„Wasserstoff-Technologie erst in den Markt einführen, wenn sie marktreif ist“

Foto: Jörg SarbachDas Thema „Wirtschaftsförderung aus einer Hand“ können „wir sehr intensiv leben“, sagt BIS-Chef Nils Schnorrenberger. || Foto: Jörg Sarbach

Bremerhavens Wirtschaftsförderer Nils Schnorrenberger zur Lehre aus dem Offshore-Debakel.

Das Interview führte Klaus Mündelein

20 Jahre besteht die BIS. Was ist das Besondere an der Gesellschaft?

Das Besondere an der BIS ist, dass wir über eigene Instrumente verfügen. Wir können nicht nur sagen, welche Standortvorteile Bremerhaven hat, sondern wir können den Unternehmen gleich ein Grundstück anbieten, weil wir Flächen des Landes und der Stadt vermarkten. Wir können schnell sagen, ob ihr Projekt förderfähig ist, und entscheiden dann auch über diese Förderung. Und wir können mit unserer Infrastrukturabteilung passende Infrastrukturen wie Kajen, Schienensysteme planen. Das Thema „Wirtschaftsförderung aus einer Hand“ können wir sehr intensiv leben. Wir können zwar keine Baugenehmigungen erteilen, aber da helfen uns die kurzen Wege und der gute Draht zu den Ämtern. Das wird auch von den Kunden wahrgenommen.

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Gab es Ansiedlungsbemühungen, die dann bedauerlicherweise nicht geklappt hatten?

Ganz, ganz viele. Standortentscheidungen von Unternehmen werden äußerst selten getroffen, daher ist es natürlich nachvollziehbar, dass unsere Standortangebote an Unternehmen nicht sofort zu Investitionsentscheidungen führen. Wir haben viele Standortangebote aus eigener Initiative abgegeben, wenn wir den Eindruck hatten, es könnte dieses oder jenes Unternehmen Interesse am Standort Bremerhaven haben. Wir haben uns vor zwei Jahren initiativ bei Tesla beworben und im vergangenen Jahr ein umfangreiches Angebot abgegeben, mit Architektenplänen und Visualisierungen. Das war mehr, als gefordert war, aber wir wollten die Vorstellungskraft der Entscheider stimulieren. Die haben sich nun für Brandenburg/Berlin entschieden mit der Begründung, dort würden sie die meisten IT-Fachleute finden. Produktion in der Automobilbranche hat heute viel mit IT und Robotereinsatz zu tun. Und die IT-Spezialisten leben angeblich so gern in Berlin, weil es dort so viele Museen gebe. Diese Aussage wird Tesla-Chef Elon Musk nachgesagt. Das zeigt den Zusammenhang von Investitionsförderung und Stadtentwicklung, die Bedeutung einer ganzheitlichen positiven Stadtentwicklung auch für die wirtschaftliche Entwicklung.

Wo sollte Tesla in Bremerhaven unterkommen?

Wir haben die ehemalige Flugplatzfläche angeboten und die Luneplate. Der Flugplatz war eigentlich schon ein bisschen eng für ihr Vorhaben, die Luneplate passte besser. Obwohl wir dort ja eine kleinteilige Ansiedlung von Firmen der Green Economy planen, haben wir die Fläche Tesla angeboten, weil wir nicht mit „Haben wir nicht, wollen wir nicht“ an den Start gehen können. Nun wird aus Tesla nichts und wir setzen unsere Pläne einer kleinteiligen Ansiedlung fort. Was sicherlich mindestens so nachhaltig ist.

Gibt es weitere Beispiele?

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Mit einem Baumaschinenhersteller aus den USA waren wir 2008 schon ganz weit. Die wollten zunächst nach Rostock, weil es dort eine höhere Förderung gab. Dann haben wir ihnen vorgerechnet, welche zusätzlichen Logistikkosten dort entstehen. Wir haben also teilweise für sie Unternehmensberatung gemacht mit dem Ergebnis, dass man sich dann für den Standort Bremerhaven entschieden hat. Das Grundstück war schon verkauft, als dann die Wirtschaftskrise einen Strich durch die Rechnung machte. Das war schade.

