So will Stade den Hafen in die Zukunft führen

Wolfgang BeckerHier soll sich perspektivisch einiges ändern: Stades Landrat, Michael Roesberg (rechts), und Elbclearing-Chef Marcus Schlichting stehen in der Hafenkulisse in Stade-Bützfleth. || Foto: Wolfgang Becker

Landrat Michael Roesberg und Elbclearing-Chef Marcus Schlichting über schlagende Argumente für den LNG-Terminal.

Die Zukunft der Wirtschaft im Landkreis Stade hängt ganz entscheidend vom Industriestandort Stade ab – und dazu gehört nicht nur die Industrie selbst, sondern vor allem auch der Hafen in Bützfleth. Seit Jahrzehnten gibt es Überlegungen zur Weiterentwicklung des Hafens, doch viele Pläne, unter anderem zum Bau eines Kohlekraftwerks, verliefen im Sand. Eon und Elektrabel stellten dieses Vorhaben 2008/2009 ein, während die Dow bis zum Planfeststellungsbeschluss dran blieb. Das Thema Kohle ist in Deutschland allerdings ein Auslaufmodell. Jetzt zeichnet sich dennoch eine Wende ab, denn nun soll im Süden ein Anleger für verflüssigte Gase gebaut werden. Stade konkurriert dabei mit den Standorten Wilhelmshaven und Brunsbüttel. Über die guten Argumente für den Standort Stade sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker mit dem Stader Landrat, Michael Roesberg, und Marcus Schlichting, unter anderem Geschäftsführer der Elbclearing GmbH & Co. KG sowie Vorsitzender von Seehafen Stade e.V.

Hat die Kraftwerksplanung die Hafenentwicklung in Stade beschleunigt?

Schlichting: Nein, das war eher kontraproduktiv, weil die eigentliche Hafenplanung damit abgewürgt wurde – um die Kraftwerke zu verhindern. Wir waren daran eigentlich gar nicht beteiligt, sondern hatten das Ziel, den Hafen so zu erweitern, dass er infrastrukturell wertvoller wird. Wir haben damals eine gute Chance verpasst, aber die stellt sich jetzt in veränderter Form vielleicht neu. Das sollten wir nutzen.

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Roesberg: Das Land Niedersachsen sieht die Perspektive für den Stader Hafen darin, hier einen Flüssiggas-Anleger zu bauen. Dieses Ziel gehen wir jetzt konkret an.

Das Thema LNG beschäftigt den Norden ja schon seit einigen Jahren.

Schlichting: Wir sprechen jetzt vom Anleger für verflüssigte Gase AVG, weil es nicht nur um LNG, also stark komprimiertes Erdgas, sondern auch um den Umschlag von Propylen und Ethylen geht , ebenfalls verflüssigte Gase, die die Dow seit fast fünf Jahrzehnten hier bezieht – etwa eine halbe Million Tonnen pro Jahr.

Roesberg: Mittlerweile ist das Thema so weit vorangeschritten, dass bereits Investoren da sind. Wir sprechen hier über die Erweiterung des Hafens Richtung Süden. Unser zweites Thema ist die Norderweiterung, die allerdings noch nicht so weit fortgeschritten ist, dem Hafen aber eine weitere Zukunftsperspektive eröffnet.

Wenn wir den Zukunftsplan von Niedersachsen Ports anschauen, dann sehen wir drei Hafenbereiche – den vorhandenen Südhafen, den im Süden anschließenden AVG und im Norden den Nordhafen, der beträchtlich erweitert werden soll. Warum?

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Schlichting: Es geht ja nicht nur um die Dow, sondern auch um Olin, AOS und weitere Industriebetriebe auf dem Bützflether Sand. Wir wollen sicherstellen, dass die Vorprodukte angeliefert und dass die Produkte auch wieder ausgeliefert werden können. Am bisherigen Südhafen kommen wir mit den Liegeplätzen so langsam an unsere Kapazitätsgrenzen.

Roesberg: Wir haben zwei große Entwicklungsbereiche im Stader Hafen, im neuen Südbereich wird es jetzt konkret. Im Norden denken wir perspektivisch in die Zukunft und wollen uns auf den Massengüterumschlag ausrichten. Dazu sollen jetzt im ersten Schritt Planungen starten. NPorts will 2022 beginnen.

Wie konkret ist es denn im Süden?

Schlichting: Für den AVG erwarten wir zum August den Starttermin für das Scoping-Verfahren, das dem eigentlichen Planfeststellungsverfahren vorgeschaltet ist. Wir sind mit der Hanseatic Energy Hub also schon in einer sehr konkreten Phase. Diese Gesellschaft, zu deren Gesellschaftern auch der Inhaber von Buss gehört, treibt die Planung voran und finanziert sie auch. Und wir haben einen namhaften Investor. Das Gesamtinvest wird am Ende bei 800 Millionen Euro liegen – inklusive eines neuen Lagers für Flüssiggase. Wir haben über NPorts bereits Schiffssimulationen durchgeführt, und die Kartierung nach den FFH-Richtlinien findet statt – wir zählen Tiere und Pflanzen.

Roesberg: Die Flüssiggas-Anlieferung ist natürlich auch in Wilhelmshaven ein Thema, und ich möchte das Thema Nordstream erwähnen. Wenn wir über Alternativen zur Gasanlieferung durch die Pipeline sprechen, dann geht das nur über die niedersächsischen Häfen Wilhelmshaven und Stade. Eine nationale Frage.

Das hieße also, die AVG-Planungen für Stade sind das politische Gegenargument zu der Befürchtung, Deutschland mache sich durch die Gaslieferungen über Nordstream abhängig von Russland?

