„Den Zellen muss es gut gehen“

Foto: B&PMichael Schlüter (links) und Jürgen Fitschen arbeiten seit vier Jahren zusammen. Hier zeigen sie einen Rührer, der im Reaktor zum Einsatz kommt, um die Luftblasen zu verwirbeln. || Foto: B&P

Prof. Michael Schlüter (TUHH) erläutert Harburgs weltweiten
Beitrag zur effektiven Herstellung von medizinischen Wirk- und Impfstoffen.

Wer mit der Technischen Universität Hamburg nur Hörsäle verbindet, der sollte – wenn sich die Gelegenheit ergibt – unbedingt mal einen Blick ins Technikum an der Eißendorfer Straße in Harburg werfen. Dort steht unter anderem ein riesiger gläserner Reaktor mit einem ebenso großen Rührwerk, das Luftblasen in bis zu 15 Kubikmetern Wasser verquirlt. Das klingt zunächst einmal fast banal, aber tatsächlich erforschen Prof. Dr. Ing. Michael Schlüter, Leiter des Instituts für Mehrphasenströmungen, und sein Team das Verhalten von Luftblasen in Edelstahlreaktoren, die in der Pharma-, Biochemie- und Chemie-Branche eingesetzt werden – zum Beispiel für die Produktion von Impfstoffen und anderen pharmazeutischen Wirkstoffen, aber auch für Mischprozesse ohne Luft zum Beispiel in der Lackherstellung. Im weltweit größten gläsernen Reaktor lässt sich beobachten, messen und erforschen, was sonst nur im Verborgenen geschieht: der Mischvorgang. In der Folge geben sich in Harburg Anlagenbauer aus aller Welt die Klinke in die Hand.

Optimierung von „Flow Followern“

Als Hamburgs Wirtschaftssenator Michael Westhagemann vor einigen Wochen im Rahmen seiner Innnovations-Tour durch Hamburg die TUHH besuchte, berichtete er begeistert von den Forschungen des Schlüter-Teams. Der Bremer Michael Schlüter (54) hatte ihm soeben ein aktuelles Forschungsprojekt vorgestellt, bei dem es um die Optimierung von „Flow Followern“ geht. Dahinter verbergen sich kugelförmige Sensoren (Durchmesser etwa zwei Zentimeter), die während eines biochemischen Mischvorgangs bei der Produktion von pharmazeutischen Wirkstoffen in der Flüssigkeit herumgewirbelt werden und Daten aus dem gläsernen Reaktor sammeln. Sozusagen Zellen-Dummies, die melden, ob es den realen Zellen, die beispielsweise für die Impfstoffherstellung eingesetzt werden, gut geht.

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Wenn Unternehmen wie Biontech & Co. neue Wirkstoffe entwickeln, geschieht das in der Regel in sehr kleinem Maßstab. Michael Schlüter: „Am Ende haben sie ein kleines Glasröhrchen mit vielleicht fünf Millilitern Inhalt eines neuen mRNA-Impfstoffs – und die Chance auf einen Nobelpreis. Doch wie gelingt es, diesen Stoff in großem Maßstab zu produzieren? Das ist eine Frage der Verfahrenstechnik, und da kommen wir ins Spiel. Wir erforschen die Grundlagen für die Groß-Produktion beispielsweise pharmazeutischer Wirkstoffe. Die einzelnen Bestandteile und Prozesse können dabei nicht einfach nur skaliert werden. Eine Frage ist beispielsweise, wie es den üblicherweise eingesetzten tierischen Zellen, die einen Wirkstoff produzieren sollen, ergeht, wenn sie nicht im Reagenzglas, sondern in einem großen Reaktor mit Sauerstoff versorgt werden müssen.“

Kleiner Maßstab vs. großer Maßstab

Da in der Pharmaindustrie beispielsweise bei der Impfstoffherstellung häufig tierische Zellen eingesetzt werden, die – wie wir – Sauerstoff für den Stoffwechselprozess benötigen, ist deren Sauerstoffversorgung ein sensibles Thema: „Die Zellen sind sehr empfindlich. Sie brauchen unter anderem die richtige Temperatur und den korrekten pH-Wert, reagieren negativ auf Stress durch Scherung, die beim Zerplatzen der Luftblasen an der Oberfläche entsteht, und müssen im gesamten Reaktor ausreichend mit Sauerstoff versorgt werden. Im Gegenzug muss das CO2, das beim Stoffwechselprozess in den Zellen entsteht, mit den aufsteigenden Luftblasen abgeführt werden. Unser Ziel ist es, den Prozess im Reaktor so zu steuern, dass eine effektive und schnelle Produktion qualitativ hochwertiger Wirkstoffe gewährleitet ist – ein sehr komplexes Thema“, erläutert Michael Schlüter.

Vorsicht beim „Umrühren“

Eine Frage lautet also: Wie muss ein Rührwerk im Reaktor eingestellt und gestaltet werden, damit sich die Luftblasen überall in der Flüssigkeit gleichmäßig verteilen? Und das, ohne zu viel Bewegungsenergie einzusetzen. Denn die könnte dafür sorgen, dass die Zellen durch den sogenannten Scherstress zerstört werden. Einfach ausgedrückt: Zu starkes Rühren ist schädlich.
Um herauszubekommen, wie es den Zellen beim „Umrühren“ geht, verwendet Sebastian Hofmann, Doktorand bei Prof. Schlüter, im Projekt „CHOLife“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft die „Flow Follower“. Der Doktorand Jürgen Fitschen nutzt unter anderem diese Erkenntnisse, um die Rührer und Begaser im Hamburger Glas-Tank weiter zu optimieren. Eine ideale Synergie aus Grundlagen- und Industrieforschung, die weltweit Aufmerksamkeit erregt. Da geht es um Formen der einzelnen „Paddel“ und Abstände – und am Ende um die optimale Sauerstoffverteilung im Fluid sowie die richtige Größe der Luftblasen. Technische Vorlieben bei Anlagenbauern spielen ebenfalls eine Rolle. Schlüter: „In den USA werden zum Beispiel gern sogenannte „Elephanten-Ohr-Rührer“ eingesetzt – wir haben diese spezielle Form hier im Versuchseinsatz, denn um von den US-Behörden eine Zulassung für die Produktion zu bekommen, muss jeder kleinste Schritt im Prozess beschrieben sein und beherrscht werden. Dies unterstützen wir mit unseren Forschungen.“

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Und deshalb gibt sich die weltweite Szene der Anlagenbauer in Harburg regelmäßig ein Stelldichein. Schlüter: „Für viele Besucher ist es das erste Mal, dass sie sehen können, was in einem Bioreaktor tatsächlich passiert. Ein Aha-Effekt. Diese Behälter sind ja normalerweise aus Edelstahl und müssen allerhöchsten Reinheitsanforderungen entsprechen. Die bleiben normalerweise immer geschlossen, um zu verhindern, dass sie mit Keimen kontaminiert werden.“