„Das Billigste vom Billigen funktioniert nicht mehr“

Hat absolutes Insider-Wissen über die globalen Handelsströme: Sven Heinsohn, Geschäftsführer von Global Fruit Point in Buxtehude. Fotos: Heinsohn Foto: B&P

B&P-GESPRÄCH Fruchthändler Sven Heinsohn, Global Fruit Point GmbH Buxtehude, über die multiplen Krisen im weltweiten Handel, Ernteausfälle und perspektivisch leere Regale im Supermarkt.

L eere Regale in der Obst- und Gemüseabteilung? Kaum vorstellbar. Aber es mehren sich die Anzeichen dafür, dass es immer schwieriger wird, das gewohnt breite und vielfältige Angebot in Topqualität und überdies noch zu jeder Jahreszeit bereitzustellen. Sven Heinsohn, Geschäftsführer der Buxtehuder Frucht-Importfirma Global Fruit Point, berichtet im B&P-Gespräch von einer fast toxischen Mischung der Rahmenbedingungen. Derzeit sehen sich die Erzeuger einer Vielzahl von negativen Einflüssen gegenüber. Die Erosion des Marktes beginnt beim Klimawandel, wird von den weltweiten Logistik- und Kostenproblemen beschleunigt und endet vielfach im Frust. Heinsohn: „In Südafrika beispielsweise, wo wir viele Handelsbeziehungen unterhalten, geben die Farmer zum Teil reihenweise auf – weil es sich einfach nicht mehr rechnet.“ Hinzu komme die über Jahrzehnte trainierte Erwartungshaltung bei den Konsumenten, „die eine Paprika nur kaufen, wenn sie makellos angeboten wird“. Der Unternehmer: „Das nimmt teils skurrile Züge an, beispielsweise wenn Bananen eine dunkle Stelle haben und deshalb nicht verkäuflich sind. Eine Stelle an der Schale wohlgemerkt. Kosmetische Fehler werden nicht akzeptiert.“ Dass es auch anders geht, zeige das Konsumverhalten in Portugal. Auch hierzulande müsse sich die Wertschätzung für Obst und Gemüse dringend ändern, wenn die Regale gut gefüllt bleiben sollen – sprich: die langfristige Versorgung der Bevölkerung mit frischen Lebensmitteln sichergestellt werden soll.

Global Fruit Point arbeitet an der Schnittstelle zwischen Erzeuger und Handel. Das Unternehmen mit seinen 30 Spezialisten unterhält Handelsbeziehungen mit Obst- und Gemüseerzeugern auf der ganzen Welt und beschafft frische Ware für den Lebensmitteleinzelhandel. Sven Heinsohn: „Durch Corona und das Durcheinander der weltweiten Logistikketten hatten wir seit 2021 erhebliche Probleme – unter anderem, weil es Phasen gab, in denen die Seefracht für einen Container bis zu 14 000 Euro kostete, anstatt der bisher üblichen 2000 Euro. Da haben sich manche Schifffahrtsreedereien gesund gestoßen.“

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Klima: Darum werden Kiwis teurer

Doch das war nicht alles: „Hinzu kommt die Inflation, getrieben von den Logistik-, insbesondere aber auch den Energiekosten. Und, was ja häufig übersehen wird, das Wetter. Die klimatischen Veränderungen sorgen punktuell für massive Schäden. In Neuseeland hat ein Zyklon 25 Prozent der Kiwi-Ernte zerstört. Ähnliche Ereignisse hatten wir in Südafrika, Costa Rica, Ecuador, Brasilien und Chile. Das kriegt man hier gar nicht mit. Aber schauen wir auf die Dürre in Südeuropa, dort fehlt das Wasser, oder die massiven Überschwemmungen in der Emilia Romagna – auch dort sind große Anbauflächen betroffen.“ Die extreme Frühjahrshitze in Spanien sorgte dafür, dass die Blüten bestimmter Früchte schlicht abfielen. Betroffen: Avocados, Mangos, Steinobst. Das Ergebnis sind steigende Preise aufgrund des geringeren Angebots.

Mittlerweile ist der Hochlauf der Frachtraten einem Absturz gewichen, wie Heinsohn berichtet: „Bei den Exporteuren herrschte aufgrund der massiv gestiegenen Frachtkosten düstere Stimmung. Der Export brach stark ein – was zu sinkenden Frachtraten führte. Ein Reefer-Container aus China nach Europa kostet jetzt noch 1500 bis 2000 Euro. Nun könnte man sagen, dieses Auf und Ab sei in einem freien Markt völlig normal. Aber tatsächlich ist noch etwas anderes passiert: Die Harmonie ist verloren gegangen.“ Kurz: Das fein austarierte Räderwerk des weltweiten Fruchthandels ist schwer beschädigt.