Roesberg: Ja.

Schlichting: Wenn wir nur von einem Anbieter Gas beziehen, ist das für die Preisentwicklung nicht gut. Wir werden uns perspektivisch vom niederländischen und teilweise auch norwegischem Gas verabschieden, weil dort nicht mehr in dem Maße geliefert werden kann. Das heißt: Wir werden zunehmend abhängig von russischen Gaslieferungen. Deshalb müssen wir uns breiter aufstellen und Kapazitäten für den Schiffstransport schaffen. Selbst aus Russland wird das Erdgas irgendwann nicht mehr per Pipeline, sondern per Schiff kommen, weil die neuen Gasfelder viel weiter entfernt liegen.

Dafür haben wir jetzt aber ein teures Rohr verlegt, oder?

Roesberg: Wir sprechen da über lange Zeiträume . . .

Ganz nüchtern betrachtet, ist Gas immer noch ein fossiler Brennstoff, also endlich. Setzen Sie da aufs falsche Pferd?

Schlichting: Die Frage nach der Rentabilität ist natürlich legitim. Zum Leidwesen von Wilhelmshaven muss ich auf unser Alleinstellungsmerkmal verweisen, denn wir planen konzeptionell weit über das Jahr 2050 hinaus, in dem wir ja emissionsneutral werden wollen. Wir können uns diesen Hafen genauso als Importterminal für andere klimaneutrale Energieträger, aber auch als Exportterminal vorstellen. Wir haben hier seit Jahrzehnten die größte Wasserstoffelektrolyse Europas. Wo heute viele Hafenstandorte gerade Mal seit einem Jahr auf diesen Zug aufspringen, sagen wir: Das Thema ist uns nicht fremd. Wir können diesen Anleger auch weit über 2050 hinaus auslasten. Das ist anderswo nicht so effektiv machbar.

Machen Sie sich da nicht sehr abhängig von einem großen Unternehmen?

Roesberg: Das gilt ja für jeden Indus­triestandort. Zum Beispiel VW in Wolfsburg. Wir sind auch abhängig von Konzernentscheidungen, wenn die Dow beispielsweise Teile verkauft. Wir können nur froh sein, dass die Anlagen und damit die Arbeitsplätze hier bleiben. Allerdings muss man auch sagen: Die chemische Industrie ist nicht der Arbeitsplatz-Bringer. Darum geht es uns auch nicht. Das hier ist kein regionales Projekt, sondern ein globales Thema.

Schlichting: Wir haben immense Synergieeffekte, können beispielsweise die Abwärme von Dow künftig sinnvoll nutzen – statt Kühlung mit Elbwasser kann sie künftig genutzt werden, um das stark heruntergekühlte Flüssiggas zu entspannen. LNG ist ja 200-fach komprimiert, muss also erst dekomprimiert werden, um es ins Gasnetz einspeisen zu können. Dow bekommt im Gegenzug die Kälte – perfekt. Oder: Die Ausgasungen, die in den Gastanks entweichen, das sogenannte Boil-off, können genutzt werden, wenn ich Abnehmer in der Nähe habe, für die sich die recht aufwendige Rückkomprimierung lohnt. Diese Abnehmer heißen Dow und AOS. Ein letzter Punkt: Wir sind hier nur 19 Kilometer vom nächsten Einspeisepunkt ins Gasnetz entfernt – in Agathenburg. Und dort liegt sogar schon eine Leitung. In diesem Korridor ließe sich eine weitere Leitung verlegen, denn hier ist schon Planrecht vorhanden. Brunsbüttel, ebenfalls ein denkbarer LNG-Standort, müsste denselben Einspeisepunkt benutzen – also eine 100-Kilometer-Pipeline unter der Elbe hindurch verlegen.

Und wie sieht es in Wilhelmshaven unter diesem Aspekt aus?

Schlichting: Dort ist die Gasnetzanbindung etwas günstiger, aber es mehren sich die Signale, dass sich das LNG-Thema insgesamt sehr viel schwieriger darstellt. Zudem kommen wir in Stade sogar ohne Subventionen aus, was an den anderen Standorten nicht der Fall ist. Wir sind hier ja nicht mehr strukturarm – und das ist doch schon mal eine gute Nachricht.

Was sagt eigentlich Hamburg zu den Stader Plänen?

Schlichting: Hamburg setzt mittlerweile eigentlich mehr auf Wasserstoff. Schwierig wird es, weil Brunsbüttel Ports sehr stark bei Hamburg Hafen Marketing engagiert ist – sodass es dort immer heißt, LNG komme dann aus Brunsbüttel. Meine Sicht: Am Ende wird es der Preis entscheiden. Ein Bunkerboot aus Brunsbüttel, das einen Abnehmer im Hamburger Hafen versorgen soll, braucht doppelt so lange nach Hamburg als eins aus Stade. Das erhöht die Schiffsbetriebskosten.

Noch hat sich LNG in der Schifffahrt aber gar nicht durchgesetzt . . .

Schlichting: Das ist das Henne-Ei-Prinzip. Kein Reeder wird seine Schiffe auf Gas umstellen, wenn er sie nicht weltweit versorgen kann. Deshalb müssen wir die nötige Infrastruktur schaffen. Zusätzlicher Druck entsteht durch das Ziel, bis 2050 Klimaneutralität in Deutschland herzustellen. Wenn wir das schaffen wollen, müssen wir jetzt anfangen. LNG ist als Brückentechnologie zwingend erforderlich.

Ab 25. Juni 2021 in der neuen Ausgabe von B&P – Metropolregion Hamburg.