ANALYSE Frank Horch, Wirtschaftssenator a.D., ist einer der wirtschaftspolitischen Wegbegleiter der Klimawende in Hamburg – Zehn Jahre im Zeitraffer
Von Wolfgang Becker
Er war von Anfang an dabei: Frank Horch, Hamburgs Wirtschaftssenator a.D., gilt als einer der wirtschaftspolitischen Wegbegleiter der Energiewende in der Hansestadt. Als Mann der Wirtschaft und der Industrie allerdings nicht „mit grünem Anstrich“, sondern mit dem scharfen Blick des Ingenieurs und dem Wissen um technologisch Machbares und wirtschaftlich Vertretbares. Eine Gratwanderung, die der Parteilose im politischen Gemenge von Rot-Grün durch Kompetenz und Sprachfähigkeit zu meistern wusste. Acht Jahre lang lenkte er die Geschicke der Wirtschaftsbehörde. Doch auch vorher war das Energie-Thema immer präsent. Ob als Präses der Handelskammer, als Präsident des Industrieverbandes Hamburg oder als Industriemanager in verschiedenen Unternehmen (Phoenix, Thyssen-Krupp/Harburg-Freudenberger, Blohm+Voss) – fast immer ging es darum, den Motor am Laufen zu halten. Und das in einer Welt, die zunehmend sensibler auf das Schwinden der Ressourcen einerseits und immer allergischer auf den Landschaftseingriff andererseits reagiert. Konkret: Stromtrassen nach Bayern? Problematisch. Windkraftanlagen? Nicht vor der Haustür. Offshore-Windparks? Schlecht für die Fauna.
„Ich habe mit der Energiewende seit 2007 zu tun“, resümiert Horch, damals noch IVH-Präsident, im Gespräch mit B&P. 2007 brandete die Diskussion um das Steinkohlekraftwerk in Moorburg durch die Hansestadt. Ein „Grundlast-Thema“, wie Horch sagt, denn er weiß: Wind weht, wann er will, aber nicht unbedingt, wenn er gebraucht wird. Solarstrom ist ein Tagesthema. Stromspeichern ist nach wie vor eine technische Herausforderung. Dann kam das Jahr 2011. Kurz vor den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft bebt es vor der japanischen Küste. Wenig später löst ein Tsunami die Atomkatastrophe von Fukushima aus.
Kraftwerke
Horch hatte sich bis dato für eine Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke in Deutschland ausgesprochen, nun ändert sich die Lage dramatisch:
„Das war das Ende der Kernenergie. In gewissen Situationen sind politische Positionen nicht mehr haltbar. Fukushima war ja nicht irgendein alter Reaktor, sondern modernste Technik, deutscher Standard. Ich finde es allerdings nach wie vor erstaunlich, dass die Katastrophe damals in anderen Ländern wie Kanada oder Frankreich gar kein Problem darstellte, also auch nichts veränderte.“
Frank Horch über den Wendepunkt: die Reaktorkatastrophe von Fukushima
Als Wirtschaftssenator von Olaf Scholz berufen, „erbte“ Horch das Kohlekraftwerk Moorburg – das weltweit modernste seiner Art. Er sagt: „Steinkohlekraftwerke sind eine Brückentechnologie, also irgendwann Vergangenheit. Aber hier ging es um die Versorgungssicherheit, die Kostenrelevanz für Stromkunden und Industrie sowie die innovativen Schritte für die Zukunft in Hamburg. Die Anlage sah eine Kraftwärme-Kopplung vor, die aber nie zum Zuge kam. Aus ideologischen Gründen wurde verhindert, dass Wärme aus der Kohleverbrennung genutzt wird. Damit hätten wir mehr als 100 000 Wohnungen heizen können.“ Und mit einem Seitenhieb in Richtung Grün: „Die Energie war da, die Technik war da, allein es fehlte der politische Wille.“ Mittlerweile gibt es neue Ideen für Moorburg, die der Nachfolger von Olaf Scholz, Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), im Februar kurz vor der jüngsten Wahl in Hamburg präsentierte (siehe Special Seite 4).
E-Mobilität
Wenn Deutschland ab 2050 zu 80 Prozent klimaneutral werden will, so das ausgegebene Ziel, sind noch einige Hürden zu nehmen. Ein Mittel, das Ziel zu erreichen, ist die Elektromobilität. Dazu Horch:
„Wer meint, die Probleme allein mit E-Mobilität zu lösen, liegt meines Erachtens völlig falsch. Wenn überhaupt, dann ist E-Mobilität Teil eines breiten Energie-Mix. Die Gesamtmobilität ist so nicht zu gewährleisten. Als Energiequellen brauchen wir neben Strom auch Wasserstoff – in Verbindung mit der Brennstoffzelle –, Methanol und synthetische Kraftstoffe.“
Wasserstoff
Das Zauberwort für die mögliche Lösung der Energieproblematik lautet nicht nur aus Sicht von Horch „Wasserstoff“. Er ist damit auf derselben Linie wie sein Nachfolger im Amt, Wirtschaftssenator Michael Westhagemann. Horch: „Heute haben wir in Deutschland einen Energiebedarf von 520 Terrawattstunden. Künftig werden es 1000 sein – das ist nur mit Wasserstoff zu erreichen.“ Das Prinzip: Der aus Windkraft erzeugte Strom wird über Elektrolyse in Wasserstoff umgewandelt und kann dann beispielsweise wie bisher über Tankstellen an Kunden verkauft werden, die ein Auto mit Brennstoffzelle haben. Der „grüne Wasserstoff“ benötigt keine fossilen Energieträger, sondern lediglich Wind. Kurz: Mit Wasserstoff ließe sich Windstrom quasi speichern. Und: Aus dem Auspuff käme Wasserdampf. Der Einsatz von Wasserstoff wäre vielfältig nutzbar.
