Hochkarätig besetzte
Diskussionsrunde zur Rolle der KI in der Medizin.
Von Tobias Pusch
Daten – Deutung – Diagnose“: Unter diesem Motto fand im Channel Tower in Harburg die dritte Folge des exklusiven Diskussionsformats B&P Impact statt – dieses Mal zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen. Neben der Hamburger Gesundheitssenatorin Dr. Melanie Leonhard fanden sich unter der Moderation von B&P-Objektleiter Wolfgang Becker auch Tiplu-Gründer Dr. Lukas Aschenberg (siehe Interview), der Datenschutzexperte und Rechtsanwalt Dr. Hermann Lindhorst (SchlarmannvonGeyso), KI-Berater Thorsten Wefelmeier (Sequence 6), Prof. Dr. Christoph Herborn (Ärztlicher Direktor/CMO der gesamten Asklepios-Gruppe) und KI-Entwickler Dr. Moritz Augustin (Tiplu GmbH) zusammen.
Gleich zu Beginn überraschte Entwickler Moritz Augustin mit einer Aussage, die das sagenumwobene Thema KI auf erfrischende Weise entmystifizierte: „Der Begriff der Künstlichen Intelligenz ist in meinen Augen irreführend. Wenn es sie gibt, dann nur in einem schwachen Maß, nämlich als Mustererkennung.“ KI sei somit ein Werkzeug, das nur dann funktioniere, wenn man das hat, was man als Grundlage dafür braucht. „Und das sind gute Daten. Wenn man die nicht hat, dann funktioniert das Werkzeug auch nicht.“
Senatorin Leonhard stimmte Augustin zu und griff das Datenthema gleich auf. „Wenn es um eine knappe Ressource geht, beispielsweise einen Radiologen-Termin, dann wäre es ja vorstellbar, dass man die Patienten nach Dringlichkeit priorisiert. Doch dafür würden die verschiedenen Beteiligten Zugriff auf die gleichen Daten in einer guten Qualität benötigen, und dort haben wir aktuell leider keinen Konsens.“ Man müsse sich auf einen Standard verständigen, was in dem sektoral gegliederten Gesundheitssystem aber ein schwieriges Unterfangen sei. „Immerhin gibt es mittlerweile aber schon erste Anfänge“, sagte Leonhard.
„Da geht auch gern nochmal ein Fax raus . . .“
Asklepios-CMO Christoph Herborn gab zu bedenken, dass viele Daten aktuell ausschließlich in Papierform vorlägen. „Da geht dann auch gern noch mal ein Fax an den niedergelassenen Arzt raus. So kann es passieren, dass manchmal bestimmte wichtige Befund-Konstellationen übersehen werden.“ Man würde die Informationen gern mit anderen Anbietern teilen, allerdings räumte Herborn ein, dass längst nicht alle Daten „gute“ Daten seien, also die erforderliche Qualität hätten. „Gute Ergebnisse erhält man nur aus guten Daten. Und hier fehlt eindeutig noch der Goldstandard.“
Doch wie sieht es angesichts des Datenhungers der KI mit dem Thema Datenschutz aus? Was darf verarbeitet werden, wie viel Zustimmung des Patienten wird benötigt? „Sobald es auch nur die Möglichkeit einer Rückführbarkeit der Daten auf eine Person gibt, ist es natürlich keine Anonymisierung mehr“, gab Fachanwalt Hermann Lindhorst zu bedenken. Ein vorsorglicher Scan auf ein Blutvergiftungsrisiko, den beispielsweise die Tiplu-Technologie Maia bald ermöglichen soll, sei allerdings erlaubt. „Denn das ist ja ein Dienst, der zur Erfüllung des Behandlungsvertrags erforderlich ist. Der Arzt ist dazu verpflichtet, den Patienten nach den bestmöglichen Methoden zu behandeln.“
