Ausbildung – Macht das aktuell überhaupt Sinn?

Von Corinna Horeis,
Diplom-Kauffrau und Personal­beraterin

Die Corona-Pandemie stellt die betriebliche Ausbildung vor große Herausforderungen. Teilweise schließen Betriebe vorübergehend, andere richten Homeoffice-Möglichketen ein, und wieder andere nutzen Kurzarbeit. In den meisten Berufsschulen findet während des Lockdowns ausschließlich Distanzunterricht statt. Die Wissensvermittlung für Auszubildende ist durch betriebliche Einschränkungen nicht mehr gewährleistet. 72 Prozent der Unternehmen geben an, dass Lücken entstanden sind, und in weniger als der Hälfte dieser Fälle konnten die Lücken wieder geschlossen werden. Es besteht somit akuter Nachholbedarf.

Das Programm der Bundesregierung zur Förderung der dualen Ausbildung, das unter anderem eine Ausbildungsprämie, eine Übernahmeprämie sowie Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung beinhaltet, wird zudem nur von wenigen Unternehmen genutzt. Ein Grund liegt darin, dass die Vermittlung von Ausbildungsinhalten in Theorie und Praxis nur eingeschränkt möglich ist. Zahlreiche Betriebe stellen sich aktuell die Frage, ob eine Ausbildung unter den gegebenen Voraussetzungen überhaupt Sinn macht. Für Sommer 2021 wird ein radikaler Rückgang an Lehrstellen befürchtet. Jedoch geht nicht nur die Zahl an Ausbildungsstellen zurück, sondern auch die Anzahl der Bewerber (jeweils etwa minus acht bis zehn Prozent). Berufsorientierung ist an den Schulen nur im eingeschränkten Maße möglich, und Praktikumsstellen werden aufgrund der Corona-Maßnahmen quasi gar nicht für Schüler angeboten. Der Trend von Abiturienten, sich für ein Studium anstelle einer Ausbildung zu entscheiden, wird durch die gegebenen Umstände in den Betrieben und an den Berufsschulen begünstigt.

Allerdings gibt es auch alternative, kreative Möglichkeiten für die Wissensvermittlung, um den Ausbildungserfolg sicherzustellen. Die IHK Lüneburg-Wolfsburg nutzt digitale Medien unter anderem zur beruflichen Orientierung, um Jugendliche und Ausbildungsbetriebe besser zusammenzubringen. So finden digitale Bildungsmessen oder Online-Speed-Datings zur Ausbildungsvermittlung statt. Das Land Baden-Württemberg hat zusammen mit den Partnern des Ausbildungsbündnisses den Versuch gestartet, den Ausbildungsbeginn in den Februar zu verlegen. Damit wurde den Betrieben mehr Zeit gegeben, sich im Ausbildungsbereich zu engagieren und in die Zukunft zu investieren, auch wenn im Herbst aufgrund von Kurzarbeit noch nicht ausgebildet werden konnte.

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Andere Firmen binden die Azubis auf digitalen Plattformen in Projekte ein, um sie zu fordern und fördern. Sie können ihre Ideen einbringen, das Wissen weiterentwickeln und in Gruppen virtuell zusammenarbeiten. Die Auszubildenden erfahren dadurch beispielsweise, selbstständig zu lernen, zu organisieren und ergebnisorientiert zu arbeiten. Auch Auftaktveranstaltungen und wöchentliche Besprechungen finden virtuell statt, um den Kontakt zu den Auszubildenden aufzubauen und zu intensivieren. Der regelmäßige Austausch kann auch über eine interne Kommunikations-App zur Veröffentlichung von Inhalten, Kurznachrichten, Ergebnissen oder anderen Posts stattfinden. Ein anderes Beispiel: In der Hotellerie spielen die eigenen Mitarbeiter Gäste, um Auszubildende trotz geschlossener Türen zu schulen und um sie realistisch auf den normalen Hotelbetrieb vorzubereiten.

Welchen Nutzen – abgesehen von der Nachwuchssicherung – kann es somit haben, während der Pandemie in die Ausbildung zu investieren? Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen gewinnen an digitaler Reife und profitieren vom Kompetenzzuwachs der Azubis, wenn diese eigenständig Digitalisierungsprojekte im Betrieb umsetzen. Dank der Erfahrung aus den Projekten wachsen die Auszubildenden in eine Expertenrolle hinsichtlich der Digitalisierung hinein. Zusätzlich wird dadurch die Attraktivität der Ausbildungsbetriebe, sprich das „Employer Branding“, gesteigert.

Es ist auch eine gesellschaftliche Verpflichtung, den Jugendlichen eine Chance zur Ausbildung anzubieten, damit deren Karrierechancen nicht nachhaltig geschädigt werden mit Folgen wie Arbeitslosigkeit als Langzeiteffekt. Die nicht ausgebildeten Fachkräfte fehlen dem Arbeitsmarkt der Zukunft. Erfahrungen aus der Finanzkrise von 2009 zeigen, dass sich der Arbeitsmarkt und die Konjunktur schnell erholen. Jugendliche, die jetzt keine Ausbildung beginnen können, werden das später schwer nachholen können. Die Unternehmer werden langfristig von dem Investment „Ausbildung“ profitieren. Geben Sie den Jugendlichen eine Chance.

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Corinna@Horeis-Consult.de

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