Abschied an der Schwelle zur Digitalisierung

Wolfgang Bruhn bei einer seiner letzten Amtshandlungen am Schreibtisch im Schulleiterbüro: dem Unterschreiben von Zeugnissen. Foto: Wolfgang BeckerWolfgang Bruhn bei einer seiner letzten Amtshandlungen am Schreibtisch im Schulleiterbüro: dem Unterschreiben von Zeugnissen. Foto: Wolfgang Becker

Berufliche Schule Harburg (BS18): Schulleiter Wolfgang Bruhn übergibt ein bestelltes Haus

Von Wolfgang Becker

Vier Jahrzehnte im Schuldienst – das müsste eigentlich Spuren hinterlassen. Doch davon ist Wolfgang Bruhn nichts anzumerken. Als Leiter der Beruflichen Schulen in Harburg (BS18) ist er jetzt mit 65 Jahren in den Ruhestand getreten und hat die Amtsgeschäfte an seine Nachfolgerin, Wiebke Schuleit, übertragen. Bruhn hinterlässt ein bestelltes Haus. Das zumindest hat die jüngste Schulinspektion ergeben, die der BS18 Bestnoten bescherte. Allerdings gilt auch: Der umtriebige Schulleiter war bis zu seinem letzten Tag im Dienste der schulischen Berufsbildung auf der Überholspur unterwegs. Als direkter Chef von acht Abteilungsleitern und zwei stellvertretenden Schulleiterinnen hat er mit seinem Team ein kleines Kunststück vollbracht: die Fusion der ehemaligen H10 (Wirtschaftsgymnasium, Höhere Handelsschule, Berufsschule für Bürokaufleute) mit der W5 – hier trafen zwei Schulwelten aufeinander: Wirtschaftsleute und Sozialpädagogen.

Bruhn: „Was mich besonders freut ist, dass diese Fusion, die wir zum 1. August 2016 vollzogen haben, sehr gut gelaufen ist. Heute können wir sagen, dass der Schulbetrieb weitgehend stabil ist. Es mussten zwei verschiedene Systeme zusammengebracht und neue Standards gesetzt werden, die wir hier in vielen Sitzungen gemeinsam erarbeitet haben.“ Das klingt theoretisch, aber wird deutlich an diesem einfachen Beispiel: Wie gehe ich mit einem Schüler um, der zum dritten Mal unentschuldigt dem Unterricht fernbleibt? Die Antwort sollte in allen Fällen gleich sein.

Großbetrieb Schule

Im Grunde hätte Wolfgang Bruhn das Halbjahr gern noch zu Ende gebracht, um seiner Nachfolgerin einen stressfreieren Einstieg zu ermöglichen. Die BS18 ist zwar längst nicht die größte Berufsschule in Hamburg, aber mit 67 Klassen, 126 Lehrern, elf Referendaren, 1550 Schülern und einer angegliederten Praxisausbildungsstätte für Erzieher (Lehrkindergarten) durchaus mit einem großen Mittelstandsunternehmen vergleichbar. Unter dem Dach des topmodernen Schulzentrums im Göhlbachtal finden sich derzeit drei Flüchtlingsklassen, das Berufliche Gymnasium, die Fachoberschule Sozialpädagogik, die Fachschulklassen (Erzieher), die Höhere Handelsschule, die Schulausbildung der Kaufleute für Büromanagement mit zusätzlichen Spezialisierungen auf Forderungsmanagement und Zoll sowie die Beschulung der Sozialpädagogischen Assistenten.

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Von Haus aus ist Wolfgang Bruhn Berufsschullehrer für BWL und Deutsch. 20 Jahre war er als Lehrer tätig und übernahm bis zum Schluss seiner Laufbahn immer wieder Unterrichtseinheiten. Bruhn: „Meine Lieblingsklassen habe ich in der Höheren Handelsschule gefunden – die Schüler wollten einfach lernen.“

Vier Jahrzehnte Schuldienst, das bedeutet auch einen Start ohne Computer. Bruhn ist quasi Zeitzeuge einer exorbitanten elektronischen Entwicklung und einer grundlegenden Veränderung der Berufs-

welten. Er machte die PC-Einführung mit, organisierte praxisnahe Lernformen wie das sogenannte Lernbüro, in dem Schüler in simulierten Unternehmen wie der „Sommerfeld GmbH“ alle Eventualitäten des kaufmännischen Berufslebens durchspielen konnten. Das „handlungsorientierte Lernen in enger Anlehnung an die Praxis“ war ein Quantensprung in der Ausbildung und trug auch die konzeptionelle Handschrift von Wolfgang Bruhn, der 1977 mit 24 Jahren als jüngster Hamburger Handelslehrer-Referendar seine Laufbahn begann.

Nichts für einfache Geister

An der Schwelle zur Digitalisierung verlässt Bruhn nun den Schuldienst. Seine Nachfolger stehen vor ganz neuen Herausforderungen. Aus einfachen Bürojobs werden anspruchsvolle Jobs. Bruhn: „In der Berufsbildung 4.0 haben wir immer mehr standardisierte Prozesse. Die Hauptarbeit der Büromanager wird künftig das Beraten, Erklären, das Analysieren und das Erarbeiten neuer Strategien beispielsweise für den Vertrieb sein – nichts für einfache Geister. Für lernfähige und stressresistente Menschen mit Kreativität und hoher Kommunikationsbereitschaft ergeben sich daraus große Chancen am Arbeitsmarkt. Aber das heißt auch: Alles wird komplexer und stressiger. Unsere Aufgabe als Lehrer wird es sein, den jungen Leuten die Chancen und Risiken zu erklären. Mein Rat: Bildung, Bildung, Bildung.“

Was sich Bruhn für die BS18 noch wünscht: „Es wäre sehr gut, wenn wir in der Schule auch die Berufliche Weiterbildung für Sozialpädagogen anbieten könnten. Diese berufsbegleitende Ausbildung gibt es bislang nur in Altona und Barmbek. Doch die Nachfrage steigt rasant an. Wir sind die einzige berufliche Schule im Bezirk – dieses Angebot bräuchten wir dringend auch in Harburg.“

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