So verändert ein Virus unsere Städte

Foto: ImentasHerinrich Wilke, Geschäftsführer IMENTAS Immobilienpartner und Beirat des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden || Foto: Imentas

Beirat des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden und Geschäftsführer von IMENTAS Immobilienpartner

Welche neue Normalität wird es nach der Corona-Pandemie geben? Wie verändert sich unser Wohnen und Arbeiten? Wie sehen unsere Städte zukünftig aus? Ein Blick zurück zeigt, welchen Einfluss beispielweise die Cholera-Epidemie auf die Hamburger Stadt­entwicklung hatte. Mit mehr als 8000 Toten zeigte diese Epidemie im Jahr 1892 die Mängel des Hamburger Gesundheits- und Wohnungswesens auf. In der Folge wurden Standards für die Wasserversorgung und Abwasserentsorgung sowie Hygieneauflagen für die Lebensmittelproduktion entwickelt. Eine Kommission forderte zudem den Abriss enger Arbeiterquartiere und den Bau breiter Straßen. Das Hamburger Gänge-Viertel wurde daraufhin saniert und teilweise abgerissen.

Neue Vorschriften zur Verbesserung von Belichtung und Belüftung infolge der Cholera führten zu ganz neuen Bautypologien. Entstanden sind dadurch auch die für Hamburg typischen „Schlitzbauten“, die in den Folgejahren das Bild ganzer Stadtteile prägten. Selbst der Hamburger Stadtpark verdankt seine Entstehung der neuen Debatte um Licht, Luft und Hygiene. Wir müssen also davon ausgehen, dass auch SARS-CoV-2 langfristige Auswirkungen auf unsere Städte haben wird. Aber auf welche Zukunft müssen wir uns einstellen? Um sich dieser Frage zu nähern, ist zunächst zwischen Korrekturen des Marktes und Reaktionen bei Gesetzgebern und Behörden zu differenzieren.

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Die Geschwindigkeit von Veränderungen erhöht sich

Die prognostizierte Preisanpassung bei Wohnungen und Zinshäusern hat zwar einen Corona-Zusammenhang, ist aber in erster Linie zyklischer Natur. Offen ist dabei lediglich die Frage, wann die Umsätze und Preise wieder erreicht werden, die es vor Corona gab. Interessanter für die Entwicklung unserer Städte sind dagegen die langfristigen und strukturellen Anpassungen des Marktes.

So wird zum Beispiel viel darüber spekuliert, ob die Erfahrungen mit Homeoffice und Video-Konferenzen dazu führen, dass Unternehmen zukünftig weniger Büroflächen benötigen. In Verbindung mit den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie ist dies zumindest vorrübergehend nicht auszuschließen. Auch wenn Homeoffice-Tage zukünftig zunehmen dürften, heißt das aber noch lange nicht, dass die Nachfrage nach Büroflächen in Deutschland auf längere Sicht signifikant abnehmen wird. Denn im Gegenzug werden Unternehmen ihren Büroangestellten früher oder später wieder mehr Arbeitsplatzqualität und ein kreatives Arbeitsumfeld mit dem entsprechenden Raum­angebot bieten müssen. Ins Ausland ausgelagerte Arbeitsplätze könnten zudem wieder verstärkt nach Deutschland zurückgeholt werden, um Lieferketten besser abzusichern.

„GreenGate“ bekommt das kontaktlose WC

Die Entwickler von Bürogebäuden reagieren bereits auf das gestiegene Sicherheitsbewusstsein von Unternehmen. Das Bürogebäude „GreenGate“ in Bonn wird umgeplant und jetzt mit automatischen Fiebermesseinrichtungen an allen Eingangstüren, speziellen Innenraum-Luftfiltern, Desinfektionstechnik in den Wänden und kontaktfreien WCs ausgestattet. Damit soll das antivirale Büro sicherer sein als jedes Homeoffice.

