Harburgs langer Arm nach China

Sie haben die China-Connections: Torsten Friedrichs (rechts) und Kai-Olaf Möller betreiben das Technische Büro Herbert Friedrich. Sie helfen Unternehmen, die Teile in Fernost fertigen lassen wollen. Foto: Wolfgang Becker

Das Technische Büro Herbert Friedrich organisiert und kontrolliert im Auftrag deutscher Partner die Produktion technischer Bauteile in Fernost.

Spätestens seit der US-Konzern Apple seine begehrten iPhones in China fertigen lässt, dürfte auch dem letzten Skeptiker klar sein, dass technische Produktion im Land der aufgehenden Sonne in der Lage ist, alle geforderten westlichen Standards zu erfüllen. Doch China ist weit weg, und die Wirtschaft funktioniert dort nach anderen Spielregeln als in der Europäischen Union oder gar in Deutschland. Die Verlagerung von Produktion nach China stellt sich deshalb auf den ersten Blick als schwieriges Unterfangen dar – gäbe es nicht das Technische Büro Herbert Friedrich, seit kurzem neuer Mieter im hit-Technopark. Auch wenn zurzeit alles runtergefahren wird: Torsten Friedrichs und Kai-Olaf Möller vermitteln und organisieren für deutsche Partner die Produktion zum Teil komplexer und anspruchsvoller technischer Bauteile in Fernost – sie sind Harburgs langer Arm nach China und zuversichtlich, dass sich das globale Geschäft nach dem Ende der Pandemie wieder entwickeln wird.

Qualitätssicherung und
Montage in Shenzhen

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Beim Kaminabend im hit-Technopark stellten Möller und Friedrichs die Möglichkeiten des „Beschaffungsmarkts Asien“ vor. Beide kennen sich aus dem Maschinenbaustudium. Und: Beide sind mit Asiatinnen (aus China und Vietnam) verheiratet – ein hilfreicher Umstand, wenn Deutsche antreten, im fremden Land Vertrauen aufzubauen. Vor 20 Jahren begannen sie damit, erste Kontakte zu potenziellen Partnern zu knüpfen – kleine und mittlere Unternehmen, die in der Lage waren, qualitativ hochwertige technische Produkte in Serien von etwa 5000 bis 50 000 Stück zu produzieren.

Friedrichs: „Wir besetzen eine Nische zwischen Manufaktur, also kleinen Stückzahlen, und der industriellen Massenfertigung. Auch Losgrößen unter 5000 sind realisierbar.“

Was das Duo auszeichnet: Einer von beiden ist unter normalen Umständen immer vor Ort in der Millionenmetropole Shenzhen, kontrolliert die Fertigung und sichert die Qualität. In China sorgen etwa 30 Mitarbeiter für die Montage, Verpackung und letztendlich auch für die Qualitätssicherung. Durch die Zeitverschiebung von sechs bis sieben Stunden sind sie zudem in der Lage, Probleme quasi über Nacht zu regeln und für schnelle Ergebnisse zu sorgen.

Möller: „Unsere Dienstleistung beginnt bei der Beratung des deutschen Partners und reicht über die Verpackung bis zur Chargen-Auslieferung der fertigen Teile über unser Lager in Allermöhe. Bezahlt wird erst bei Lieferung.“

Alle kritischen Prozesse finden im eigenen Haus statt – das gilt vor allem für das Thema Produktpiraterie. Die Lösung: Kein chinesischer Partner kennt das Endprodukt, sondern immer nur ein Bauteil. Werkzeuge, die für die Serienproduktion angefertigt werden, bleiben zu 100 Prozent im Eigentum des Auftraggebers und vor Ort im Zugriff von Möller und Friedrichs. Zeichnungen und Datensätze werden grundsätzlich ano­nymisiert.

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Der Vorteil der Produktion in China liegt zum einen im nach wie vor niedrigen Lohnniveau, zum anderen in der Schnelligkeit. Torsten Friedrichs: „Ein Werkzeug, beispielsweise für Spritzguss-Teile, lassen wir unter unserer technischen Kontrolle in drei bis sechs Wochen bauen. In Deutschland dauert das drei bis sechs Monate. Deshalb können wir kurze Lieferzeiten bieten.“ Kleine Losgrößen und die hohe Produktionsflexibilität sind weitere Pluspunkte, die er nennt.

