„Ideen, Meinungen und Konzepte“

Foto: IHKAndreas Kirschenmann, neuer Präsident der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg mit mit seiner Vorgängerin Alina Henke. || Foto: IHK

Mit Andreas Kirschenmann, geschäftsführender Gesellschafter der Hollenstedter Gastroback GmbH, hat ein Unternehmer aus dem Landkreis Harburg das Amt des Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Lüneburg-Wolfsburg übernommen. Die IHK ist ihm höchst vertraut: Der 51-Jährige gehört der Vollversammlung, dem Parlament der regionalen Wirtschaft, bereits seit 2013 an. Zudem ist er Mitglied im Handelsund im Berufsbildungsausschuss der IHK Lüneburg-Wolfsburg sowie im Berufsbildungsausschuss des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK). Seit rund 18 Jahren arbeitet der neue Präsident in den Prüfungsausschüssen für die Berufe „Fachkraft für Lagerlogistik“ und „Kaufmann / Kauffrau im Groß- und Außenhandel“ mit. Mit Andreas Kirschenmann sprach B&P-Redakteur Wolfgang Becker.

Sie haben sich in den vergangenen Jahren vor allem auch im Bereich Berufsausbildung engagiert – nun sind Sie als neuer Präsident verantwortlich für das Große und Ganze. Was bedeutet das für Sie? Worauf fällt der erste Blick, was sind Ihre ersten Themen?
Zunächst muss ich mich natürlich einarbeiten und die Strukturen und die Mitarbeiter kennenlernen. Unsere Themen sind die klassischen: Die Digitalisierung, der Fachkräftemangel und Infrastrukturfragen, aber es sind auch Themen der aktuellen Politik. Direkt nach meiner Amtsübernahme haben wir auf Ebene der niedersächsischen IHKs eine Positionierung zum Automobilstandort angeschoben. Im Automobilsektor sind in unserem Land mehr als 250 000 Menschen beschäftigt. Wir werden als IHKs ein Statement formulieren, um eine unserer wichtigsten Industrien zu stützen. Vor allem müssen wir hinterfragen, ob die aktuellen Regelungen sinnvoll sind. Wenn ich so ein Amt übernehme, dann weil ich etwas bewegen möchte. Wir haben als IHK-Organisation Ideen, Meinungen und Konzepte – die müssen wir an den Start bringen. Dafür stehe ich.

Wie stark schätzen Sie die Organisation IHK im Kontext der politischen und gesellschaftlichen Gemengelage ein?
Wir sind die Interessenvertretung von mehr als 65 000 Unternehmen in unserem IHK-Bezirk und haben mit Volkswagen einen Großkonzern als Mitglied. Die Politik wird in den Parlamenten gemacht, aber ich denke schon, dass dort auch auf die Stimme der IHK gehört wird. Wir müssen gute Ideen entwickeln und die politischen Kräfte damit unterstützen.

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Wie sehen Sie das Verhältnis zur IHK Stade für den Elbe-Weser-Raum und zur großen Schwester in Hamburg, der dortigen Handelskammer?
Das Verhältnis zur IHK in Stade ist sehr gut. Wir werden weiter kooperieren und vielleicht auch neue Schritte aufeinander zugehen. Das Verhältnis zu Hamburg ist grundsätzlich gut, aber wir fragen uns schon, wie sich das dort auf Dauer sortieren wird. Beide Nachbarkammern durchleben ja durchaus bewegte Zeiten. Stade sucht einen neuen Präsidenten, in Hamburg aber wirkt die Situation einigermaßen chaotisch. Ich gehe davon aus, dass wir nach der nächsten Plenumswahl in Hamburg wieder klare Verhältnisse haben. Dann würde ich gern einen Dreier-Gipfel veranstalten, um die Fragen zu diskutieren, die unseren gemeinsamen Wirtschaftsraum betreffen.

Stichwort Fachkräftemangel – ein akutes Problem. Wie beurteilen Sie das?
Der Fachkräftemangel ist derzeit ein Grundübel. Wir haben im IHK-Bezirk eine Arbeitslosenquote von gut fünf Prozent, der Arbeitsmarkt ist also relativ leergefegt. In den nächsten Jahren gehen die Baby-Boomer in Rente, da kommt in allen Qualifikationsstufen, vom Facharbeiter bis zur Führungskraft, einiges auf uns zu. Bei den Auszubildenden ist die Situation hier in der südlichen Metropolregion noch ganz gut. In den meisten Branchen bekommen wir noch welche. Aber im ländlichen Raum ist es schon heute sehr schwierig.

Was können Sie dagegen tun, gibt es überhaupt einen Ansatz?
Wir müssen dafür sorgen, dass nicht alle jungen Menschen studieren, sondern auch den Weg der beruflichen Bildung einschlagen. Allerdings haben wir rein rechnerisch viel zu wenig junge Menschen, die überhaupt nachrücken. Bis 2030 könnten in unserem IHK-Bezirk 50 000 Fachkräfte fehlen. Um diese Lücke zu füllen, müssen wir in drei Bereichen ansetzen, und teilweise passiert das ja schon: Wir brauchen mehr Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland, eine höhere Erwerbstätigkeit von Frauen und nach meiner Überzeugung auch eine längere Lebensarbeitszeit.

Liegt die Lösung innerhalb der EU, da gibt es ja durchaus zum Teil immense Arbeitslosenquoten gerade bei den jungen Leuten?
Innerhalb der EU haben wir ja Freizügigkeit und brauchen kein Fachkräftezuwanderungsgesetz. Aber die sprachlichen Hürden sind auch für viele EU-Ausländer ein Problem. Und das Wetter. Für Spanier ist das hier im Norden ja nicht so witzig . . .

Ist der Brexit ein Thema für die IHK?
Ja, natürlich ist das ein Thema für uns und für ganz Niedersachsen. Ich persönlich bin über diese Entwicklung sehr unglücklich. Wir sehen daran aber, wohin Populismus und eine von falschen Argumenten befeuerte Diskussion führen. Am Ende wird es nur Verlierer geben, obwohl den Menschen vorgegaukelt wurde, dass sie etwas gewinnen würden. Ich halte den Brexit für sehr schlecht für Europa und auch sehr nachteilig für England. Zwei Dinge sind mir wichtig: Egal, wie es kommt, wir müssen es hinkriegen, dass es für die Menschen irgendwie weitergeht. Da ist die englische Politik gefordert, wir als EU haben die Hand ausgestreckt. Und zweitens: Wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen lassen, sondern müssen England im Konzert der europäischen Nationen dabei behalten – aufgrund der großpolitischen Lage ist es wichtig, dass Europa mit einer Stimme spricht.

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Gibt es im IHK-Bezirk Unternehmen, die vom Brexit existenziell betroffen sind?
Davon habe ich bislang konkret noch nichts gehört. Ich weiß, dass einige Autozulieferer und auch Betriebe aus der Ernährungswirtschaft betroffen sind, wie stark, das müssen wir dann sehen. Unter dem Strich ist der Brexit eine einzige Katastrophe.