Projektsteuerung gehört ebenfalls zu den Aufgaben der BIS. Der Hafentunnel ist so ein großes Projekt. Sobald es mit dem Zeitplan oder den Kosten Probleme gab, stand die BIS aber gleich im Kreuzfeuer, öfter auch durch die CDU.

Kreuzfeuer würde ich das nicht nennen. Die CDU hatte zunächst, aber das ist auch schon über zehn Jahre her, einen anderen Projektsteuerer favorisiert. Jetzt gibt es aber positives Feedback von allen in unserem Aufsichtsrat vertretenen Parteien und Ressorts über die gute und transparente Projektsteuerung der BIS. Wir liegen im Vergleich zu anderen großen Infrastrukturmaßnahmen bei Kostensteigerungen zwischen 10 und 15 Prozent. Wir haben die Wahl: Wollen wir das Projekt schneller umsetzen oder soll es stärker im Kostenrahmen bleiben? Wir haben auf Beschleunigungsmaßnahmen verzichtet, die zu enormen Kostensteigerungen führen würden. Denn der Verkehr auf der Cherbourger Straße läuft ja auch während der Baumaßnahme recht problemlos.

Was treibt die Kosten hoch?

Wir arbeiten in einer Phase, in der das Bauen gerade viel teurer wird. Das macht uns zu schaffen. Wir haben in einigen Bereichen Kostensteigerungen von 20 bis 30 Prozent zu verzeichnen, die nur durch die Baukonjunktur erklärbar sind. Das andere Problem, das alle sehr großen Infrastrukturprojekte ebenfalls haben, resultiert aus dem Zuschlag für den günstigsten Anbieter, der aber schon Nachträge einkalkuliert hat. Wir haben dann die Wahl, uns sehr lange zu streiten, bis das Gericht einen Vergleich fordert, oder wir vergleichen uns vorab.

Das heißt, es wird auf einen Vergleich hinauslaufen?

Davon gehe ich aus. Die Frage ist, wann, ob mit oder ohne gerichtliche Auseinandersetzung.

Wie sieht der Zeitplan aus?

Im nächsten Jahr werden wir den Tunnel eröffnen können.

Jahrelang dominierte die Offshore-Windkraft die Ansiedlungspolitik. Es gab große Erfolge beim Aufbau der Branche in Bremerhaven. Für einen Wirtschaftsförderer muss so eine Aufbau- und Aufbruchsituation doch das Paradies gewesen sein.

So kann man das bezeichnen. Es ist einmalig, dass man von Anfang an dabei sein kann beim Aufbau einer neuen Technologie und dann daraus abgeleitet beim Aufbau einer neuen Branche. Und über das Netzwerk der Windenergie-Agentur kannte ich zudem 95 Prozent der Entscheiderinnen und Entscheider einer Branche. Wo gibt es so was?

Dass der Flugplatz aufgegeben wurde für die Branche und den Offshore-Terminal, wurde oft kritisiert. War das schwierig?

In der Politik gab es große Unterstützung, weil die Branche gezeigt hatte, dass sie investiert. Da waren schon einige hundert Millionen Euro privater Investitionen nach Bremerhaven geflossen. Dazu kam die Erkenntnis, dass man eine Anbindung ans seeschifftiefe Wasser brauchte ohne eine Beschränkung bei der Schiffsbreite. Denn die Errichterschiffe wurden immer größer. Wir haben lange nach dem richtigen Standort gesucht, wobei der Naturschutz sehr bestimmend war.

War es ein Fehler, den Flugplatz aufzugeben?