Rund 170 auditierte
Produktionspartner

Mittlerweile verfügen sie über einen Pool von etwa 170 verlässlichen und auditierten Produktionspartnern in China und können Teile aus den Bereichen Metallverarbeitung, Kunststoff, Spritzguss, Schweißen sowie Platinen und Leiterplatten liefern. Zweimal pro Monat kommt ein Sammelcontainer in Hamburg an – mit technischen Produkten für namhafte Kunden in Deutschland. Manche Baugruppen haben 50 und mehr Komponenten, die von unterschiedlichen chinesischen Partnern gefertigt und zentral an einem Standort montiert werden.

Torsten Friedrichs: „Wir können zwar kein Chinesisch, aber wir verstehen die Chinesen.“ Kai-Olaf Möller übersetzt: „Es ist per Mailorder aus Deutschland quasi unmöglich, in China ein Produkt zu bestellen. Dazu braucht es sehr viel Vertrauen. Der Weg ist weit und voller Fallstricke – beispielsweise bei der Frage, wer hat eigentlich Zugriff auf das Werkzeug. Die ersten Schritte nach China sind schwierig. Unser Job ist es, den Weg zu ebnen.“ Aktuell bauen Möller und Friedrichs einen zweiten Produktionsstandort auf – in Vietnam. Friedrichs: „Die Nachfrage steigt eindeutig. Derzeit lagern wir in Hamburg für unsere Kunden etwa 100 in Fernost gefertigte technische Produkte, die aus rund 1000 Einzelteilen bestehen. Tendenz steigend. Wir beschaffen Produkte nach deutschen Maßstäben zu chinesischen Preisen.“ wb

>> Web: www.herbert-friedrich.de

Fallbeispiel: Der Feuermelder – Made in „Germina“

Feuermelder kennt jeder, doch aus wie vielen Bauteilen so ein rotes Ding an der Wand besteht, das weiß nur, wer jemals nachgeschaut hat. Er findet ein zweiteiliges Gehäuse aus Alu-Druckguss, eine innenliegende Abdeckung aus Kunststoff-Spitzguss mit Aufdruck, eine Elektronikplatine mit Schalter und Kabelklemmen sowie ein Sicherheitsglas. Am Beispiel des Feuermelders erläutern die Diplom-Ingenieure Kai-Olaf Möller und Torsten Friedrichs (beide kommen aus dem Bereich Fertigungstechnik) einen fiktiven Produktionsauftrag inklusive Verpackung für Partner in China. Das Design, die Konstruktion und das Know-how kommen in Form von Daten und Zeichnungen aus Deutschland, die Fertigung findet in China statt – so wird aus Germany und China „Made in Germina“ . . .

Step 1: Der Auftraggeber händigt ein Lastenheft, Zeichnungen und gegebenenfalls 3D-Daten des Feuermelders an das Technische Büro Herbert Friedrich aus.

Step 2: Analyse: Wie kann das Produkt kostengünstig und effizient gebaut werden – eventuell Rückkopplung mit dem Entwickler, wenn sich Probleme abzeichnen oder leichte Veränderungen am Gehäuse bessere Lösungen ermöglichen.

Step 3: Der Kunde bekommt zwei Angebote – eines für das notwendige Werkzeug-Set (zum Beispiel Formen für den Guss des Alu-Gehäuses), ein weiteres für den eigentlichen Feuermelder (je nach Stückzahl), auf Wunsch auch inklusive Lagerung (K-Lager).

Step 4: Die Produktion wird so organisiert, dass kein chinesischer Partner weiß, dass es um einen Feuermelder geht (Splitting der Bauteile).

Step 5: Möller und Friedrichs erstellen die Werkzeugkonzepte, die von den chinesischen Partnern umgesetzt werden. Der Auftraggeber ist in alle Details involviert.

Step 6: Nach dem Werkzeugbau werden erste Muster des Feuermelders gefertigt und ein Erstmusterprüfbericht (EMPB) erstellt. Danach erfolgt die Freigabe mit oder ohne Auflagen durch den Auftraggeber.

Step 7: Produktion einer Pilotserie, um gegebenenfalls die Werkzeuge und/oder den Prozess zu optimieren.

Step 8: Serienfertigung – anschließend Lieferung aller Einzelteile an den Montagestandort in Shenzhen. Dort erfolgen die Montage, die Qualitätssicherung (SOP) und die Verpackung.

Step 9: Verladung in den Sammelcontainer nach Hamburg. Die Formalitäten erledigt das Büro Herbert Friedrich.

Step 10: Einlagerung der Feuermelder im K-Lager und Auslieferung in vereinbarten Losgrößen an den Kunden. Fakturierung nach Auslieferung. Das ist der meist genutzte und aus Kundensicht der optimale Ablauf.