Zu der Frage, ob man die Daten anschließend in eine Warn-Datenbank einfließen lassen dürfe, auf deren Basis KI-Systeme trainieren, mochte sich Lindhorst nicht eindeutig äußern: „Forschung und Wissenschaft zählen in der DSGVO zu den sogenannten Erwägungsgründen. Aber davon gibt es eine ganze Reihe, sodass man das nicht klar prognostizieren kann.“
Thorsten Wefelmeier (Sequence 6) nannte noch einen weiteren Punkt, der für Patienten im Bereich KI von Bedeutung ist: „Die Behandelten wollen natürlich wissen, wie der Arzt zu seiner Einschätzung kommt. Ist das sein eigenes Wissen oder das Ergebnis dessen, was eine KI ihm vorgeschlagen hat?“ Man wandle hier auf einem schmalen Grat. „Wenn der Arzt einräumt, dass er nicht auf Basis seines Wissens und seiner Erfahrung entschieden hat, sondern dass es am Ende ein Algorithmus war, dann könnte das die Akzeptanz dieser Methode senken.“
Auf der Skala zwischen eins und zehn
Unterschiedliche Meinungen gab es bei der Frage, wie weit man im Gesundheitswesen in Sachen Digitalisierung bereits vorangeschritten sei. „Das kommt natürlich drauf an, wie ambitioniert man das Ziel definiert, aber nach meiner Vorstellung ist das eins oder zwei auf einer Zehner-Skala“, sagte Tiplu-Gründer Lukas Aschenberg. Christoph Herborn sieht auf der Skala eine vier. Und Melanie Leonhard unterschied zwei Kategorien: „Wenn es darum geht, bekannte Dinge anders zu tun als bisher, dann würde ich sagen, wir befinden uns bei fünf bis sechs. Aber wenn wir darüber sprechen, völlig neue Dinge zu tun, dann stehen wir noch ganz am Anfang.“
Am Ende sollten die Diskussionsteilnehmer ihre Wünsche für den Bereich KI in der Medizin formulieren. „Wir benötigen verlässliche Rahmenbedingungen für unsere Innovationen, gerade in Bezug auf den Datenschutz“, sagte Entwickler Augustin. „Wenn Innovationen seitens der Politik gewünscht sind, dann muss sie sie auch ermöglichen.“ Ein Punkt, dem Lukas Aschenberg zustimmte und zu dem er auch gleich ein anschauliches Beispiel liefern konnte. „Wir hatten nach einer Studie anonymisiert Risikopatienten für eine bestimmte und behandelbare Krankheit ermittelt. Doch der Arzt durfte sie nicht kontaktieren, das ist natürlich bedauerlich“, so der gelernte Arzt.
Hermann Lindhorst wünschte sich mehr Eindeutigkeit in der Datenschutzgrundverordnung. „Vieles regelt sie nicht abschließend. In Nordrhein-Westfalen gibt es beispielsweise auch ein katholisches Landesdatenschutzgesetz.“ Christoph Herborn plädierte für „Datengemeinschaft statt Datenkrämerei. Aktuell kocht noch jeder sein eigenes Süppchen, das macht eine Auswertung extrem schwierig.“
Standardisierung und Innovationsfeindlichkeit
Thorsten Wefelmeier wies auf altbekannte Muster hin: „Die Probleme, über die wir hier reden, sind in allen Branchen die gleichen: Standardisierung und Innovationsfeindlichkeit.“ Alle hätten die gleichen Themenstellungen. „Da muss also noch viel an den Rahmenbedingungen verbessert werden.“
Melanie Leonhard lagen zwei Dinge am Herzen. „Ein Datenstandard ist eine Chance, und kein Risiko wie manche glauben. Er ist Türöffner und nicht Hindernis.“ Zudem lobte sie das sektorale Gesundheitssystem, das wegen seiner Bremsfunktion bei der Standardisierung oft gescholten wird. „Die Trägervielfalt ist etwas Gutes, weil dadurch auch Verbesserungen und unterschiedliche Ansätze entstehen. Weil man aber nicht immer weiß, wo man in dem System das gerade Benötigte herbekommt, ist eine größere Standardisierung in jedem Fall eine Chance.“