Jugendschelte? Nicht mit mir!

Die Tesmer-Ausbilder Timo Kleinknecht und Petra Flemming (rechts) präsentieren die neuen Azubis des Jahrgangs 2019. Foto: Tesmer

INTERVIEW Geschäftsführer Klaus-Günther Mohrmann über die Situation an der Ausbildungsfront

Der Fachkräftemangel macht immer mehr Unternehmen zu schaffen – das gilt sowohl für die Suche nach dem bereits ausgebildeten neuen Kollegen als auch für das Thema Ausbildung. Selbst renommierte Unternehmen spüren, dass es immer schwieriger wird, geeignete junge Menschen zu finden, die vor allem mit langfristiger Bindungsperspektive nachrücken. Bei Tesmer (rund 500 Mitarbeiter) sind jetzt acht Azubis im kaufmännischen, drei im logistischen und 20 im technischen Bereich an den Start gegangen. Nach der Sommerpause geht die Suche für das Ausbildungsjahr 2020 los. Über das aktuelle Brennpunktthema sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker mit Klaus-Günther Mohrmann, Geschäftsführer der Hans Tesmer AG & Co. KG und verantwortlich für acht Mercedes-Autohäuser in der südlichen Metropolregion Hamburg.

Wenn Sie auf das Ausbildungsjahr 2019 schauen, zu welchem Schluss kommen Sie dann – wird es schwieriger, junge Menschen für eine Ausbildung zu gewinnen? Zeichnet sich ein Trend ab?

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Ich würde noch nicht von der Fortsetzung eines negativen Trends sprechen. Mein Eindruck: Die Anzahl der Bewerber sinkt. Und: Bei der Auswahl sind wir großzügiger geworden. Hinzu kommt, dass die Ausbildung speziell im technischen Bereich für viele Auszubildende sehr viel anspruchsvoller geworden ist. Was dazu führt, dass auch die Anzahl der Abbrecher zugenommen hat.

Was muss ein Bewerber mitbringen, der eine Berufslaufbahn im technischen Bereich einschlagen möchte?

Es wird bei den Tests sehr viel Wert auf Mathematik und Physik, aber eben auch auf technisches Verständnis gelegt. Eines muss auf jeden Fall da sein: die Bereitschaft, sich in Themen reinzuknieen, Dinge auch zu lernen und zu lesen. Das ist meines Erachtens ganz wichtig. Diese Bereitschaft hat abgenommen.

Junge Leute haben ja durchaus auch im Alltag mit komplexer Technik zu tun, die aber häufig – wie beispielsweise beim Smartphone oder beim PC – intuitiv bedienbar ist. Ist das möglicherweise eine Prägung, die zur Falle wird? Schließlich lässt sich ein Auto ja nicht intuitiv reparieren . . .

Vieles, was wir uns im elektronischen Bereich anschauen, ist selbstlernend. Im Autobereich ist das aber nicht der Fall. Da gibt es durchaus viele Dinge im elektronischen, im mechanischen und auch im Karosseriebereich, bei denen auf den ersten Blick nicht klar ist, warum sie genau so sein müssen. Das ist nicht immer sofort zu verstehen. Kurz: Ingenieurwissen erschließt sich häufig erst, wenn ich eine Reparaturanleitung gelesen habe.

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Haben sich die jungen Menschen, die sich bewerben, in den vergangenen zehn Jahren irgendwie verändert? Gibt es noch den hochmotivierten Azubi mit Zukunftsperspektive?

Unbedingt! Die gibt es. Und wir haben eine Reihe von Mitarbeitern im Unternehmen, bei denen sich schon in der Ausbildung abzeichnete, dass hier jemand ist, der sich entwickeln will. Deshalb wehre ich mich auch gegen diese Jugendschelte. Die Jugendlichen haben eine andere Welt – auch in ihrer Freizeit. Sie werden anderes geprägt, sind aber in vielen Bereichen enorm kreativ und haben unter Umständen viel Spaß an Dingen, die Unternehmen nicht brauchen oder eben noch nicht gelernt haben, für sich nutzbar zu machen. Das führt im Alltag dazu, dass gerade ältere Monteure manchmal Probleme haben, einem Auszubildenden Dinge zu erklären, die seiner Lernfähigkeit entsprechen. Andererseits: Wenn die Älteren ein Problem mit dem PC haben, könnten sie auch ihren Azubi fragen.

Wie kommt es zu den erhöhten Abbrecherzahlen?

Ich denke, die Frustrationstoleranz ist gesunken. Einige brechen ab, weil vielleicht die Motivation von außen fehlt oder weil sie den kurzfristigen Erfolg gewöhnt sind.

Tesmer ist mit Mercedes ganz sicher ein gefragter und attraktiver Ausbildungsbetrieb – gibt es dennoch Probleme, genügend Bewerber zu finden?

In bestimmten Regionen ja – da haben wir allerdings auch starke Wettbewerber, die es gut verstehen, sich attraktiv als Ausbildungsbetrieb zu präsentieren. Auch wenn sie keine Premiummarke vertreten.

Bedeutet das möglicherweise für suchende Unternehmen, dass sie andere Informationskanäle wählen und eine andere, jugendgerechtere Ansprache wählen müssten? Stichwort Social Media?

Wir haben eine Umfrage gemacht, und ich bin erstaunt darüber, wie wenige Bewerber über diese Kanäle angesprochen wurden. Etwa 60 Prozent unserer Auszubildenden sind über persönliche Kontakte auf uns aufmerksam geworden. Wir sind dabei, eine betriebsinterne Befragung durchzuführen – auch um zu hören, was unsere Mitarbeiter meinen, wie sich Tesmer nach außen attraktiver darstellen ließe. Wie präsentiere ich das Unternehmen? Wie präsentiere ich die verschiedenen Berufe? Das ist ein großes Thema – was macht denn eigentlich ein Mechatroniker? Das muss doch mal anschaulich erzählt werden.

Welche Rolle spielen die weichen Faktoren – Work-Life-Balance, Betriebsklima und so weiter?

Das Thema ist extrem wichtig. Dabei geht es uns um Wertschätzung und auch um Ansprechpartner im Unternehmen, die ein offenes Ohr haben, auch wenn mal Probleme auftauchen. Auch persönlicher Art.

Welche Zukunft hat der klassische Mechatroniker angesichts der zunehmenden E-Mobilität, die vieles im Service verändern wird?

Der kann ja künftig durchaus auch ein E-Fahrzeug warten. Bei aller Sorge vor möglichen Veränderungen: Oft ist der Mechatroniker nur der Einstieg in den Beruf. Das wird häufig vergessen. Nach dem Einstieg eröffnen sich ganz neue Perspektiven und Möglichkeiten. Die Schulen und Jobagenturen können in der Regel gar nicht ermessen, welche Weiterbildungsmöglichkeiten sich zum Beispiel unter dem Mercedes-Dach eröffnen. Das gilt für den technischen Service ebenso wie für den kaufmännischen und logistischen Bereich. Und was die Veränderungen des Berufsbildes Mechatroniker angeht, da warten wir mal ab . . .

Web: https://www.mercedes-benz-hans-tesmer.de