Horch: „Der Norden ist hier in einer komfortablen Situation, denn wir haben den Wind. Allerdings müssten die Kapazitäten der Windkraft deutlich ausgebaut werden.“ Für die industriellen Nutzungen (Power-to-x-Tech nologie) müssten allerdings noch erhebliche technische Probleme gelöst werden. Die einfach skizzierte Lösung „Wind – Strom – Wasserstoff – Tanken – Rückverstromung“ sei hochkomplex und derzeit noch sehr teuer. Hinzu kämen die Regulierung des Strommarktes (EEG/Stromsteuer) sowie die Stromtrassen und die Stromkosten insgesamt. Kurz: ein dickes Brett, das da gebohrt werden muss.
Horch weiter: „In den vergangenen Jahren wurden 1500 Windkraftanlagen im Norden gebaut. Insgesamt haben wir in Deutschland Kapazitäten von 7,5 Gigawatt offshore, also vor der Küste, und 60 Gigawatt onshore, also an Land. Das reicht rechnerisch gerade mal aus, um vier Kohlekraftwerke abzulösen. Und löst nicht das Grundlastproblem.“
Das Hochindustrieland Deutschland ist zwar ein großer Energieverbraucher, deckt aber den eigenen Bedarf nur zum Teil, wie Frank Horch mit Blick auf die vorhandene Energieerzeugung vorrechnet: „Unseren Bedarf decken wir nur zu 80 Prozent selbst. 34 Prozent davon entfällt auf regenerative Energien wie Wind, Solar und sonstige, 66 Prozent wird konventionell erzeugt – Gas, Kernenergie, Steinkohle und Braunkohle.“ Jede fünfte Kilowattstunde werde importiert – zum Beispiel aus Frankreich oder Tschechien.“ Und: „Um aus dem Dilemma herauszukommen, brauchen wir die Wasserstofftechnologie.“
Ganz neu ist das Thema Wasserstoff übrigens nicht. Bereits vor 20 Jahren wurde in Hamburg die Wasserstoffgesellschaft gegründet. Horch: „. . . und anfangs nicht wirklich ernst genommen.“ Heute rückt Wasserstoff immer stärker in den Fokus, denn mit seiner Hilfe ließe sich die volatile Windenergie voll auszuschöpfen. Horch: „Aktuell stehen wir vor der Situation, dass wir zeitweise überschüssige Windenergie haben. Wenn zu viel Strom erzeugt wird, wird das Netz instabil. Also werden die Anlagen abgestellt – dadurch gehen jedes Jahr dreistellige Millionenbeträge verloren.“ Auch aus diesem Überschuss ließe sich alternativ Wasserstoff erzeugen.
Andere Staaten sind da bereits weiter. Zum Beispiel Japan, wie Horch sagt: „Japan ist technologisch das Hydrogen-Land Nummer eins, kann seinen Wasserstoff aber nicht selbst erzeugen. Also importieren sie sogenannten grauen Wasserstoff aus Australien. Der wird aus fossilen Brennstoffen erzeugt.“
Klimaziel 2050
Rund 655 Milliarden Euro seien nötig, um das für Deutschland ausgegebene Klimaziel bis 2050 zu erreichen: Geld für Trassen, Labore, Anlagen und so weiter. Horch: „Finanziell ist das machbar, aber politisch muss sich im Bereich der Regulierung etwas ändern.“ Und weiter: „Wasserstoff ist ein Weltthema“, davon ist er überzeugt und verweist auf Berichte über die groß angelegte Wasserstoffproduktion in Bohrinsel-ähnlichen Anlagen auf dem Meer.
„Holländische und norwegische Firmen, aber auch der Versorger E.on verfolgen bereits reale Ansätze. Wenn wir so etwas umsetzen könnten, wäre das eine ungemeine ökologische Chance und eine deutliche Antwort auf Fridays für Future. Philosophische Reden helfen uns nicht weiter – Deutschland braucht technologische Lösungen. Das ist eine große Chance für Norddeutschland. Jetzt geht es darum, sich in Stellung zu bringen.“
Frank Horch zu Fridays for Future