Deshalb ist die Kirsche wieder ein Erfolgsprodukt

FOOD Die „Dach­kirschen“ werden bei Elbe-Obst in Apensen unter anderem „von Hand“ überprüft – ein Schritt von mehreren, um höchste Qualität in den Handel zu bringen. Dank der befristet montierten Dachkonstruktionen (rechts und oben) ist die Altländer Kirsche wieder verlässlich vermarktbar und in den Lebensmitteleinzelhandel zurückgekehrt. Foto: Elbe-Obst

B&P VOR ORT Jens Anderson und Jens Hohmann erläutern die Vorzüge des geschützten Anbaus bei Elbe-Obst.

Beim Anflug auf Mallorca oder andere Regionen in Spanien sind die weißen Flächen am Boden bereits aus großer Höhe zu erkennen – hier wachsen verschiedene Obst- und Gemüsesorten ganzjährig geschützt unter aufwendigen Foliendächern. Anders ist es im Alten Land. Seit über 15 Jahren sind hier für zwei, drei Monate ähnliche „weiße Flecken“ auf der Landkarte zu beobachten. Die Dächer werden jedoch dann wieder eingerollt. Hier wachsen geschützt vor Regen und Hagel Kirschen heran. Die „Dachkirsche“ markiert eine Trendwende, denn mit Einführung der Dächer gelang es, den fast schon verlorenen Absatzmarkt im Lebensmitteleinzelhandel zurückzuerobern, wie Jens Anderson, Marketingleiter von Elbe-Obst, bei einem Ortstermin in Apensen berichtet. Dort betreibt die Erzeugerorganisation das größte Packhaus Nordeuropas für Äpfel, Beeren und Kirschen. Heute ist die Kirsche wieder ein Erfolgsprodukt. Der Grund: Das Dach bietet so hohe Planungssicherheit, dass Lieferprogramme im Lebensmitteleinzelhandel möglich wurden. Auf rund 500 Hektar Fläche werden an der Niederelbe (Altes Land, Kehdingen und ein paar Betriebe in Schleswig-Holstein) Kirschen angebaut. Etwa 60 Erzeugerbetriebe aus dem Elbe-Obst-Kosmos haben mittlerweile das Dach eingeführt. Anderson: „Im Jahr 2016 war der Punkt erreicht, an dem wir bei Elbe-Obst erstmals mehr Kirschen aus geschütztem Anbau als Freilandkirschen zu vermarkten hatten. Für den Ausbau der Dachanlagen gab es zum Teil eine EU-Förderung für Obstbauern im Alten Land.“

Pflücken ist Handarbeit

Anzeige

Wer sich an die Kirschenplantagen in früheren Jahrzehnten erinnert, dem fallen vor allem die hohen Bäume und die langen Holzleitern ein. Kirschenpflücken ist bis heute Handarbeit. Dachkirschen wachsen allerdings an deutlich kleineren Bäumen (etwa vier Meter hoch), was die Arbeit erleichtert. Eine neuangelegte Dachkirschenanlage braucht vom Bau über die Pflanzung bis zum Vollertrag bis zu sieben Jahre. Anderson: „Eine komplette Dachanlage, inklusive Bäume, kostet aktuell etwa 125 000 Euro pro Hektar. Heute ist der überwiegende Teil der Kirschenflächen überdacht. Pro Jahr werden im Alten Land etwa 40 000 Kirschbäume neu in die Erde gesteckt.“ Zum Vergleich: Ebenfalls pro Jahr werden im Alten Land 1,5 Millionen Apfelbäume neu gepflanzt.

Nachdem der Kirschanbau, der vor dem Zweiten Weltkrieg noch ein Viertel der Fläche im Alten Land ausmachte, in den 70er-, 80er- und 90er-Jahren aufgrund der empfindlichen Frucht und der daraus entstehenden Unplanbarkeit der Ernteerträge immer weiter berg­ab ging, bahnte das Dach als technische Lösung gegen negative klimatische Einflüsse wie Regen und Hagel den Weg zurück in den Lebensmitteleinzelhandel, der in diesen Jahren sukzessiv alternative Lieferquellen im Ausland erschlossen und Ware aus dem Alten Land nachrangig handelte.

