In der Zukunft wird vieles leichter …

Das TUHH-Institut für Thermische Verfahrenstechnik: Prof. Dr. Irina Smirnova erforscht Anwendungen für Aerogele

Sie wiegen so gut wie nichts, haben ausgezeichnete Wärmeisolationswerte, brennen in der Regel nicht, sind ungiftig und können in so gut wie jeder Form hergestellt werden: Aerogele. Seit zehn Jahren befasst sich Professorin Dr. Irina Smirnova, Leiterin des Instituts für Thermische Verfahrenstechnik an der TUHH, unter anderem mit der Produktion eines Materials, das der Laie ungläubig bestaunt, wenn sie eine kleine Plastikschale hervorholt und sagt: „Hier, fühlen Sie mal.“ In der Schale liegen, rein optisch betrachtet, kleine Scherben, als seien sie am Strand rundgeschliffen worden. Sie wirken nur durchsichtiger, fast wie kleine Wolken aus feinstem Glas. Nimmt man ein Aerogel-Teilchen auf die Hand, ist außer einer zarten Berührung nichts zu spüren. Das gewichtslose Etwas fühlt sich ein wenig stumpf an, und es könnte bei zu starkem Druck zerbröseln.

Die Halle im Technikum erstreckt sich über drei Stockwerke – hier werden industrielle Produktionsprozesse in einem Maßstab erforscht, der später nur noch hochskaliert werden muss. Foto: Wolfgang Becker

Die Halle im Technikum erstreckt sich über drei Stockwerke – hier werden industrielle
Produktionsprozesse in einem
Maßstab erforscht, der später nur noch
hochskaliert werden muss. Foto: Wolfgang Becker

Tatsächlich handelt es sich bei Ansichtsexemplaren um Siliziumdioxid, eine poröse Form von Glas. De facto ist das Aerogel ein luftgefülltes dreidimensionales Molekülgitter. Vergleichbare Gitter lassen sich auch aus anderen Grundstoffen erzeugen – beispielsweise aus Polymeren, zum Beispiel aus Polyurethan, also Kunststoffen. Oder eine Variante aus der Welt der Lebensmittel: Selbst aus einem Gummibärchen ließe sich ein Aerogel herstellen. Sogar essbar, wie Irina Smirnova bestätigt.

Aus Polyurethan werden beispielsweise Dämmstoffe für die Isolierung von Häusern hergestellt. Diese Baustoffe sind luft- und wasserundurchlässig. Aerogele lassen Luft und Feuchtigkeit dagegen durch, ohne jedoch die isolierende Wirkung einzubüßen. Und: Die entsprechenden Isolationsplatten sind nur halb so dick bei gleicher Dämmleistung. Dieses Beispiel zeigt, welches Potenzial in der Entwicklung von Aerogelen steckt. BASF hat bereits zugegriffen und ein Produkt namens Slentite entwickelt. Die Pilotanlage für die industrielle Fertigung steht im niedersächsischen Lemförde. Der Chemiekonzern preist höchste Dämmleistung bei minimalem Platzbedarf an. Der BASF-Hochleistungsdämmstoff auf PU-Aerogelbasis wurde vom Rat für Formgebung mit dem German Design Award 2018 ausgezeichnet.

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Anders liegt der Fall bei Siliziumdioxid. Diese Aerogele werden zur mechanischen Stabilisierung in Flies eingearbeitet. Das Gewebe dient unter anderem als Isolierung für Unterwasser-Pipelines, wie Irina Smirnova sagt. Neuerdings forscht die gebürtige Russin an Biopolymeren: „Das sind natürliche Polymere, beispielsweise Stärke, Zellulose, Alginate, die Bausteine der Zellwände von Algen, und Gelatine. Ziel ist es, essbare Aerogele aus Proteinen herzustellen.“ In den luftigen 3-D-Gittern ließen sich beispielsweise schlecht schmeckende, aber nahrhafte Nahrungsmittel wie Fischöl und Lebertran unterbringen. Die Professorin: „Fischöl möchte man ja nicht im Mund haben. Verpackt in Aerogelen könnte es seine Wirkung im Körper entfalten. Ein Prinzip, das auch in der Pharmaindustrie angewendet wird. Im Bereich Diät-Food könnten Aerogele ebenfalls eingesetzt werden – der Teller ist übervoll, hat aber nur wenig Kalorien.“ Bei der Forschung mit Aerogelen aus Biopolymeren ist die TUHH weltweit führend.

Vielfältige Einsatzoptionen

Da die Aerogele quasi nichts wiegen, sind sie auch in einem ganz anderen Zusammenhang interessant. Das Unternehmen Dräger lässt erforschen, inwieweit das futuristische Material Schadgase absorbieren kann. So ließen sich ultraleichte Filter für Atemschutzmasken produzieren. Bei Brandeinsatz müssten die Feuerwehrleute nicht mehr so schwer tragen. Irina Smirnova: „Wir sind dabei, die technologischen Prozesse zu entwickeln und Aerogele in vielfältiger Form nutzbar zu machen. Dabei geht es letztlich auch um die Senkung der Produktionskosten.“ Irina Smirnova organisiert und leitet unter anderem regelmäßig die Aerogel-Konferenz mit rund 200 Wissenschaftlern aus aller Welt: „Es herrscht ein regelrechter Hype. In China sind Aerogele ein Prioritätsthema der Regierung. Da geht es um Isolierung und letztlich Energieeinsparung. In Südkorea wurde mit Hochdruck daran geforscht, Sesamöl mit Kohlendioxid zu extrahieren. Mittlerweile ist dieses Verfahren kommerzialisiert. Das ist die gleiche Technik, mit der man auch Aerogele produziert“. Der Vollständigkeit halber: Das Thema Aerogele ist nur ein Thema, an dem die 41-Jährige forscht, die vor zehn Jahren als eine der jüngsten Professorinnen Deutschlands an die TUHH berufen wurde. Zu ihrem Institut zählt auch die Entwicklung von technischen Verfahren für Bioraffinerien. Stichworte Extraktion und Rektifikation. Hierzu steht im Technikum der TUHH eine große Versuchsanlage. Immer geht es darum, Stoffe voneinander zu trennen – die klassische Aufgabe der Verfahrenstechnik, wie sie zum Beispiel in einer Raffinerie angewendet wird. wb