Mitarbeiter zügig operative Handlungsfähigkeit erlangt. Besonders hilfreich ist es, den Neuzugängen einen Paten, Mentor oder Coach zur Seite zu stellen, der ihm Fragen beantworten kann und ihn in das Unternehmen integriert.

Es zeigt sich, dass Unternehmen ein enormes Potenzial haben, um gute Mitarbeiter mit geringem Ressourcenaufwand zu halten und langfristig zu binden – gerade in Zeiten des Fachkräftemangels. Im vergangenen Jahr kam durch den Lockdown erschwerend hinzu, dass neue Mitarbeiter teilweise digital integriert werden mussten. Warum 78 Prozent der Unternehmen keine zusätzlichen digitalen Onboarding-Maßnahmen ergriffen haben, ist auffällig und wirft Fragen auf. Wenn die physische Zusammenarbeit fehlt, braucht es noch mehr persönliche Nähe. Zudem braucht es im digitalen Raum noch viel mehr Lob und Wertschätzung, damit die Motivation bestehen bleibt. Es wird häufig unterschätzt, wie wichtig ein regelmäßiges und kon­struktives Feedback ist, um neue Mitarbeiter einzuarbeiten und zu motivieren. Gleichzeitig kann das Unternehmen die Rückmeldungen ihrer neuen Mitarbeiter nutzen, um den Onboarding-Prozess zu verbessern. Eine fundierte und individuelle Einarbeitung bindet die Mitarbeiter langfristig an das Unternehmen. Zudem sind die Neuen zufriedener und engagierter, wodurch sie schneller produktiv arbeiten und frühzeitig zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Es lohnt sich, in den Onboarding-Prozess zu investieren. Die Gewinnung neuer Mitarbeiter ist seit Jahren schwierig, zeit- und kostenaufwendig. Die Bindung ist somit von entscheidender Bedeutung für den langfristigen Erfolg.

>> Fragen an die Autorin:
corinna@horeis-consult.de