„Das ist eine Katastrophe“

Foto: W. HeumerMarc Becker hofft, dass die Absichtserklärungen der Bundesregierung zur Lockerung der Deckelung für die Offshore-Windkraft bald festgeschrieben wird. ||Foto: W. Heumer

Siemens Gamesa Chef Marc Becker im Gespräch mit B&P Redakteur Wolfgang Heumer über die Windkraftindustrie in Cuxhaven

Sie haben gerade für einen zweistelligen Millionen-Betrag ein Service-Schiff für zwei Offshore-Windpark des baden-württembergischen Energieunternehmens EnBW Dienst gestellt. Was hat Sie zu dieser gewaltigen Investition in Zeiten bewogen, in denen aus der Windkraftbranche nur Hiobsbotschaften kommen?

Das Servicegeschäft ist eine der tragenden Säulen für Siemens Gamesa. Große Serviceschiffe werden erst seit relativ kurzer Zeit für die Wartung von Offshore-Windparks eingesetzt. Sie helfen, die Kosten der Offshore-Windenergie zu senden. Bislang hat man die Service-Techniker per Hubschrauber zu den Parks geflogen oder in einem Tagestripp mit dem Schiff dorthin gebracht und abends wieder zurück. Sie verlieren jedoch sehr viel Arbeitszeit durch den Transfer. Mit unserem neuen Serviceschiff sind die Leute 14 Tage komplett im Windpark und können auch 14 Tage am Stück Service leisten. Bei einem Windpark mit mehr als 600 Megawatt Leistung rechnet sich das, weil viele Aufgaben zu erfüllen sind.

Ob die Anlagen auf hoher See reibungslos funktionieren, war ja eine der großen Sorgen am Anfang der Offshore-Windkraft. Wie steht es heute darum?

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Die Verlässlichkeit ist längst enorm. Anders lassen sich die Kostensenkungen, die wir gesehen haben, nicht realisieren. Mit unserem Werk in Cuxhaven sind wir der Vorreiter in der Branche. Jede Turbine, die das Werk verlässt, ist komplett getestet. Das können andere erst nach der Installation draußen auf See. Diese Sorgfalt ist wichtig, denn auf dem Meer benötigt man deutlich mehr Zeit für die gleichen Aufgaben. Teilweise liegen wir offshore beim Faktor 10 gegenüber der Arbeit im Werk was die reinen Arbeitsstunden anbelangt. Das wirkt sich auch auf die Kosten aus. Einer der Gründe für unser Werk in Cuxhaven ist unser Augenmerk auf das Qualitätsmanagement. Unsere Fertigung war vorher auf mehrere Standorte verteilt und wir haben die Großkomponenten nicht immer unter optimalen Bedingungen testen können. In Cuxhaven haben wir alles unter einem Dach, inklusive unserer umfassenden Prüfroutinen. Das gibt es sonst nirgendwo in der Branche.

Sie haben vor kurzem gesagt, dass Sie das Werk in Cuxhaven nicht gebaut hätten, wenn die politische Entwicklung in der Windkraft absehbar gewesen wäre.

Wir haben damals auf den deutschen Markt gesetzt, Siemens ist ein deutsches Unternehmen. Wenn man sieht, was aus dem Markt geworden ist und was die Politik daraus gemacht hat… Es gibt Märkte, in denen würden wir mehr Unterstützung bekommen als in Deutschland. Und damit meine ich nicht Subventionen, sondern die Marktsituation insgesamt. Mir geht es nicht allein um Siemens Gamesa, sondern um die gesamte Industrie. Wir brauchen Zulieferer, wir brauchen Partner, mit denen wir die Anlagen, die Parks und deren Betrieb weiterentwickeln können. Es ist eine Stärke des Standortes Deutschland und des deutschen Maschinenbaus, dass diese Firmen alle im selben Land sitzen. Wir könnten natürlich auch mit Firmen zusammenarbeiten, die irgendwo in Taiwan oder in den USA sitzen. Aber das funktioniert eben nicht so einfach und dauert häufig zu lange. Aber unsere deutschen Partner haben hierzulande derzeit keine Perspektive.

Wie viel Luft hat die Branche noch, bevor diese Partner und Zulieferer wegsterben?

Es sind ja nicht mehr viele übrig. Der Fadenriss, den die Politik vermeiden wollte, ist längst da. Es wird in den nächsten drei Jahre Jahr keine einzige Offshore-Turbine in Deutschland aufgestellt. Und das ist eine einzige Katastrophe.

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Womit füllen Sie das Loch?

Mit dem Export. Wir haben Projekte in Taiwan, in den USA, in den Niederlanden und in Großbritannien. Global betrachtet hat der Offshore-Markt eine große Dynamik. Das Werk in Cuxhaven kann dank seiner Lage direkt am Meer auch internationale Märkte bedienen. Die Beschäftigung in Cuxhaven ist also gesichert. Wenn wir wider Erwarten doch gewisse Zeiten überbrücken müssen, werden wir freiwerdende Stellen vielleicht vorübergehend nicht besetzen. Unser Werk in Cuxhaven ist das klare Bekenntnis unseres Unternehmens, dass wir an den Markt für Offshore-Windenergie und an die Rolle der Erneuerbaren Energien im Energiemix glauben. Das Werk Cuxhaven ist nicht nur für heute gebaut. Es ist für die nächsten Turbinengrößen und für den Export konzipiert. Trotzdem ist es natürlich einfacher, wenn man einen starken Heimatmarkt hat. Unser Partner, der Energieversorger EnBW, hat bewiesen, dass man Offshore-Windparks auch ohne Subventionen planen kann.