Wir hatten uns lange damit beschäftigt. Nach wirtschaftlichen Betrachtungen braucht ein Flughafen 1,7 Millionen Passagiere, um sich zu rentieren. Wir wollten ja erst die Querlandebahn erhalten. Aber dann haben wir die tatsächlichen Starts und Landungen überprüft. Das war erhellend. Es ging überwiegend um Sportfliegerei und Fliegerei nach Helgoland. Was hat ein Standort davon, wenn die Leute hier ihr Auto abstellen und nach Helgoland fliegen? Es gab nur ganz wenig geschäftsmäßige Fliegerei. Das war im kleinen, einstelligen Prozentbereich. Dagegen stand in der Abwägung, dass der OTB aus naturschutzfachlichen Gründen leider nur in der Verlängerung der Start- und Landebahn gebaut werden könnte. Und der Flugplatz beanspruchte 100 Hektar am Fischereihafen, und zwar Gewerbeflächen, die wir gut gebrauchen können. Weiter gab es Beeinträchtigungen für Unternehmen auf der anderen Seite des Fischereihafens, etwa bei Kranoperationen, und es gab Bauhöhenbegrenzungen. Wenn man das alles ins Verhältnis setzt, war die Entscheidung zur Schließung des Flugplatzes nach meiner Einschätzung richtig.

Nach den Aufbaujahren kam der Niedergang der Offshore-Branche. Wie haben Sie den erlebt?

Wenn sich Unternehmen, die hier viel Geld investiert und viele Arbeitsplätze geschaffen hatten, eines nach dem anderen verabschieden, stellt sich die Frage: Woran hat es gelegen? Dass die Bundesregierung die Ausbauziele verringert hatte, war sicher ein Grund. Aber warum machte sie das? Da war die Sorge vor einem zu stark steigenden Strompreis durch die hohe Einspeisevergütung. Die Vergütung war wiederum so hoch, weil die Banken und Versicherungen Sicherheiten brauchten zur Finanzierung einer jungen Technologie mit extremen Herausforderungen draußen auf hoher See. Es gab große Probleme, verspätete Lieferungen, schadhafte Komponenten, Lagerschäden. Im Rückblick muss sich die Branche die Frage stellen, ob man da nicht ein paar Jahre länger hätte warten und optimieren müssen? Mehr Entwicklung an Land betreiben und geduldiger die Ergebnisse des Testfelds Alpha Ventus abwarten müssen?

Ist das eine Warnung für neue Technologien wie Wasserstoff, auf die jetzt gesetzt wird?

Die Erkenntnis aus der Offshore-Energie muss man übertragen und sagen: Wir sollten nicht noch einmal eine neue Technologie in den Markt einführen, die noch gar nicht marktreif ist. Da bedarf es intensiver Forschung und Entwicklung, die über Bundesprogramme finanziert werden muss, aber nicht über die Preise für den Endkunden.

Bremerhaven setzt auf Wasserstoff. Wird sie jetzt zu einem ähnlichen Hoffnungsträger wie früher die Offshore-Windenergie?

Die Offshore-Windenergiebranche ist sehr eng an Küstenstandorte gebunden, weil die Komponenten so groß sind. Das ist im Wasserstoffbereich anders. Es gibt aber eine Verbindung zwischen der Erzeugung von grünem Strom und der Herstellung von grünem Wasserstoff. Da liegt es nahe, dass sich die Wasserstoff-Wirtschaft dort etabliert, wo es große Energieerzeugungs-Kapazitäten gibt. Unser Vorteil ist die wissenschaftliche Infrastruktur, die sich mit den erneuerbaren Energien beschäftigt. Nicht ohne Grund ist das Fraunhofer IWES-Institut mit der Hochschule der Träger des 20 Millionen Euro umfassenden Wasserstoff-Forschungsprojekts in Bremerhaven geworden.

Wird man auch bei der Wasserstoff-Technologie abhängig von Entscheidungen, die in Berlin politisch getroffen werden?

Ja. Die Energiewirtschaft ist seit der Anlage der ersten Kohleflöze von politischen Entscheidungen abhängig.