Und dann kommt Frau Bruhns einfach mal vorbei …

Dr. Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, hat mit seinem Team einen besonderen Weg gefunden, um lokale Präsenz zu zeigen. Foto: HamVoBa / Frank Egel

Dr. Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, hat mit seinem Team einen besonderen Weg gefunden, um lokale Präsenz zu zeigen. Foto: HamVoBa / Frank Egel

INTERVIEW Dr. Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, über Unternehmenskultur, die Zukunft der Filialen und die Digitalisierung

D r. Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, überrascht im Kanon der Banken und Sparkassen mit einem besonderen Modell, das dazu beitragen soll, den Kundenkontakt in Zeiten der Digitalisierung zu halten und sogar noch zu stärken. Die gesamte Finanzbranche steht auf diesem Weg vor großen Herausforderungen, denn das bewährte Filialsystem wird zunehmend aufgeweicht, weil sich die Servicedienstleistungen zunehmend vom „Schalter“ an den heimischen Schreibtisch verlagern. Das Gespräch führte B&P-Redakteur Wolfgang Becker.

Sie entschuldigen bitte das Fehlen einer Krawatte – ich bin Haspa-infiziert …
Das ist ein wunderbares Thema! Der Kulturwandel in den Banken und Sparkassen. Seien Sie sicher, auch bei uns wird darüber intensiv diskutiert. Wir haben seit einiger Zeit eine Institution, die heißt „Auf einen Kaffee mit dem Vorstand“. Einmal im Monat kommen bis zu zehn Kollegen auf einen Kaffee zusammen, und dann sprechen wir. Auch über das Krawatten-Thema. Im Vorfeld gab es bereits eine Diskussion dazu auf unserem Social-Media-Kanal.

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Mit welcher Tendenz?
Die Mehrheit war der Meinung, es geht auch ohne Krawatte. Aber dann haben wir uns gefragt, warum wir Krawatten tragen. Erstens: Weil es so Tradition ist. Zweitens: Weil es antizipierte Kundensichtweisen gibt. Einen Banker sieht man häufig einfach so. Für uns ist der persönliche Kontakt wichtig. Ein bisschen Kompetenzanmutung kommt auch über Konventionen. Kurz: Wir haben einfach mal unsere Kunden gefragt, wie sie das finden. Mit einem differenzierten Ergebnis. Wir sind dabei, ein Gespür dafür zu entwickeln, was wann angemessen ist. Vielleicht ist das unserer genossenschaftlichen Grundgenetik geschuldet.

Der Mensch in der Filiale ist die eine Seite, die Filiale an sich die andere. Viele Banken und Sparkassen suchen nach Wegen, den Kundenkontakt in einer sich digital verändernden Welt zu halten. Welchen Weg geht die Hamburger Volksbank?
Bis vor etwa fünf Jahren war unsere lokale Präsenz rein durch die Filiale geprägt. Dann stellten wir fest, dass sich das Kundenbedürfnis verändert und die Filiale deutlich stärker für Beratungsanlässe in Anspruch genommen wird. Das Servicethema ist spürbar zurückgegangen. Darauf haben wir reagiert und die Anzahl unserer Filialen reduziert, allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt, weil wir bei unserem Netz von damals 40 Filialen schnell an Grenzen stießen – allein schon durch die Anbindung der Standorte an den öffentlichen Personennahverkehr.

Das heißt, Sie müssten quasi Terrain aufgeben, wenn Sie weiter reduzieren wollten.
Dazu haben wir ein spannendes Beispiel: Im vorigen Jahr haben wir den Standort Finkenwerder überprüft. Das übliche Muster der Zusammenlegung zweier benachbarter Filialen funktionierte dort nicht. Deshalb setzten wir nach der Methode Design Thinking junge Kollegen auf die Frage an, wie es gelingen kann, die Filiale zu schließen und die Kunden trotzdem mitzunehmen. Das Team lehnte den Auftrag zunächst ab – was ungewöhnlich war. Und kam dann mit einem Änderungswunsch: Wir stellen uns vor, dass wir gar nicht auf Finkenwerder sind – was würden wir tun, um dort Fuß zu fassen? Das fanden wir spannend. Sie haben dann losgelegt und am Ende das neue Format „Finanzhaus“ erfunden.

Was verbirgt sich dahinter?
Die Idee: Die traditionelle Filiale wird aufgegeben, aber vor Ort wird eine Person eingesetzt, die uns auf Finkenwerder repräsentiert. Wenn die Kunden nicht mehr zu uns kommen, gehen wir zu den Kunden. Wir haben mit unserer Mitarbeiterin Alexandra Bruhns jemanden gefunden, der auf Finkenwerder wohnt und binnen kurzer Zeit zu einer Institution geworden ist.

