Der Anti-Corona-Schutzschirm der deutschen Wirtschaft

Grafik: Adobe Stock

B&P-REPORT Verbände, Vereine, Förder-Institutionen, Kammern, Wirtschaftsförderer: In der Krise bewährt sich das typisch deutsche Sicherheitsnetz – Jedes Unternehmen findet Ansprechpartner
Von Martina Berliner

Auftragsrückgänge, unterbrochene Lieferketten, Produktionsstillstand oder gar temporäre Betriebsschließungen, Liquiditätsprobleme – die Folgen der Corona-Pandemie treffen Unternehmen auf vielfache Weise. Das gilt in der globalisierten Welt überall gleichermaßen. Und doch sind die Chancen, in der Krise zu bestehen, für deutsche Firmen besser als irgendwo sonst. Denn es gibt finanzielle Hilfestellung und – ebenso wichtig – ein komplexes Beratungsangebot. Kammern, Innungen, Wirtschaftsverbände, Interessenvertretungen, Fördereinrichtungen und Vereine bilden ein Netz, das hilft, Unternehmer in Unsicherheit und Not aufzufangen. Dieses Flechtwerk von Institutionen, im Ausland oftmals als typisch deutsch belächelt und auch von hiesigen Gewerbetreibenden zuweilen als unzeitgemäß und obsolet angesehen, zahlt sich jetzt aus. Kurz: Das Solidaritätsprinzip erfährt durch Corona eine Renaissance.

Mit dem Beginn der Krise wurde schnell klar, dass für Betriebe in virus-bedingter finanzieller Schieflage Fördergelder fließen würden. Dass Kurzarbeit helfen könnte, Mitarbeiter zu halten. Nur das Wie blieb vielen Unternehmern unklar. Wie beantragt ein Hamburger Solo-Selbstständiger, Freiberufler, ein kleinerer oder mittlerer Betrieb Zuschuss bei der Hamburgischen Investitions- und Förderbank IFB? Und wie kommt eine niedersächsische Firma über die NBank an Corona-Soforthilfe? Wie sind bei der eigenen Bank oder Sparkasse Kredite der KfW zu beantragen, um die Liquidität zu verbessern und laufende Kosten zu decken? Die Hotlines der Geldinstitute waren bald so hoffnungslos überlastet wie die der Gesundheitsämter.

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Erste Antworten und ein Überblick mit Links fanden sich im Netz. In Windeseile hatten alle wirtschaftlichen Organisationen Corona-Infos auf ihren Homepages gepostet. Seither spiegeln diese Corona-Blogs den Verlauf der Pandemie. Doch Sachinformation aus dem Netz vermag persönliche Beratungsangebote nicht zu ersetzen. Ob Wirtschaftsförderung oder Branchenverband – überall heißt es: „Bei uns stehen die Telefone seit Monaten nicht still.“

5000 Gespräche in zwei Monaten

Die Handelskammer Hamburg musste intern umstrukturieren, um der Flut der Anfragen Herr zu werden. „40 Mitarbeiter beraten jetzt per Corona-Hotline. Allein in den ersten zwei Monaten nach dem Shutdown wurden 5000 Gespräche geführt“, sagt Kendra Schmidt, Referentin Mitgliederbeziehungen und Dialogmarketing. Insbesondere die kleinen und mittelständischen Betriebe hätten Beratungsbedarf. „Sehr große Unternehmen verfügen über ihre eigene Rechtsabteilung und pflegen direkte Kontakte zu den Behörden.“

„Wir aktualisieren unsere Internetseite stündlich“, sagt Christiane Engelhardt, Pressesprecherin der Handwerkskammer Hamburg mit 15 000 Mitgliedsbetrieben. Dennoch hat die Kammer ihr Beratungsteam aufgestockt, um tausende Anfragen zu beantworten. „Allein an dem Tag, als die Kosmetikerinnen und Fußpflegerinnen wieder arbeiten durften, hatten wir 400 Anrufe.“ Die Task-Force der Hamburger Handwerkskammer hält tägliche Corona-Meetings ab, um sich auszutauschen und gegenseitig auf den aktuellen Stand zu bringen. „Eine große Herausforderung war und ist, die aktuell gültigen und richtigen Informationen von den zuständigen Stellen zu bekommen, um verlässliche Auskünfte geben zu können“, bestätigt Sandra Jutsch, Leiterin Kommunikation und Marketing bei der Handwerkskammer Braunschweig-Lüneburg-Stade.

Der Informationsfluss zwischen Kammer und Behörden ist keineswegs einseitig. Die Kammern nutzen den ständigen Kontakt, um ihre Erkenntnisse über die Probleme der Betriebe an die Politik weiterzugeben. Die Innungen liefern, teils über die Kammern, branchenspezifische Details und praktische Hilfen für die Mitglieder. So können Anleitungen für Hygienekonzepte und Aushänge für Geschäfte aus dem Netz heruntergeladen werden.