Die Dachkirsche ebnete nicht nur den Weg in die Supermarktregale, sie machte auch Exporte möglich. In guten Jahren geht etwa ein Viertel der Ernte in den Außenhandel. Und: „Dachkirschen haben noch einen Vorteil: einen intensiveren Geschmack. Sie sind auch saftiger“, sagt Jens Anderson, „weil die Früchte im geschützten Anbau gut ausreifen können.“

Von Zwillingen und Drillingen

In der Regel werden die Dächer Ende April installiert. Sie schützen nicht nur vor Nässe und Hagel (also vor Aufplatzen), sondern auch bis zu einem gewissen Grad vor Frost. Außerdem werden Vögel und Fruchtfliegen weitgehend ferngehalten. Die Dachkirsche hat einen zwei bis vier Millimeter größeren Umfang als die Freilandkirsche und sie durchläuft nach dem Pflücken der Zwillinge und Drillinge einen ausgefeilten Analyse-, Sortier- und Verpackungsprozess. Getestet werden der Fruchtzuckergehalt und die Druckfestigkeit. Mit Eiswasser werden die Zwillinge und Drillinge in einzelne Kirschen zerlegt. Die Ernte wird handverlesen (Beschädigungen) und zusätzlich fotooptisch nach Größe sortiert. Erntestart ist übrigens im Juli. Dann kommen die Süßkirschen – hauptsächlich die Sorten Regina, Kordia und neuerdings Areko – nach und nach vom Baum. Ähnlich wie bei den Äpfeln kann die Auslieferung durch die Einlagerung der Kartons in gekühlten Räumen in sauerstoffarmer Atmosphäre verzögert werden. Die Auslieferung im Klimabeutel unterstützt diesen Prozess. Die Lagerfähigkeit beträgt bis zu fünf Wochen. Jens Hohmann: „Die Kirsche muss nach dem Pflücken nicht mehr sofort in den Laden. Dadurch sinkt der Vermarktungsdruck. Außerdem sind wir als nördlichstes Anbaugebiet ohnehin immer ein bisschen später dran. Wenn andere nicht mehr liefern können, kommen die Kirschen aus dem Alten Land.“ Elbe-Obst vermarktet etwa 60 Prozent der Gesamt-Kirschernte aus dem Alten Land – was einem Viertel der deutschlandweiten Kirschernte entspricht. Das beliebte Steinobst aus dem Alten Land wird überwiegend in Deutschland vertrieben, geht manchmal auch an Handelspartner in Spanien, Frankreich oder den Benelux-Ländern und seit 2022 auch an Abnehmer in Fernost.

Anzeige

Ernte 2023: Etwa wie im Vorjahr

Wie viele Kirschen in diesem Jahr von Elbe-Obst vermarktet werden, war bei Redaktionsschluss noch nicht eindeutig zu beziffern. Anderson rechnet damit, dass wieder die Zahlen des Vorjahres erreicht werden. Das bestätigt auch Jens Hohmann, Stellvertretender Verkaufsleiter von Elbe-Obst: „Ich denke, wir werden bei 2300 Tonnen landen. 2022 hatten wir 2200 Tonnen, allerdings waren die Kirschen relativ klein. In diesem Jahr ernten wir sechs bis sieben Tage später.“ Interessant ist die Preiskurve, denn wenn die ersten Kirschen aus dem Alten Land in den Handel kommen, ist noch Ware aus anderen Anbaugebieten zu haben – das drückt den Ladenverkaufspreis runter. Hohmann: „Wenn die anderen Quellen dann versiegen, was Ende Juli der Fall sein wird, bleiben nur noch wir übrig. Dann steigen 100 Gramm der Premiummarke Naturoyal schon mal auf mehr als 0,80 Euro im Supermarkt. Aber ganz ehrlich: Sonst kommen die Erzeuger auch nicht auf ihre Kosten. Die Kirsche ist ein Spekulationsobjekt. Unsere Hauptfaktoren bleiben Wetter und Preis – davon ist alles abhängig.“ Und natürlich vom Dach, unter dem die Knupperkirschen (Sammelbegriff für alle großen und dunklen Süßkirschen) im Alten Land Schutz finden . . . wb

>> Web: https://www.elbe-obst.de/