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Im Wohnbereich ist es vorstellbar, dass so mancher leidgeprüfte Haushalt, der bislang der urbanen Dichte den Vorzug gegenüber der Beschaulichkeit einer Vorstadt gab, jetzt darüber nachdenken wird, ob ein Häuschen im Grünen nicht doch die bessere Alternative sein könnte. Der aktuelle Run auf Kleingartenparzellen lässt erahnen, dass der Wunsch nach privatem Grün größer geworden ist. Und bezieht man mit ein, dass die Wünsche der neuen Generation „Z“ auch schon vor Corona viel mit einem Haus im Grünen und einem eigenen Auto vor der Tür zu tun hatten, könnte das Umland gegenüber der verdichteten Stadt an Boden gewinnen.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die derzeitige Krise als Katalysator vieler bereits vorhandener Trends wirken wird. Was sich ohne Corona in zehn bis 15 Jahren entwickelt hätte, könnte jetzt in zwei bis drei Jahren passieren: Der stationäre Einzelhandel verliert an den Versandhandel; kleine, familiengeführte Hotelbetriebe verlieren gegenüber großen, logistisch optimierten Markenhotels; die Digitalisierung verschmilzt virtuelle und reale Welten miteinander und anderes mehr. Das alles bleibt nicht ohne Auswirkungen auf das Gesicht unserer Stadt oder unseres Dorfes und wird mit Anpassungsschmerzen verbunden sein.

Wie werden Gesetzgeber und Planer nun reagieren?

Relativ sicher können wir davon ausgehen, dass die Haushaltslage auf kommunaler, aber auch auf Landesebene in den nächsten Jahren angespannt sein wird. Schöne Projekte wie die Erneuerung des Marktplatzes oder die Erweiterung des Museums könnten dabei auf der Strecke bleiben. Möglicherweise fällt auch das eine oder andere sozial- oder klimapolitische Projekt dem Rotstift zum Opfer. Denn auch den klimapolitischen Umbau unserer Städte muss man sich leisten können.

Die Verantwortlichen mit Gesetzgebungskompetenz, aber auch alle kommunalen Planungsverantwortlichen werden darüber nachdenken, wie sie ihre Stadt auf die nächste Pandemie besser vorbereiten können, und sei es zunächst nur durch breitere Fußwege. Die heute existierenden städtebaulichen Leitbilder werden neu bewertet, der öffentliche Raum wird neu verhandelt.

Wahrscheinlich ist daher, dass die Debatte um die Aufteilung des Straßenraumes zugunsten von Fußgängern und Radfahrern deutlich mehr Schwung bekommt. Die Sperrung von Wohnstraßen für den Autoverkehr scheint ab sofort politisch leichter umsetzbar als noch vor einigen Monaten. Und zu den klimapolitischen Argumenten für weniger Autos auf den Straßen kommen jetzt gesundheitspolitische und sozialräumliche hinzu. Die Städte Berlin und Brüssel machen bereits große Schritte in diese Richtung.

Es kann weiterhin davon ausgegangen werden, dass die behördlichen Anforderungen an den Bau von Heimen, Gefängnissen, Kliniken und allen Gebäuden mit Publikumsverkehr nach oben geschraubt werden. Flurbreiten und Aufzugsgrößen könnten neu definiert, Hygieneschleusen und kontaktlose Bediensysteme zum Standard gemacht werden.

Vielleicht wird demnächst ein Pandemiekonzept neben dem Brandschutzkonzept und dem Wärmeschutznachweis ein selbstverständlicher Baustein eines jeden größeren Bauantrages sein. Die Erkenntnis, dass viele Menschen in der Zeit der Kontaktbeschränkungen auf die eigenen vier Wände angewiesen waren, könnte auch dazu führen, dass zukünftig die Mindestgröße von Balkonen ebenso festgeschrieben wird, wie es heute bereits bei Abstellräumen der Fall ist. Nur eines ist sicher: Einfacher und kostengünstiger wird es nicht.

Sicher ist, dass die Fachdiskussionen unter Stadtplanern und Architekten und bei den Fach- und Landesbehörden in den nächsten Jahren auch von den Erfahrungen dieser Pandemie befruchtet werden und dass wir uns auf eine neue Problemwahrnehmung bei Bürgerbeteiligungen und öffentlichen Plandiskussionen werden einstellen müssen. Das Ergebnis wird dann unsere neue Normalität nach Corona sein.

Von Heinrich Wilke

Eigentlich wollte der Harburger Immobilienexperte Heinrich Wilke die zweite Folge der neuen B&P-Kolumne „Harburgs urbane Mitte“ schreiben, in der er am Beispiel Harburg Schlaglichter auf die Stadt­entwicklung wirft – ein Thema, das er vor allem im Rahmen der Harburg-Vision des Wirtschaftsvereins für den Hamburger Süden bearbeitet. Doch dann kam Corona und aktuell eine ganz neue Fragestellung auf, die für alle Städte gilt. Aus der Harburg-Kolumne wurde deshalb dieses Mal eine umfassende Analyse, die sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf die Stadtentwicklung allgemein befasst.