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„Weil man sich gut kennt“

Neben Kammern und branchenorientierten Verbänden sind auch lokale Ansprechpartner äußerst gefragt. So Thomas Friedrichs, Leiter der Stabsstelle Wirtschaftsförderung der Stadt Stade. „Wir fungieren in der Krise für viele Unternehmer als Erstkontakt, weil man sich gut kennt.“ Das vertrauensvolle persönliche Gespräch helfe enorm, ist er überzeugt. „Schon Ludwig Erhard hat ja gesagt: 50 Prozent des Erfolges sind Psychologie.“ Er und sein Team verstehen sich als Berater, Wegweiser und Mediatoren. „Wir kennen immer jemanden, der weiterhelfen kann.“ Als in der Anfangsphase der Pandemie Firmenchefs an den Anträgen für Fördergelder verzweifelten, als Server zusammenbrachen und über hoffnungslos überlastete Hotlines niemand zu erreichen war, hatte Friedrichs die Durchwahl eines Lüneburger NBank-Mitarbeiters bereit. Oft sind es nur kleine Hinweise, die für die Ratsuchenden große Erleichterung bedeuten. „Die Anzahl der Gespräche, die wir führen, zählen wir deshalb schon lange nicht mehr.“

Matthias Reichert, Chef der Wirtschaftsförderung im Landkreis Stade, hat sich in der heißen Corona-Phase insbesondere um die besonders betroffenen Branchen Hotellerie und Gastronomie gekümmert und dazu exklusiv für B&P ein separates Thema beigesteuert (https://www.business-people-magazin.de/wp-admin/post.php?post=27487&action=edit).

So helfen die Städte

Gleiches gilt für Jürgen Enkelmann, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung in Lüneburg. Die Salzstadt bietet einen Härtefallfonds für innerstädtische kleine Betriebe mit bis zu neun Beschäftigten. „Wir wollen unsere Altstadt mit ihren kleinteiligen Strukturen erhalten, denn die lebendige City ist ja gewissermaßen unser Markenkern und enorm wichtig für den Tourismus“, erläutert er. Maximal 2500 Euro können für die Erleichterung des Neustarts beantragt werden. Auch Unternehmen und haupterwerbliche Gewerbetreibende mit Sitz in Winsen (Luhe) können einen nicht rückzahlbaren Zuschuss von bis zu 2500 Euro als sofortige Überbrückungshilfe zur Abwendung einer drohenden Insolvenz infolge der Corona-Krise beantragen.

In Buchholz gibt es einen Solidaritätsfonds für Vereine, Kulturschaffende und in Ausnahmefällen auch Kleinunternehmen und Solo-Selbstständige, die durch die Corona-Krise in Not geraten sind. „Einnahmen brechen weg, weil Vorstellungen abgesagt werden müssen, Mitglieder austreten, Vereinsfeste wegfallen“, sagt der Buchholzer Bürgermeister Jan-Hendrik Röhse. Die Stadt Buchholz, die Volksbank Lüneburger Heide, die Stadtwerke, die Buchholzer Wirtschaftsrunde e.V. und Buchholz Marketing e.V. unterstützen den Fonds mit Geld und organisatorisch.

Für Zukunftssicherheit braucht es aber nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch neue Konzepte. Die Themenfelder Lieferketten/Onshoring, Prozesse/Digitalisierung und Human Ressource/Personal bergen Potenzial für strategische Maßnahmen, um die Unternehmen in der jetzigen Situation zu stabilisieren und für kommende Krisen zu wappnen. „Der Landkreis und die WLH Wirtschaftsförderung im Landkreis Harburg GmbH nehmen die Situation zum Anlass, um mit Unterstützung des Transferzentrums Elbe-Weser und in Kooperation mit der Digitalagentur Niedersachsen, der IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum und der IHK Lüneburg-Wolfsburg eine besondere Aktion zu starten“, erklärt Dr. Alexander Stark, Leiter der Stabstelle Kreisentwicklung/Wirtschaftsförderung beim Landkreis Harburg. „Dabei treten wir in direkten Kontakt mit den Unternehmen vor Ort und wollen so herausfinden, in welchen Bereichen strategischer Handlungsbedarf besteht.“

In Form von Video- beziehungsweise Telefon­interviews soll eine erste Bestandsaufnahme zur gegenwärtigen Situation stattfinden. Im Anschluss wird weitere Unterstützung im Rahmen individueller Beratungsgespräche angeboten. Bei Bedarf werden im Rahmen des Technologietransfers Experten aus Wissenschaft oder Wirtschaft vermittelt. WLH-Geschäftsführer Jens Wrede sieht in der Initiative eine gute Chance, konkrete Herausforderungen zu identifizieren und Handlungsoptionen zu entwickeln. Positiv beurteilt er auch die Resonanz auf die von der WLH angebotenen „Webinare“ für Existenzgründer. Die würden „fast noch besser“ angenommen als die bisher üblichen Seminare im Buchholzer ISI-Zentrum für Gründung, Business und Innivation.