Das Gesicht der Hamburger Volksbank in Finkenwerder: Alexandra Bruhns ist die persönliche Repräsentantin vor Ort. Statt einer Filiale gibt es jetzt ein Büro – das Finanz- Haus – und Hausbesuche. Foto: HamVoBa / Oliver Nimz

Das Gesicht der Hamburger Volksbank in Finkenwerder: Alexandra Bruhns ist die persönliche Repräsentantin vor Ort. Statt einer Filiale gibt es jetzt ein Büro – das Finanz- Haus –
und Hausbesuche. Foto: HamVoBa / Oliver Nimz

Das ist ja ein völlig neuer Ansatz …
… ja, das haben die Kollegen erfunden. Im Bankenbereich gab es das bislang so nicht.

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Was bedeutet das für das Filialsystem?
Auch wir sind dabei, das System weiter zu überprüfen. Zurzeit haben wir 37 Filialen, darunter einige kleinere mit bis zu drei Mitarbeitern. Dort prüfen wir, inwieweit sich die lokale Präsenz anders lösen lässt. Sie sehen: Ich rede gar nicht mehr vom Filialsystem, sondern von der lokalen Präsenz. Auf Finkenwerder haben wir keine Filiale mehr im klassischen Sinne.

Wenn dort nun jemand ganz klassisch eine Überweisung abgeben möchte, kann der das? Oder kommt dann Frau Bruhns vorbei …
Ja, das kann er. Das Finanzhaus ist ein Büro. Da gibt es auch einen Postkasten.

Das ist dann der Spagat zwischen Vor-Ort-Service und Digitalisierung, den alle Finanzhäuser zurzeit irgendwie bewältigen müssen. Aber Frau Bruhns kann ja nun nicht die gesamten Finanzberatung übernehmen – wie lösen Sie das?
Das kann sie natürlich nicht. Wenn sie einen Termin vereinbart hat, kommt ein entsprechender Berater und macht beispielsweise eine Baufinanzierung.

Ist Finkenwerder der Prototyp für andere Stadtteile?
Ja und nein – das Finkenwerder-Modell können wir sicherlich nicht auf die Schanze übertragen. Andere Stadtteile eignen sich sicherlich. Und selbst, wenn es nur um einzelne Komponenten geht. Das fällt bei uns unter Forschung und Entwicklung. Lokale Präsenz ist nicht mehr nur an einen Ort gebunden. Oder an feste Öffnungszeiten. In Alsterdorf öffnen wir beispielsweise nur noch vormittags, beraten aber nach Terminvereinbarung bis abends 19 Uhr.

Stichwort Digitalisierung: Was bewegt die Volksbank zu diesem Thema, was bieten Sie Ihren Kunden?
Unsere Grundlage ist nach wie vor der Slogan „Man kennt sich“. Die persönliche Beziehung wird auch in den kommenden Jahren die Grundlage unserer Kommunikation bleiben. Aber: Immer mehr Kunden sind immer stärker mit den elektronischen Medien unterwegs und beherrschen diese teilweise virtuos. Alles, was nicht einen erhöhten Beratungseinsatz erfordert, lässt sich so lösen, und der Kunde wählt den Weg, auf dem er uns erreichen möchte. Da sprechen wir von Omnikanalfähigkeit.

Kann ich denn heute bei der Hamburger Volksbank online einen Kleinkredit von sagen wir mal 3000 Euro bekommen?
Ja klar, sie können auch 20 000 Euro bekommen – das läuft über unsere große Tochter Easycredit. Sie können den Kredit digital abschließen, haben aber nachfolgend den kompletten Service auf der persönlichen Ebene.

Gibt es denn Überlegungen, bestimmte Bereiche ganz neu aufzustellen?
Wir haben gerade zwei Workshops gemacht, um herauszufinden, inwieweit sich die Bedürfnisse unserer Kunden verändern und wie wir uns darauf einstellen können. An diesen Workshops waren Mitarbeiter beteiligt und Prof. Dr. Cornelius Herstatt, Innovationsforscher der TUHH. Ein konkretes Beispiel: Wann kommt ein Unternehmer auf die Idee, etwas Neues in Gang zu setzen? Wahrscheinlich am Wochenende abseits des Alltagsgeschäfts. Unsere Frage ist, ob es nicht hilfreich wäre, dann sofort einen Ansprechpartner bei der Hamburger Volksbank zu haben. Mit solchen Fragen befassen wir uns ganz konkret.