„Der Föderalismus gehört auf den Prüfstand“

Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stade Elbe-Weser-Dreieck e.V.

Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer des
Arbeitgeberverbands in Stade, wagt einen kritischen Blick
auf die Corona-Politik.

Wenn heute von „die Zahlen“ gesprochen wird, weiß jeder, was gemeint ist – der R-Wert, die Inzidenz und die Kurve der vom RKI gemeldeten Covid-19-Neuinfektionen. Immerhin: Die Zahlen sinken, und es hat den Anschein, als habe eine Phase der Entspannung eingesetzt. Nun sind die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu bewältigen. Das sieht auch Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stade Elbe-Weser-Dreieck e.V., so und zieht im Gespräch mit B&P eine vorsichtige Zwischenbilanz: „Nachdem die Beschränkung der Insolvenzanmeldepflicht seit Ende April beendet ist, kann ich für unsere Region sagen, dass Insolvenzen erfreulicherweise nicht das große Thema sind. Es ist eben von Seiten des Staates finanziell doch viel abgemildert worden.“ Wie die Pandemiebekämpfung geschehen ist, sieht er allerdings durchaus auch kritisch und empfiehlt der Politik, sich vielleicht doch einmal mit einer Reform des föderalen Systems zu beschäftigen.

Falk verweist zum Thema Pleiten auf 2020, ein Jahr, in dem drei Dutzend Insolvenzen bei größeren Herstellern und Handelshäusern im Textilbereich in Deutschland gemeldet wurden. „Was nicht unbedingt nur an Corona liegen dürfte, denn wir erleben ohnehin einen Strukturwandel. Der Einzelhandel hat statistisch zwar im Jahr 2020 um fünf Prozent zugelegt, aber wer genau hinsieht, weiß, dass es eine gegenläufige Entwicklung gibt: Der Online-Handel geht durch die Decke, während der stationäre Einzelhandel rückläufig ist. Gleichwohl stelle ich fest, dass ich Corona-bedingte Leerstände von Ladengeschäften beispielsweise in Stade bisher nicht in nennenswerter Größe registriert habe.“

Mit Schnelltest oder ohne?

Anzeige

Fragen hat der Jurist dennoch: „Es erschließt sich dem Bürger nicht, dass er einen Drogeriemarkt oder eine Buchhandlung ohne Test betreten darf, ein Schuhgeschäft oder ein Modegeschäft aber nicht. Das ist nicht nachvollziehbar. Gerade die großen Geschäfte haben umfangreiche Hygienekonzepte, die einen wirksamen Ansteckungsschutz für Kunden und Personal verwirklicht haben. Die Corona-Testpflichten für Kunden haben, wie vielfach zu hören ist, die Kauflust drastisch reduziert. Hinzu kommt dann noch das Nebenher von Bund und Ländern, sodass am Ende niemand mehr durchblickt, was wann und wo eigentlich zulässig ist. Das ist meines Erachtens ein Riesenproblem. Es gibt ein Missverhältnis zwischen der Kommunikation einerseits und der Gesetzeslage andererseits. Als Arbeitgeberverband haben wir ständig Rundschreiben herausgegeben, um unsere Mitglieder aktuell zu informieren. Aber es kam vor, dass sich die Lage bei Erscheinen des Rundbriefs schon wieder geändert hatte. Wie soll sich denn ein Unternehmen darauf einstellen – da bleibt gar keine Zeit zum Reagieren.“

Thomas Falk hat ein schönes Beispiel parat: „Arbeitgeber müssen ihren Mitarbeitern kostenlos zwei Corona-Schnelltests pro Woche zur Verfügung stellen – übrigens auch, wenn die schon zwei Mal geimpft sind. So ein Test kostet zwischen 3,50 und fünf Euro. Das läppert sich, insbesondere bei personalintensiven Betrieben. Selbst in unserem Verband habe ich für Schnelltests einen vierstelligen Betrag aufwenden müssen. In Bremen gab es zumindest zeitweise eine Testpflicht für Arbeitnehmer. Sie mussten den Test also auch benutzen. In Niedersachsen gibt es so eine Pflicht nicht. Da ist der Test freiwillig.“ Sein Fazit: „Nach 15 Monaten Pandemie wird bemerkbar, wie sehr fehlende einheitliche politische Entscheidungen die Effizienz der Corona-Bekämpfung geschmälert haben. In Ministerpräsidentenkonferenzen ist es nicht gelungen, einheitliches Vorgehen von Bund und Ländern zu koordinieren. Dies muss Anlass sein, über die föderalen Strukturen nachzudenken und dafür zu sorgen, dass die Entscheidungskompetenz in solchen Fällen auf der Bundesebene angesiedelt wird.“

Grundrechte im Widerstreit

Dass es auch dort Nachbesserungsbedarf gibt, zeigt allerdings ein anderes Beispiel: die zahnlose Corona-App, die aus Datenschutzgründen keine optimale Nachverfolgung zulässt. Falk: „Es gibt ein Grundrecht auf informelle Selbstbestimmung, aber es gibt auch ein Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit und Leben. Das hätte abgewogen werden müssen, doch es fehlte an politischer Entscheidungsfreudigkeit. Und in der Folge an belastbaren Daten. Es hätte sich schnell gezeigt, ob Pendler in der S-Bahn und im Bus stärker gefährdet sind. Oder ob Mitarbeiter an der Supermarktkasse häufiger infiziert werden als andere. Oder ob bestimmte Wohnsituationen die Pandemie beschleunigen. So hätte gezielt getestet werden können. Stattdessen wurde dem Datenschutz der Vorrang gegeben. Wir fischen nach wie vor im Trüben. Die gute Nachricht: Immerhin wirkt sich das Impfen endlich positiv auf die Zahlen aus.“ wb

>> Web: https://www.agv-stade.de/

Anzeige