„Wir müssen uns didaktisch umstellen“

Diese Erfahrung macht man auch beim Arbeitgeberverband Lüneburg. „Seminare bis 90 Minuten Länge laufen auch virtuell sehr gut. Ich kann mir vorstellen, dass diese Form über Corona hinaus beibehalten wird. Für Tagesschulungen eignet sich das Netz dagegen nicht. Da werden wir uns didaktisch umstellen müssen“, meint Renate Peters vom AV Lüneburg. Im Büro liefen täglich die Telefone heiß, berichtet die Kommunikations-Expertin. „Die Fragen drehen sich häufig um die Themen Kurzarbeit und Freistellungen wegen Quarantäne oder Kinderbetreuung. Unser zwölfköpfiges Team hat die vergangenen Monate in voller Stärke durchgearbeitet.“

Thomas Falk, Hauptgeschäftsführer vom Arbeitgeberverband Stade Elbe-Weser-Dreieck, hat seine Mannschaft vorsorglich geteilt. Beide Team-Hälften arbeiten abwechselnd im Büro und im Homeoffice. „Zum Glück machen die elektronischen Medien das möglich. Es wäre eine Katastrophe, wenn im Falle einer Infektion alle Mitarbeiter auf einmal ausfallen würden. Seit Beginn der Krise haben wir mehr als 20 Rundschreiben herausgegeben. Dazu kommt individuelle Beratung.“

Akteure aus Wirtschaft und Politik aktiv zusammenführen – das ist das Anliegen von Wirtschaftsvereinen. Überall sind die Verantwortlichen in Zeiten von social distancing damit beschäftigt, ursprünglich geplante Präsenzveranstaltungen durch digitale Angebote zu ersetzen. Hauptversammlung, Unternehmerfrühstück, Arbeitskreise – alles findet nunmehr per Videokonferenz statt. Das klappt durchaus. Auch auf den Homepages wird die Kommunikation intensiviert.

Aktionäre der Süderelbe AG posten Erfahrungsberichte zum erfolgreichen Krisenmanagement und Konzepte zur Umstellung des Geschäftsmodells. „Beispiele für Lösungen zu bieten, entspricht ja unserem Unterstützungsgedanken“, sagt Kommunikations-Managerin Monika Gabler. Die auf Initiative von Sparkassen, Landkreisen/Kommunen sowie Unternehmen gegründete Wachstumsinitiative setzt zudem auf neue mediale Angebote wie Interviews mit prominenten Wirtschaftsexperten auf YouTube.

Interview statt Live-Netzwerk

Diesen Weg geht man auch beim Wirtschaftsverein für den Hamburger Süden. So ist ein ursprünglich als Live-Netzwerkveranstaltung geplantes Interview von Franziska Wedemann mit dem Hamburger Wirtschaftssenator Michael Westhagemann im Netz zu sehen. „Unsere Vorsitzende nimmt jetzt an den wöchentlichen Telefonkonferenzen mit Herrn Westhagemann und den Vertretern der Verbände teil und platziert so die Themen unserer Mitglieder in der Politik“, sagt Geschäftsführerin Uta Rade. Der Corona-Blog der Homepage dient den Mitgliedern als Plattform zur Präsentation auf die Pandemie bezogener Aktivitäten, Informationen und Angebote. „Wir haben die ohnehin geplante Schaffung eines Forums für unsere Mitglieder vorgezogen“, berichtet Stefanie Feindt vom Wirtschaftsverein Buxtehude. Auf https://www.buxtehude-wirtschaft.de/forum/ können alle Interessierten Fragen und Anregungen platzieren, um einen lebhaften Wissens- und Erfahrungsaustausch zu starten.

Mit der Aktion „Buxtehude hilft“ liefert die Estestadt ein Paradebeispiel für den Erfolg enger Verflechtung unterschiedlicher Institutionen. Um Handel und Gas­tronomie in der Pandemie lebendig zu erhalten, haben sich Stadtmarketing, Stadtwerke, Wirtschaftsförderung, Altstadtverein und Wirtschaftsverein zusammengetan. In Kooperation mit Privatinitiativen und Einzelhändlern werden Informationen zu den Themen Nachbarschaftshilfe, Online-Shopping und Lieferdienste angeboten. „buxtuell“, eine App der Stadtwerke, existierte bereits vor Krisenbeginn. Der digitale Lokal-Ticker erleichterte es Unternehmen, neue Wege zu gehen. ‚Buxtehude hilft‘ ist keine Eintagsfliege. Wir werden die Plattform erhalten. Denn digitale Präsenz wird über Corona hinaus von hoher Bedeutung sein“, sagt Kerstin Maack, Leiterin der Wirtschaftsförderung. Corona habe ihre Arbeit grundlegend verändert, sie und ihr Team zeitweise an ihre Grenzen gebracht. Aber es gab auch positive Erfahrungen. „Bei den Recherchen zur Erstellung der umfangreichen Matrix der Hilfsangebote auf unserer Homepage stellten wir fest, dass die Institutionen auf allen Ebenen wunderbar verzahnt sind. Und dass die soziale Infrastruktur niemanden zurücklässt.“