Die politische Situation in Deutschland betrifft Sie also weniger. Wer leidet denn darunter?

Mir geht es insbesondere auch um die Zulieferer. Wir brauchen Partner, um Innovation und Kostensenkung zu realisieren. Das setzen wir nicht alles im eigenen Unternehmen um. Diese Zuliefererunternehmen fragen sich mittlerweile: Setze ich meine begrenzten Mittel weiter für Innovationen in der Offshore-Industrie ein oder widme ich mich vielleicht doch lieber stärkeren Branchen wie beispielsweise der Automobilindustrie? Für unsere Zulieferer ist die Offshore-Windkraft ja nur ein Segment, zum Teil sogar ein kleines Segment.

Bis wann brauchen Sie konkrete Entscheidungen der Bundesregierung? Wir bewegen uns ja immer noch im Bereich der Willenserklärungen ohne verbindliche Beschlüsse.

Es wäre wichtig, die jetzigen Absichtserklärungen in den kommenden sechs Monaten festzuschreiben und damit die Zuversicht zu stärken, dass die Deckelung für die Offshore-Windkraft tatsächlich gelockert wird. Nach der Ankündigung, die Deckel wieder anzuheben, habe ich das erste Mal das Gefühl gehabt, dass es einen politischen Willen gibt und es jetzt in die richtige Richtung geht. Jetzt müssen die nächsten Schritte folgen.

Trotzdem haben Sie ein Loch von zwei bis drei Jahren zu überbrücken. Was bedeutet dies für die Arbeitsplätze in Cuxhaven?

Wir haben ja zum Glück eine gute Auslastung durch die internationalen Aufträge. Und bei unseren Zulieferern ist es wie gesagt eher so, dass die Windkraft nur einen kleinen Teil des Gesamtportfolios ausmacht. Uns würde allerdings der Verlust an Know-how schmerzen, wenn sich die Partner umorientieren.

Inwieweit ist die Branche selbst für die jetzige Situation mitverantwortlich? Es hat ja sehr lange gedauert, bis die Kosten für Offshore-Windenergie so weit gesunken sind, dass Subventionen nicht mehr notwendig sind.

Der Energiemarkt ist in seiner Struktur nicht gerade einfach. Die Erzeugung und der Transport, also die Windparks und die Netze müssen geplant werden. Dann musste auch noch die Kernkraft und jetzt bald auch die Kohlekraft ersetzt werden. So etwas bedarf einer ganzheitlichen Systemplanung. In Deutschland sind wir stattdessen sogar noch weiter von der Systemplanung weggegangen und haben die Netze liberalisiert. Der größte Teil des Netzes für die Offshore-Anbindung ist an ein Unternehmen gegangen, das dem niederländischen Staat gehört. Das macht es nicht einfach; es erfordert eine andere Herangehensweise. Von selbst setzt sich das Puzzle nicht zusammen. Nun will man es aber auch nicht staatlich lenken – aber man muss ein klares Ziel definieren, an dem sich dann alle ausrichten. Wenn der Anreiz nicht da ist, kann es nicht funktionieren. Jetzt scheint sich das zu ändern. Beim jüngsten Windgipfel mit dem niedersächsischen Umweltminister Olaf Lies saßen alle Beteiligten an einem Tisch: Die Windparkbetreiber, die Netzbetreiber, die Anlagenhersteller und ihre Zulieferer, die Politik aus den Ländern und dem Bund – das ist genau das, was wir brauchen und was wir als Branche wollen.

Noch mal zu Cuxhaven – Sie liefern jetzt nach Taiwan, in die USA, nach Großbritannien und in die Niederlande. Sichert das den Standort oder folgen Sie irgendwann den Märkten?

Cuxhaven ist unser Hauptwerk. Unser Ziel ist es, dass jede Turbine aus Cuxhaven kommt. Wenn wir Probleme haben, weil zum Beispiel die Fertigungsschritte komplizierter werden, haben wir zusätzlich die Möglichkeit, Kapazitäten in Dänemark zu nutzen. Wir bauen auch in Frankreich eine Fertigung, um bestehende Verträge zu erfüllen. In Taiwan haben wir eine kleine Fertigung, in der wir Komponenten aus Cuxhaven zusammensetzen.

Irgendwann geraten Sie unter Kostendruck, dass Sie sich die langen Wege und komplizierten Logistikprozesse nicht mehr leisten können…

Einer der Vorteile von Cuxhaven ist die gute logistische Anbindung. Letztlich muss natürlich die Effizienz so hoch sein, dass es sich rechnet. Aber genau das ist ja unser Anspruch für Cuxhaven.