Arbeitskräfte Fehlanzeige

Doch es ist noch komplizierter: „Wenn wir auf die Inflation schauen, merkt das der Kunde im Supermarkt an höheren Preisen. Doch die Preistreiber sind nicht die Erzeuger von
Obst und Gemüse, sondern u.a. die Logistik, schlechte Ernten und Energiekosten. In Holland beispielsweise wird im großen Stil in Glashäusern produziert. Als nun in Folge des russischen Angriffs auf die Ukraine die Energiepreise explodierten, brauchten die Glashausbetreiber mehr Geld. Sie forderten höhere Preise, doch der Handel lehnte das ab. Stattdessen wollte man in Spanien einkaufen. Dort herrscht aber ein ganz anderes Problem: Es gibt keine Arbeitskräfte für die Ernte.“

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Preis wichtiger als Lieferfähigkeit?

Die Folgen dieser komplexen Zusammenhänge fasst Sven Heinsohn mit einem Satz zusammen: „Wir müssen uns darauf einstellen, dass künftig nicht mehr alles am Markt verfügbar sein wird.“ Es herrsche durch diese Bündelung von Krisen große Unsicherheit insbesondere bei den Erzeugern. „Und der Handel schaut immer noch zu stark auf den billigsten Preis. Die Frage ist aus meiner Sicht aber eine andere: Ist der Preis wichtiger als die Lieferfähigkeit?“ Will heißen: Wenn der Handel weiterhin das gewohnt breite Angebot bereitstellen möchte, muss bei den Erzeugern mehr Geld landen – das bedeutet entweder eine geringere Handelsmarge oder höhere Verbraucherpreise. Doch das ist in Deutschland ein schwieriges Thema. Heinsohn: „Für alles, was wir tun müssen, wollen wir nicht bezahlen. Für alles, was wir wollen, bezahlen wir gerne. Die HSV-Karte für 100 Euro? Kein Problem, da wollen wir ja hin. Aber essen müssen wir . . .“

Preisbildung: Bislang diktiert der Handel die Preise. Hier stehen in Deutschland wenige Handelsketten einer kleinteiligen Struktur von Erzeugern, Verbänden und Distributoren gegenüber. Die Preisbildung ist ein immerwährender Konflikt. Doch jetzt scheint der Druck zu groß geworden zu sein. Sven Heinsohn verweist in diesem Zusammenhang auf einen Vorfall in England, der zu leeren Regalen führte: „Dort wurde Obst und Gemüse phasenweise nur noch begrenzt zugeteilt. Auslöser war das britische Bepreisungssystem. Dabei schreibt der Handel aus, was und wie viel er haben möchte – der sogenannte Tender. Die Distributeure, also Fruchtimporteure und Agenturen, bieten und können dann drei bis sechs Monate lang an den Preis gebunden sein. Doch dann setzten die Erzeuger in Spanien aufgrund der schlechten Witterungsbedingungen im Januar und Februar dieses Jahres die Preise hoch. Die Distributeure konnten also zu dem vereinbarten Preis nicht mehr liefern, und so blieben die Regale in England schließlich leer.“

Heinsohns Fazit: „Ernährungssicherheit ist ein großes Wort, aber dass die gefährdet sein könnte, kennen wir in Deutschland noch gar nicht. Ich sage voraus: Wenn wir den Erzeugern nicht zuhören, werden wir Probleme bekommen. Nicht nur auf den Plantagen dieser Welt, sondern auch vor der eigenen Haustür – beispielsweise im Alten Land. Das Billigste vom Billigen funktioniert nicht mehr.“ Seine Forderung: „Wir brauchen einen Runden Tisch, um Verständnis füreinander zu bekommen. Mit Handel, Erzeugern, Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft und Distributeuren. Wir müssen endlich miteinander reden und darüber nachdenken, wie sich beispielsweise das Klima auf unsere Warenverfügbarkeit auswirkt. Bei Gemüse sind die Folgen extrem. Und wir müssen sehen, wie sich die Kostenexplosion bei der Logistik, im Düngereinkauf, bei der Energie und beim Treibstoff 2022 auf die Produzenten ausgewirkt hat. Ein multipler Impact, den die Erzeuger über Jahre aufholen müssen – mit guten Jahren . . .“ wb

>> Web: https://www.frupo.de/