Ein Leben ohne Durchschnitt

Thomas StraubhaarStraubhaar ist Botschafter der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und gehört den Kuratorien der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Haspa Finanzholding an.

Von Quantität zu Qualität: Professor Thomas Straubhaar referiert vor Haspa-Kunden über die Folgen des digitalen Wandels

Digitalisierung, Brexit, Handelskrieg – die Welt scheint zunehmend aus den Fugen zu geraten. Wie wird die Konjunktur auf die Umbrüche unserer Zeit reagieren? Thomas Straubhaar, Professor für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg, gab kürzlich im „Leuchtturm“ Antworten auf diese Fragen. Die Hamburger Sparkasse hatte den bekannten Ökonomen und ihre Kunden zum Vortrag ins Harburger Restaurant am Außenmühlenteich gebeten. Mehr als 100 Gäste waren der Einladung gefolgt und gingen nach der globalen Analyse des Wirtschaftsexperten motiviert und um viele Einsichten reicher nach Hause.
Straubhaar ist seit 2001 Berater der Haspa Finanzholding und hat schon zuvor Vorträge für Sparkassen- Kunden gehalten. Manche begegnen dem bekannten Ökonomen deshalb nicht zu ersten Mal. Sie schätzen seine optimistische Sichtweise. „Er sieht die Situation nicht so negativ wie viele seiner Kollegen“, sagt Dr. Thomas Nesemann. Der Notar ist mit seiner Frau Sonja gekommen, Juristin bei Eurogate. „Straubhaar zeigt stets Perspektiven auf“, weiß Immobilienmakler Udo Stein. „Man muss sich doch fragen, ob volkswirtschaftliche Theorien angesichts des Wandels überhaupt noch passen.“

Tatsächlich gilt vieles nicht mehr, was bisher als Gewissheit erschien. Straubhaar macht klar: Die Digitalisierung sei weit mehr als eine technische Revolution. Es vollziehe sich in Windeseile ein totaler Umbruch, eine Disruption, die Loslösung von Raum, Staaten und Firmen mit sich bringe und auch das soziale Leben auf den Kopf stelle.

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Bis zum Ende des vorigen Jahrhunderts habe es überwiegend typische Familien mit festen Rollenbildern, vorhersehbaren Lebensläufen – Tätigkeit im erlernten Beruf bis zur Rente, oftmals sogar im selben Unternehmen – und kalkulierbaren Konsumwünschen gegeben. Das sei vorbei. Die Welt von heute sei zunehmend individualisiert. An Otto Normalverbraucher kann sich die Wirtschaft nicht mehr orientieren. „Es gibt keinen aussagekräftigen Durchschnitt mehr. Wer 08/15-Lösungen anbietet, wird keinen Erfolg haben. Maßgeschneiderte Lösungen für jeden einzelnen Kunden und jeden Mitarbeiter sind gefragt.“ Einzig höchste Qualität werde sich durchsetzen. Die wichtigste Ressource der Zukunft sind laut Straubhaar nicht Waren, sondern Daten. Der gravierende Unterschied zwischen beiden: Während der Wert von Waren sich bei Teilung verringert, wächst der von Daten, je mehr Menschen sie nutzen. Am erfolgreichsten seien deshalb jene, die wissen, wie aus Daten Leistungen erzeugt und Netzwerke erstellt werden. Materielle Güter dagegen spielten heute eine untergeordnete Rolle. „Das weltweit erfolgreichste Taxiunternehmen, Uber, besitzt kein einziges Fahrzeug. Und der größte Hotelbetrieb, AirBnB, hat kein einziges Bett. Und beide Unternehmen haben keine Ahnung von der Branche.“

Professionelle Kompetenzen Erfolge von gestern seien keine Garantie für Erfolge von morgen und professionelle Kompetenzen anders zu bewerten als noch vor zehn Jahren. Künftig habe nur derjenige einen sicheren Arbeitsplatz, der Robotern und künstlicher Intelligenz überlegen bleibe. Etwa in Puncto Feinmotorik, Kreativität, Emotionalität und Bewertungskompetenz. Handwerk hat laut Straubhaar mehr denn je goldenen Boden. Und auch der Kellner, der vor dem Vortrag Häppchen servierte, dürfte so gesehen bessere Berufsaussichten haben als manche der von ihm bewirteten Gäste. Straubhaar sagt: „Es wird nicht lohnen, fürs Tablett-tragen einen Roboter zu konstruieren.“

Bisher galt, dass ein Gut oder eine Dienstleistung für jedermann den gleichen Preis hat. Heute machen Algorithmen es möglich, die individuelle Zahlungsbereitschaft auszuschöpfen. „Wer ein iPhone hat oder bei Chanel einkauft, zahlt mehr!“ Die Ironie daran sei, dass die Kunden ihre Daten durch Nutzung von Handy und Internet freiwillig herausgäben, sagt Straubhaar. Und zwar je jünger, desto bereitwilliger und sorgloser. „Den meisten meiner Studenten geht Effektivität vor Datenschutz.“ Der 61-Jährige sieht die Entwicklung zum gläsernen Menschen eher kritisch. Trotz immer stärkerer Vernetzung sind die Gräben, die die Welt teilen, breiter denn je. „Es gibt tiefe Risse innerhalb und zwischen den Gesellschaften“, stellt Straubhaar fest. Einen Grund sieht er in der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich. Einen anderen in der zunehmenden Vereinzelung und Entfremdung. „Immer weniger Nachbarn identifizieren sich miteinander. Die gemeinsame Basis wird immer kleiner. Dass die Volksparteien so wenig Zustimmung haben, liegt auch daran, dass es gar kein Volk mehr gibt.“ In der komplexen Welt suche der Einzelne einfache Antworten und Lösungen, wie sie Populisten scheinbar böten. Die Entscheidung für den Brexit liefere ein gutes Beispiel. „Man fragt sich doch, wieso schießen die Briten sich ins eigene Bein? Die Leute hatten einfach das Gefühl, dass ihre Wünsche und Erwartungen bisher nicht erfüllt wurden und haben deshalb für den Austritt gestimmt.“ Kleiner Trost für die Europäer: „Alle, aber auch alle Studien kommen zu dem Ergebnis, dass die Nachteile für England stärker sein werden als für die EU.“

Straubhaars gute Botschaft lautet: „Makroökonomisch geht es gut.“ Und das werde auch weiter so bleiben. „Denn wer könnte besser mit den Herausforderungen der neuen Zeit umgehen als Deutschland? Solange die Beschäftigung so positiv ist, wie es heute der Fall ist, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen.“ Denn mit den Reallöhnen werde auch der Konsum steigen. Bau- und Immobilienwirtschaft werde weiter florieren. Weil Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, die Zinsen nicht anheben werde. Und weil die Nachfrage nach Wohnraum weiter steigen werde, denn die Bevölkerungszahl wachse – nicht zuletzt durch Zuwanderer. Und mit dem Wohlstand steige das Bedürfnis nach mehr Wohnfläche pro Kopf.

In sinkenden Wachstumsprognosen sieht Straubhaar kein Problem. „Niemand wird spüren, ob das Wachstum 0,8 oder 1,0 Prozent beträgt.“ Die Angst der Deutschen vor Rezession sei geradezu „pathologisch“, findet der gebürtige Schweizer. „Bleiben Sie optimistisch, gerade in disruptiven Zeiten. Es gilt nachzudenken, sich gut beraten zu lassen, auf Qualität zu setzen und die Chancen, die der Wandel bietet, zu nutzen.“

www.haspa.de

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