Zinswende 2022: Reaktionen und neue Potenziale am Immobilienmarkt

Von Luis von Stengel

Das Jahr 2022 markiert nach rund 13 Jahren einen Wendepunkt der europäischen Wirtschaftsentwicklung. Lieferengpässe am Rohstoffmarkt, gestiegene Energiekosten und geopolitische Unsicherheiten trieben die Inflationsrate auf zuletzt über neun Prozent – die europäische Zentralbank steuerte mit einer weiteren Erhöhung des Leitzinses auf nunmehr 2,0 Prozent gegen. 

Wie in vielen anderen Wirtschaftssektoren wird diese Dynamik verstärkt auch an den Immobilienmärkten wahrgenommen: Haus- und Wohnungsfinanzierungen konnten vor einem Jahr noch für rund ein Prozent abgeschlossen werden. Aktuell sind rund vier Prozent üblich, was viele Bau- und Kaufinteressenten vor wachsende Herausforderungen stellt. Je nach Darlehenskonditionen kann monatlich mit einer dreistelligen Mehrbelastung gerechnet werden – gerade für durchschnittliche Einkommen wird der Immobilienkauf folglich zunehmend schwerer umsetzbar.

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Interessant dabei: Langfristig betrachtet fällt die aktuelle Zinshöhe nicht aus dem durchschnittlichen Raster – auch vor zehn Jahren notierte ein Kredit mit einer Zinsbindung von zehn Jahren bereits bei Kosten von 3,5 bis vier Prozent. Lediglich der schnelle Anstieg aufgrund multipler Faktoren spiegelt sich derzeit im Verhalten diverser Marktakteure wider. Die Folgen werden bereits in ersten Makro-Statistiken deutlich: So verzeichnen die Sparkassen Südwest exemplarisch für andere Landesbanken einen Finanzierungsrückgang von 56 Prozent.

Auf Eigentümer-Seite macht sich das deutlich restriktivere Käuferverhalten ebenfalls bemerkbar: Interessenten gehen bei ihrer Kaufentscheidung wesentlich selektiver vor, weshalb bereits viele Verkäufer ihre Angebotspreise um mehr als zehn Prozent reduzieren mussten. Vor allem Bestandsimmobilien aus den 1970er- und 1980er-Jahren mit unterdurchschnittlicher Energieeffizienz erweisen sich derzeit als nur wenig nachgefragt. Wer hingegen rechtzeitig in die Modernisierung oder energetische Sanierung der eigenen Immobilie investiert hat, ist bezüglich des Werterhalts auch in einem potenziellen Verkaufsszenario weit besser aufgestellt und kann die grundsätzlich guten Anlagequalitäten von Haus oder Wohnung bestmöglich nutzen. 

Der Markt für Häuser und Wohnungen zur Miete unterliegt 2022 ebenfalls weiteren Anspannungen: Käufer, die aufgrund steigender Finanzierungszinsen von ihren Eigentumsplänen zurücktreten müssen, werden nun bei der Suche nach Mietangeboten aktiv. Folge: Die Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum steigt. Auch Flüchtlings- und Migrationsbewegungen nach Deutschland strapazieren das begrenzte Mietkontingent, weshalb damit zu rechnen ist, dass die Mietpreise vor allem in Ballungszentren wie Hamburg weiterhin zunehmen werden. Auch der Neubau wird vielerorts in Deutschland weniger rentabel, was die um 17 Prozent gesunkene Zahl der Baugenehmigungen verdeutlicht. Während einige Bauherren aufgrund unterbrochener Lieferketten oder stark gestiegener Preise für Stahl, Holz oder Beton ihre Projekte auf unbestimmte Zeit pausieren lassen, kommen andere Vorhaben bereits gar nicht mehr zustande, was sich ebenfalls preistreibend auf die Mieten auswirkt. 

Als mögliche Profiteure der aktuellen Entwicklung könnten all jene hervorgehen, die sich für die Einrichtung eines Bausparvertrags entscheiden. Das über Jahre hinweg als wenig rentabel geltende Anlagekonzept erlebt in Zeiten steigender Zinsen eine Renaissance: Ausgehend von auch in Zukunft weiterhin steigenden Zinsen können zum jetzigen Zeitpunkt abgeschlossene Bausparverträge nach der Ansparphase den Schlüssel für eine günstige Immobilienfinanzierung darstellen. 

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Luis von Stengel ist als Immobilienberater im Bereich Wohn- und Geschäftshäuser bei Engel & Völkers Commercial Hamburg tätig. Das Sondieren der aktuellen Marktlage und die damit verbundenen Auswirkungen für Kaufinteressenten und Eigentümer zählen zu seinen Kernkompetenzen. Seine Zusatzqualifizierung zum englischsprachigen Immobilienkaufmann an der ECBM London macht ihn auch für internationale Anleger in Hamburg zum versierten Ansprechpartner.


Fragen an den Autor? luis.vonstengel@engelvoelkers.com