„Partikeltechnik ist sexy!“

Der „Herr der Partikel“: Prof. Dr. Dr. Stefan Heinrich zeigt in seinem Büro an der TU Hamburg eine Auswahl verschiedenster Granulate aus unterschiedlichen Anwendungen. Die Herstellung von körnigem Material fi ndet sich in zahlreichen Branchen – von der Pharma-Industrie über Agrarprodukte bis hin zur Lebensmittelindustrie, in der Granulate eine sehr große Rolle spielen. Foto: Wolfgang BeckerDer „Herr der Partikel“: Prof. Dr. Dr. Stefan Heinrich zeigt in seinem Büro an der TU Hamburg eine Auswahl verschiedenster Granulate aus unterschiedlichen Anwendungen. Die Herstellung von körnigem Material fi ndet sich in zahlreichen Branchen – von der Pharma-Industrie über Agrarprodukte bis hin zur Lebensmittelindustrie, in der Granulate eine sehr große Rolle spielen. Foto: Wolfgang Becker

Das TUHH-Institut für Feststoffverfahrenstechnik und Partikel­technologie: Prof. Dr. Dr. Stefan Heinrich ist ein weltweit gefragter Experte

E s ist alles so selbstverständlich: ein Griff in den Schrank, das Glas mit dem Instantkaffee herausholen, aufschrauben und einen Löffel Kaffee in die Tasse geben. Heißwasser drauf, fertig. Kein Mensch macht sich Gedanken darüber, warum die braunen Krümel so locker im Glas hin- und hergeschüttelt werden können, wie sie das Aroma halten, warum sie nicht verkleben und wie es kommt, dass sie exakt die richtige Größe haben. Einer schon: Prof. Dr. Dr. Stefan Heinrich, Leiter des Instituts für Feststoffverfahrenstechnik und Partikeltechnologie an der TUHH. Der Magdeburger lehrt und forscht seit 2008 in Harburg und ist ein weltweit gefragter Experte, wenn es um Partikel geht. Ein exotisches Thema? Keineswegs! Kaum ein Thema an der Technischen Universität ist näher an den Menschen als dieses. Das Büro von Stefan Heinrich erinnert ein bisschen an ein Wohnzimmer – vielleicht ist dies der gemütlichste Ort an der TUHH. Die hölzerne Schrankwand hat es allerdings in sich: Hier stehen jede Menge Gläser mit Partikelproben – kleine Kügelchen, Granulate, Tabletten und auch ein paar unförmige, grobe Klumpen, etwa so groß wie Brombeeren. Heinrich: „Wir bewegen uns hier auch in Größenordnungen von wenigen Nanometern.“ Und vor allem in der Food-Branche. Allein sieben Doktoranden-Stellen hat der Schweizer Lebensmittelkonzern Nestlé mittlerweile finanziert. Hinzu kommen zehn weitere Stellen aus den Bereichen Pharmazeutika, Düngemittel, Waschmittel, Katalysatoren und Pflanzenschutzmittel. 21 interne Doktorandinnen und Doktoranden sowie ein externer Doktorand werden am Institut aktuell betreut, darunter zwei von Dr. Maksym Dosta, Juniorprofessor für Mehrskalensimulation.

Vom Pulver zum Korn

Thematisch beschäftigen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum Beispiel mit der Wirbelschicht-Sprühgranulation, mit Beschichtungen (beispielsweise auch von Aerogelen), mit Geschmack, Farbe und Leitfähigkeit von verkapseltem Material, mit der Herstellung, aber auch der Zerstörung von Granulat, mit Mischverfahren und mit einer schier unübersehbaren Masse an Anwendungsformen. Kurz gesagt: Mit der Frage, wie beispielsweise aus einem Pulver Partikel mit individuellen Eigenschaften hergestellt werden können. Ein trockenes Thema? Mitnichten. Heinrich sagt voller Überzeugung: „Partikeltechnik ist sexy!“

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Im alltäglichen Leben spielen Partikel eine große Rolle. Ein Schwerpunkt ist neben der Lebensmittelbranche die Pharma-Branche. Tabletten sind nichts anderes als Partikel. Heinrich: „Sie müssen unter anderem eine bestimmte Festigkeit haben und ein definiertes Freisetzungsverhalten für den Wirkstoff. In anderen Fällen spielt die Feuchte eine Rolle oder auch die chemische Reaktionsfähigkeit.“ Heinrich und sein Team von Experten verfügen über die Methoden und das Wissen, die technischen Basisdaten zu berechnen, die für bestimmte Produktionsprozesse nötig sind. Kein Wunder also, dass die Industrie sich dieser Expertise bedient und mit Drittmitteln dafür sorgt, dass das TUHH-Institut für Feststoffverfahrenstechnik und Partikeltechnologie reichlich zu tun hat. 2016 wurde Heinrich für seine Forschungen mit dem Dechema-Preis 2015 ausgezeichnet. Er ist mit 20 000 Euro dotiert und zugleich der bedeutendste Preis der Verfahrenstechnik in Deutschland.

Zahllose Fragen

Zurück zu dem eingangs erwähnten Instantkaffee in Granulatform: Mittlerweile ist an die Stelle der Gläser vielfach die teurere Variante der Kaffee-Pads gerückt. Einen Latte macchiato? Kein Problem. Doch was steckt technisch dahinter, dass dieses Verfahren überhaupt so funktioniert, der Inhalt nach Latte macchiato schmeckt und sich selbst ein Georg Clooney nicht zu schade ist, als Werbe-Ikone herzuhalten? Heinrich: „Wer so ein Produkt auf den Markt bringt, der muss sich mit dem Auflösungsverhalten des Inhalts, dem Absetzverhalten, der Geschmacks­entwicklung, den Transportprozessen, der Festigkeit und dem Temperaturverhalten auseinandersetzen. Daraus ergeben sich zahllose Fragen, die wir durch Berechnungen und Simulationen beantworten.“

Das Thema Kaffee kennt selbstverständlich jeder, doch es gibt zahllose andere Produkte, deren Herstellung ähnliche Fragen aufwirft. Unter der Leitung von Stefan Heinrich, der auch Vorsitzender der Fachgruppe Agglomerations- und Schüttguttechnik (Dechema e.V.) sowie Vertrauensdozent der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG ist, werden sowohl Machbarkeits- als auch Ausführungsstudien durchgeführt. Er sagt: „Die Firmen kommen in der Regel mit wirklich komplizierten Themen zu uns – wir sind dann die Problemlöser.“ Heinrich leitet unter anderem auch das mit 15 Millionen Euro geförderte DFG-Schwerpunktprogramm „Dynamische Simulation vernetzter Feststoffprozesse“.

Unter dem Strich steht immer ein Verfahren, mit dem maßgeschneiderte Partikel gleich welcher Art produziert werden. Heinrich: „Die Herausforderung, vor der wir jetzt stehen, ist die Prozess-Steuerung in Echtzeit.“ Einmal im Jahr bietet Heinrich eine Schulung für Industriekunden an, die Wirbelschichttechnik zur Produktion von Partikeln anwenden. „Da kommen dann 30 bis 40 Experten aus der ganzen Welt zu uns.“ Und erfahren das Neueste aus der Welt der Partikel . . . wb

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